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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

leise Ahnung von den großen Dingen, die
sich um sie her vorbereiteten. Sie wollte daran
teilhaben, aber ein mißgünstiges Schicksal hat
es ihr verwehrt. Sie wurde aus demKron-
snal immer wieder auf die Hintertreppe ge¬
drängt. Sie wurde verbittert und altjüngfer¬
lich, weil sie sich immer wieder zur Tür-
horcherin verdammt sah. Und sie verbrannte
von innen heraus, weil sie ihre Kräfte brach¬
liegen fühlte und sich zu billigen Kompromissen
nicht hergeben mochte.

Auch sie hat, freilich anders, als sie es
geträumt, ihre Aufgabe erfüllt. Auf dieLicb-
lingsschwester des großen Königs fällt ein leiser
Abglanz von der Strnhlenkrone ihres genialen
Bruders. Die Geschichte jeuer Zeit, in der
seine Jugend wie ein ungeberdiges Füllen
gezähmt und in der aus Blut und Tränen
seine Zukunft zusammengeschweißt wurde, wird
much für Wilhelmine von Preußen jedesmal
ein Paar freundliche Worte des Gedenkens
übrig haben. Hinter der Erzählung ihrer ge¬
bückte", leidvollen Kinderjahre leuchtet die
Ewigkeitssonne von Mollwitz und Prag, von
Roßbnch und Leuthen. Wie fernes Donner¬
grollen klingt es in diese von Haß und Liebe,
von Freude und Leid verzerrten Memoiren.
Der preußische Adler rauscht darüber hin und
ndell die Geschehnisse des wunderlichen Buches
rückwirkender Kraft.

Dr. Arthur westphal-
Anton Bettelheim: Beaumarchais.

Eine
Biographie. Zweite umgearbeitete Auflage.
Mit einem Bildnis des Dichters. München
C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung,
Oslnr Beck."

Beaumarchais, der Schöpfer der viei-
l'eflissenen Gestalt des Figaro ("Der Barbier
l'vn Sevilla", "Figaros Hochzeit"), ist einer
jener großen Franzosen, die aus dem Pro¬
testantismus hervorgegangen sind -- Clöment
Rnrot, Malherbe, Agrippn d'AübignS,Salluste
dn Bartas, Goujon, die Marquise v. Main-
wwn, Rousseau, Marat, Frau v. Stuol, Ben¬
jamin Constant, Guizot, Cuvier --, aber er
'se nur der Halbbruder dieser Parken Geister,
die, ob ihrer Väterreligion treu oder, kon¬
vertiert, deren unerbittliche Befehder, vor allem
das eine Erbe des Kalvinismus nicht ber¬
egneten: die Stetigkeit, ja Starrheit des
^hin'asttu's, im Guten wie im Schlimmen.

[Spaltenumbruch]

Auch Beaumarchais scheint seiner Protestan¬
tischen Herkunft sehr Wohl gedenk geblieben
zu sein, und wenn er mehrfach für die Gleich¬
berechtigung der Protestanten öffentlich eintritt,
so mag er in diesen Füllen, wie es scheint
den einzigen in seincni Leben, ohne Person-,
liebe Absichten gehandelt haben. Sein Vater,
an dem er zweifellos mit Zärtlichkeit hing,
mochte dem Glauben, dem er kurz vor seiner
Verheiratung abgeschworen hatte, um in die
Zunft aufgenommen werden zu können, in
seinem Herzen auch weiterhin angehangen sein
und dem katholisch erzogenen Sohn wenigstens
die Achtung vor ihni überliefert haben. Wer
tiefer zusieht, wird vielleicht auch sonst noch
manchmal "kalvinische Regungen" in Beau¬
marchais' Leben finden, im allgemeinen aber
mangelt ihm, wie sehr auch er bestrebt ist,
vor der Welt als guter Sohn, guter Vater,
guter Patriot, guter Bürger zu erscheinen,
gerade das, was mau Charakter nennt, über¬
haupt. Und eben das macht ihn mehr als
alles zum Typus für seine Zeit, zu der über¬
aus charakteristischen Mischung von Moralisten
und Glücksritter, die sich beide so gut in einer
und derselben Person nur vertrugen, weil
beide die Hohlheit der zeitgenössischen Zu¬
stände um tiefsten erkannten und gleicherweise
auf den Schein ihre zum Teil sehr phan¬
tastischen Pläne bauten. Wenn eine Familien-
Überlieferung recht hat, so waren die Carons --
den Adel de Beaumarchais zu kaufen, war
eines der ersten Geschäfte des jungen Mannes
-- normannischer Herkunft, und dazu stimmt
sehr gut die ewige Unrast Beaumarchais', der
sich rühmen konnte, 'auf allen möglichen Ge¬
bieten Tüchtiges geleistet zu haben, selbst als
Uhrmacher, den es bis in sein Alter immer
wieder zu Geschäftsreisen und zu waghalsigen
Unternehmungen trieb, der nie heiterer schien,
als wenn die Gefahr unmittelbar nahe war:
so war er etwas wie ein Wikinger, wobei man
den Nebensinn des Freibeuters nicht abzu¬
streichen braucht, dabei immer von jenem un¬
bedingten Glaube" an sich selbst und an seine
Überlegenheit beseelt, der die fatalistische Grund¬
lage solchen Wikingertums ist.

Es darf hier mit Freude ausgesprochen
werden, daß Beaumarchais in Anton Bettel¬
heim Wohl den verstehendsten Biographen ge¬
sunde" hat, der sich denken läßt, el"en, der

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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leise Ahnung von den großen Dingen, die
sich um sie her vorbereiteten. Sie wollte daran
teilhaben, aber ein mißgünstiges Schicksal hat
es ihr verwehrt. Sie wurde aus demKron-
snal immer wieder auf die Hintertreppe ge¬
drängt. Sie wurde verbittert und altjüngfer¬
lich, weil sie sich immer wieder zur Tür-
horcherin verdammt sah. Und sie verbrannte
von innen heraus, weil sie ihre Kräfte brach¬
liegen fühlte und sich zu billigen Kompromissen
nicht hergeben mochte.

Auch sie hat, freilich anders, als sie es
geträumt, ihre Aufgabe erfüllt. Auf dieLicb-
lingsschwester des großen Königs fällt ein leiser
Abglanz von der Strnhlenkrone ihres genialen
Bruders. Die Geschichte jeuer Zeit, in der
seine Jugend wie ein ungeberdiges Füllen
gezähmt und in der aus Blut und Tränen
seine Zukunft zusammengeschweißt wurde, wird
much für Wilhelmine von Preußen jedesmal
ein Paar freundliche Worte des Gedenkens
übrig haben. Hinter der Erzählung ihrer ge¬
bückte», leidvollen Kinderjahre leuchtet die
Ewigkeitssonne von Mollwitz und Prag, von
Roßbnch und Leuthen. Wie fernes Donner¬
grollen klingt es in diese von Haß und Liebe,
von Freude und Leid verzerrten Memoiren.
Der preußische Adler rauscht darüber hin und
ndell die Geschehnisse des wunderlichen Buches
rückwirkender Kraft.

Dr. Arthur westphal-
Anton Bettelheim: Beaumarchais.

Eine
Biographie. Zweite umgearbeitete Auflage.
Mit einem Bildnis des Dichters. München
C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung,
Oslnr Beck."

Beaumarchais, der Schöpfer der viei-
l'eflissenen Gestalt des Figaro („Der Barbier
l'vn Sevilla", „Figaros Hochzeit"), ist einer
jener großen Franzosen, die aus dem Pro¬
testantismus hervorgegangen sind — Clöment
Rnrot, Malherbe, Agrippn d'AübignS,Salluste
dn Bartas, Goujon, die Marquise v. Main-
wwn, Rousseau, Marat, Frau v. Stuol, Ben¬
jamin Constant, Guizot, Cuvier —, aber er
'se nur der Halbbruder dieser Parken Geister,
die, ob ihrer Väterreligion treu oder, kon¬
vertiert, deren unerbittliche Befehder, vor allem
das eine Erbe des Kalvinismus nicht ber¬
egneten: die Stetigkeit, ja Starrheit des
^hin'asttu's, im Guten wie im Schlimmen.

[Spaltenumbruch]

Auch Beaumarchais scheint seiner Protestan¬
tischen Herkunft sehr Wohl gedenk geblieben
zu sein, und wenn er mehrfach für die Gleich¬
berechtigung der Protestanten öffentlich eintritt,
so mag er in diesen Füllen, wie es scheint
den einzigen in seincni Leben, ohne Person-,
liebe Absichten gehandelt haben. Sein Vater,
an dem er zweifellos mit Zärtlichkeit hing,
mochte dem Glauben, dem er kurz vor seiner
Verheiratung abgeschworen hatte, um in die
Zunft aufgenommen werden zu können, in
seinem Herzen auch weiterhin angehangen sein
und dem katholisch erzogenen Sohn wenigstens
die Achtung vor ihni überliefert haben. Wer
tiefer zusieht, wird vielleicht auch sonst noch
manchmal „kalvinische Regungen" in Beau¬
marchais' Leben finden, im allgemeinen aber
mangelt ihm, wie sehr auch er bestrebt ist,
vor der Welt als guter Sohn, guter Vater,
guter Patriot, guter Bürger zu erscheinen,
gerade das, was mau Charakter nennt, über¬
haupt. Und eben das macht ihn mehr als
alles zum Typus für seine Zeit, zu der über¬
aus charakteristischen Mischung von Moralisten
und Glücksritter, die sich beide so gut in einer
und derselben Person nur vertrugen, weil
beide die Hohlheit der zeitgenössischen Zu¬
stände um tiefsten erkannten und gleicherweise
auf den Schein ihre zum Teil sehr phan¬
tastischen Pläne bauten. Wenn eine Familien-
Überlieferung recht hat, so waren die Carons —
den Adel de Beaumarchais zu kaufen, war
eines der ersten Geschäfte des jungen Mannes
— normannischer Herkunft, und dazu stimmt
sehr gut die ewige Unrast Beaumarchais', der
sich rühmen konnte, 'auf allen möglichen Ge¬
bieten Tüchtiges geleistet zu haben, selbst als
Uhrmacher, den es bis in sein Alter immer
wieder zu Geschäftsreisen und zu waghalsigen
Unternehmungen trieb, der nie heiterer schien,
als wenn die Gefahr unmittelbar nahe war:
so war er etwas wie ein Wikinger, wobei man
den Nebensinn des Freibeuters nicht abzu¬
streichen braucht, dabei immer von jenem un¬
bedingten Glaube» an sich selbst und an seine
Überlegenheit beseelt, der die fatalistische Grund¬
lage solchen Wikingertums ist.

Es darf hier mit Freude ausgesprochen
werden, daß Beaumarchais in Anton Bettel¬
heim Wohl den verstehendsten Biographen ge¬
sunde» hat, der sich denken läßt, el»en, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/555>, abgerufen am 24.07.2024.