Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Kakophonien -- Aehrenthals Expose -- Hundert Jahre preußischer Wissenschaft. Die parlamentslose Sommerzeit schließt für ganz Europa mit häßlichen Mi߬ In der ungarischen Delegation hat der Minister des Äußern ein Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Kakophonien — Aehrenthals Expose — Hundert Jahre preußischer Wissenschaft. Die parlamentslose Sommerzeit schließt für ganz Europa mit häßlichen Mi߬ In der ungarischen Delegation hat der Minister des Äußern ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317095"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel</head><lb/> <note type="argument"> Kakophonien — Aehrenthals Expose — Hundert Jahre preußischer Wissenschaft.</note><lb/> <p xml:id="ID_648"> Die parlamentslose Sommerzeit schließt für ganz Europa mit häßlichen Mi߬<lb/> tönen. In Portugal hat die Revolution einen Königsthron beseitigt, in Frank¬<lb/> reich offenbart die sozialistische Partei durch den Eisenbahnerausstand aller Welt<lb/> die anarchistischen Grundtöne ihres Wesens, in Deutschland sucht die Sozial¬<lb/> demokratie ihren im Werftarbeiterstreik errungenen Sieg bis aufs äußerste aus¬<lb/> zunutzen. Auch der Anfang der winterlichen Parlamentsarbeit setzt mit einem<lb/> Mißton auf internationalem Gebiet ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_649" next="#ID_650"> In der ungarischen Delegation hat der Minister des Äußern ein<lb/> Expose vorgetragen, das sich mit der Annexion Bosniens und der Herzegowina<lb/> während der abgelaufenen Delegationssession befaßt. An sich bringt der Bericht<lb/> kein Material bei, das nicht schon allgemein bekannt wäre. Wie alle solche<lb/> „Not-", „Blau-" und „Gelbbücher", enthält auch das ungarische „Rotbuch" dem<lb/> Sinne nach längst bekannte Dokumente und es hat einen praktischen Wert eigent¬<lb/> lich nur deshalb, weil dadurch der Publizistik die authentischen Texte gewisser<lb/> historischer Schriftstücke zur Verfügung gestellt werden. Auch der Festigkeit des<lb/> Dreibundes ist gebührend gedacht worden, ja, wie die „Deutsch-Nationale Korre¬<lb/> spondenz" schreibt, mit besonderem Nachdruck. In dem harmonischen Ganzen<lb/> wirkt um so befremdlicher eine Bemerkung über die Ursachen des Krieges von<lb/> 1866, die dahin gedeutet werden muß, daß man gegenwärtig in den amtlichen<lb/> Kreisen der Habsburgischen Monarchie die Auffassung hegt, Bismarck habe damals<lb/> den „Konfliktsfall geradezu künstlich geschaffen". Im Munde eines Franzosen<lb/> oder Russen würde uns der hiermit nicht nur gegen Bismarck, sondern auch gegen<lb/> König Wilhelm den Ersten erhobene Vorwurf nicht sonderlich überraschen. Dient<lb/> doch eine vielbändige Publikation des französischen Auswärtigen Amts kaum einem<lb/> andern Zweck als dem, Bismarck für die Kriege, die die Einigung des Deutschen<lb/> Reichs herbeigeführt haben, verantwortlich zu machen. Unter gewissen höchst real¬<lb/> politischen Gesichtspunkten mag Frankreich ein Recht dazu haben, die deutsche<lb/> Politik zu diskreditieren und gegen sie Mißtrauen zu säen. Welche Ursachen<lb/> könnten aber unsern nächsten Bundesgenossen dazu bestimmen? Soll der Wunsch<lb/> Frankreichs, Preußen möge seine Archive über die letzten Kriege schon jetzt<lb/> öffnen, unterstützt werden? Nun, dazu scheint uns das aufgefahrene Geschütz<lb/> zu grob. Wünscht Herr Graf Aehrenthal anzuzeigen, daß er auch mit der<lb/> gegenwärtigen Tätigkeit unserer politischen Organe nicht einverstanden ist?<lb/> Angesichts seines Ausfalles gegen unsere Diplomatie erregt eine Unterlassung<lb/> Bedenken, die wir sonst nicht hervorzuheben brauchten. Graf Aehrenthal<lb/> kommt in seinen sonst recht ausführlichen Darlegungen mit keinem Wort<lb/> auf die Unterstützung zurück, die seine Politik in Berlin gefunden hat. Nachdem<lb/> von Deutschland aus so oft, kürzlich durch den Kaiser in Wien, auf jenen Beistand<lb/> hingewiesen wurde, hätte es Aehrenthal wirklich nicht mehr nötig gehabt. Nun<lb/> er sich aber die unfreundliche Kritik erlaubte, mußte er, um Mißverständnisse und<lb/> Unklarheiten zu verhindern, den in der jüngsten Zeit geleisteten Dienst hervor¬<lb/> heben, denn „sehr leicht entspringen Verwicklungen aus unklaren Zuständen". Wir<lb/> hoffen, daß Herr von Kiderlen-Wächter sich mit Herrn Graf Aehrenthal über<lb/> den Sinn von dessen Bemerkung verständigen wird. Das dürfte um so leichter</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0144]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel
Kakophonien — Aehrenthals Expose — Hundert Jahre preußischer Wissenschaft.
Die parlamentslose Sommerzeit schließt für ganz Europa mit häßlichen Mi߬
tönen. In Portugal hat die Revolution einen Königsthron beseitigt, in Frank¬
reich offenbart die sozialistische Partei durch den Eisenbahnerausstand aller Welt
die anarchistischen Grundtöne ihres Wesens, in Deutschland sucht die Sozial¬
demokratie ihren im Werftarbeiterstreik errungenen Sieg bis aufs äußerste aus¬
zunutzen. Auch der Anfang der winterlichen Parlamentsarbeit setzt mit einem
Mißton auf internationalem Gebiet ein.
In der ungarischen Delegation hat der Minister des Äußern ein
Expose vorgetragen, das sich mit der Annexion Bosniens und der Herzegowina
während der abgelaufenen Delegationssession befaßt. An sich bringt der Bericht
kein Material bei, das nicht schon allgemein bekannt wäre. Wie alle solche
„Not-", „Blau-" und „Gelbbücher", enthält auch das ungarische „Rotbuch" dem
Sinne nach längst bekannte Dokumente und es hat einen praktischen Wert eigent¬
lich nur deshalb, weil dadurch der Publizistik die authentischen Texte gewisser
historischer Schriftstücke zur Verfügung gestellt werden. Auch der Festigkeit des
Dreibundes ist gebührend gedacht worden, ja, wie die „Deutsch-Nationale Korre¬
spondenz" schreibt, mit besonderem Nachdruck. In dem harmonischen Ganzen
wirkt um so befremdlicher eine Bemerkung über die Ursachen des Krieges von
1866, die dahin gedeutet werden muß, daß man gegenwärtig in den amtlichen
Kreisen der Habsburgischen Monarchie die Auffassung hegt, Bismarck habe damals
den „Konfliktsfall geradezu künstlich geschaffen". Im Munde eines Franzosen
oder Russen würde uns der hiermit nicht nur gegen Bismarck, sondern auch gegen
König Wilhelm den Ersten erhobene Vorwurf nicht sonderlich überraschen. Dient
doch eine vielbändige Publikation des französischen Auswärtigen Amts kaum einem
andern Zweck als dem, Bismarck für die Kriege, die die Einigung des Deutschen
Reichs herbeigeführt haben, verantwortlich zu machen. Unter gewissen höchst real¬
politischen Gesichtspunkten mag Frankreich ein Recht dazu haben, die deutsche
Politik zu diskreditieren und gegen sie Mißtrauen zu säen. Welche Ursachen
könnten aber unsern nächsten Bundesgenossen dazu bestimmen? Soll der Wunsch
Frankreichs, Preußen möge seine Archive über die letzten Kriege schon jetzt
öffnen, unterstützt werden? Nun, dazu scheint uns das aufgefahrene Geschütz
zu grob. Wünscht Herr Graf Aehrenthal anzuzeigen, daß er auch mit der
gegenwärtigen Tätigkeit unserer politischen Organe nicht einverstanden ist?
Angesichts seines Ausfalles gegen unsere Diplomatie erregt eine Unterlassung
Bedenken, die wir sonst nicht hervorzuheben brauchten. Graf Aehrenthal
kommt in seinen sonst recht ausführlichen Darlegungen mit keinem Wort
auf die Unterstützung zurück, die seine Politik in Berlin gefunden hat. Nachdem
von Deutschland aus so oft, kürzlich durch den Kaiser in Wien, auf jenen Beistand
hingewiesen wurde, hätte es Aehrenthal wirklich nicht mehr nötig gehabt. Nun
er sich aber die unfreundliche Kritik erlaubte, mußte er, um Mißverständnisse und
Unklarheiten zu verhindern, den in der jüngsten Zeit geleisteten Dienst hervor¬
heben, denn „sehr leicht entspringen Verwicklungen aus unklaren Zuständen". Wir
hoffen, daß Herr von Kiderlen-Wächter sich mit Herrn Graf Aehrenthal über
den Sinn von dessen Bemerkung verständigen wird. Das dürfte um so leichter
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |