Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Im Flecken "Lrzählung aus der russischen Provinz Alexander Andreas-Reyher von Zweites Kapitel: Die Kaufleute. Tit Grigorjewitsch Botscharow war sozusagen der erste Mann im Flecken. "Ich bin Tit Grigorjewitsch Botscharow," pflegte er zu sagen, "bin ein Alle die unzähligen Leute, die teils unmittelbar, teils mittelbar von ihm Im Flecken «Lrzählung aus der russischen Provinz Alexander Andreas-Reyher von Zweites Kapitel: Die Kaufleute. Tit Grigorjewitsch Botscharow war sozusagen der erste Mann im Flecken. „Ich bin Tit Grigorjewitsch Botscharow," pflegte er zu sagen, „bin ein Alle die unzähligen Leute, die teils unmittelbar, teils mittelbar von ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317085"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_316950/figures/grenzboten_341891_316950_317085_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Im Flecken<lb/> «Lrzählung aus der russischen Provinz<lb/><note type="byline"> Alexander Andreas-Reyher</note> von<lb/> Zweites Kapitel: Die Kaufleute. </head><lb/> <p xml:id="ID_513"> Tit Grigorjewitsch Botscharow war sozusagen der erste Mann im Flecken.<lb/> Er hielt sich selbst dafür, und es gab wenige, die sich entschlossen hätten, ihm das<lb/> ins Gesicht zu bestreiten. Jedenfalls hatte es noch nie jemand gewagt. Er hatte<lb/> allmählich den Löwenanteil des Handels mit Bauholz, Flachs und Getreide im<lb/> ganzen Kreise an sich gebracht. Er bildete in dieser Branche den Vermittler<lb/> zwischen den kleinen Händlern in der Kreisstadt, den im Kreise befindlichen<lb/> Flecken einerseits und den Großhändlern der Gouvernementsstadt anderseits.<lb/> Er besaß im Flecken außer einem massiven Haus, in dem er selbst wohnte, eine<lb/> Menge von Häusern und Häuschen an verschiedenen Straßen. Ihm gehörte<lb/> außerhalb des Fleckens ein gewaltiges Landstück, das er geteilt an einige Dutzend<lb/> Gemüsegärtner verpachtete. Seit kurzem war auch ein Gut in seinen Besitz über¬<lb/> gegangen. Jeder Tag vom Morgen bis Abend brachte ihm nach Ansicht der Leute<lb/> Geld und immer wieder Geld, ohne daß er deshalb einen Finger zu rühren<lb/> brauchte. Er rührte auch buchstäblich keinen Finger, denn er führte keine Bücher<lb/> und keine Korrespondenz. Und wenn er die Feder benutzte, um unter einen Kontrakt<lb/> auf Holzfällung seinen Namen zu setzen, erleichterte der Gedanke an den<lb/> Gewinn ihm die Mühe. Er teilte die Ansicht seiner Vorväter, daß bei dem Kauf¬<lb/> mann das Schreiben und Buchen eine teuflische Erfindung sei, die den Handel<lb/> beeinträchtige und Schande.</p><lb/> <p xml:id="ID_514"> „Ich bin Tit Grigorjewitsch Botscharow," pflegte er zu sagen, „bin ein<lb/> russischer Mann kaufmännischer Nation." Das letztere Wort gebrauchte er in dem<lb/> Sinne von „Stand". „Meine Sache ist der Handel, das Einkaufen und Verkaufen.<lb/> Das Schreiben gehört in die Kronkanzleien. Die sind zum Schreiben da, und<lb/> darum werden dort die hungrigen Beamten bezahlt."</p><lb/> <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Alle die unzähligen Leute, die teils unmittelbar, teils mittelbar von ihm<lb/> abhingen oder mit ihm in Verbindung standen, beugten sich tief vor ihm, und die<lb/> demütigeren hielten sogar die Mütze in der Hand, wenn sie mit ihm sprachen.<lb/> Viele, die keine Geschäfte mit ihm hatten, waren nicht minder zuvorkommend,<lb/> denn wer konnte wissen, ob er den reichen Kaufmann nicht einmal brauche. Es<lb/> konnte daher nicht fehlen, daß er überall genannt und überall vorangestellt wurde,<lb/> wo es sich um gemeinschaftliche Maßregeln und Tätigkeiten handelte. Er war</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
[Abbildung]
Im Flecken
«Lrzählung aus der russischen Provinz
Alexander Andreas-Reyher von
Zweites Kapitel: Die Kaufleute.
Tit Grigorjewitsch Botscharow war sozusagen der erste Mann im Flecken.
Er hielt sich selbst dafür, und es gab wenige, die sich entschlossen hätten, ihm das
ins Gesicht zu bestreiten. Jedenfalls hatte es noch nie jemand gewagt. Er hatte
allmählich den Löwenanteil des Handels mit Bauholz, Flachs und Getreide im
ganzen Kreise an sich gebracht. Er bildete in dieser Branche den Vermittler
zwischen den kleinen Händlern in der Kreisstadt, den im Kreise befindlichen
Flecken einerseits und den Großhändlern der Gouvernementsstadt anderseits.
Er besaß im Flecken außer einem massiven Haus, in dem er selbst wohnte, eine
Menge von Häusern und Häuschen an verschiedenen Straßen. Ihm gehörte
außerhalb des Fleckens ein gewaltiges Landstück, das er geteilt an einige Dutzend
Gemüsegärtner verpachtete. Seit kurzem war auch ein Gut in seinen Besitz über¬
gegangen. Jeder Tag vom Morgen bis Abend brachte ihm nach Ansicht der Leute
Geld und immer wieder Geld, ohne daß er deshalb einen Finger zu rühren
brauchte. Er rührte auch buchstäblich keinen Finger, denn er führte keine Bücher
und keine Korrespondenz. Und wenn er die Feder benutzte, um unter einen Kontrakt
auf Holzfällung seinen Namen zu setzen, erleichterte der Gedanke an den
Gewinn ihm die Mühe. Er teilte die Ansicht seiner Vorväter, daß bei dem Kauf¬
mann das Schreiben und Buchen eine teuflische Erfindung sei, die den Handel
beeinträchtige und Schande.
„Ich bin Tit Grigorjewitsch Botscharow," pflegte er zu sagen, „bin ein
russischer Mann kaufmännischer Nation." Das letztere Wort gebrauchte er in dem
Sinne von „Stand". „Meine Sache ist der Handel, das Einkaufen und Verkaufen.
Das Schreiben gehört in die Kronkanzleien. Die sind zum Schreiben da, und
darum werden dort die hungrigen Beamten bezahlt."
Alle die unzähligen Leute, die teils unmittelbar, teils mittelbar von ihm
abhingen oder mit ihm in Verbindung standen, beugten sich tief vor ihm, und die
demütigeren hielten sogar die Mütze in der Hand, wenn sie mit ihm sprachen.
Viele, die keine Geschäfte mit ihm hatten, waren nicht minder zuvorkommend,
denn wer konnte wissen, ob er den reichen Kaufmann nicht einmal brauche. Es
konnte daher nicht fehlen, daß er überall genannt und überall vorangestellt wurde,
wo es sich um gemeinschaftliche Maßregeln und Tätigkeiten handelte. Er war
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |