Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Der Schriftsteller in dieser Zeit Der Schriftsteller in dieser Zeit ustav Roethe hat einmal in seinem unvergeßlichen Nomantikkolleg Leser, bist du nur einigermaßen über unser modernes Schrifttum unterrichtet, Der Schriftsteller in dieser Zeit Der Schriftsteller in dieser Zeit ustav Roethe hat einmal in seinem unvergeßlichen Nomantikkolleg Leser, bist du nur einigermaßen über unser modernes Schrifttum unterrichtet, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316498"/> <fw type="header" place="top"> Der Schriftsteller in dieser Zeit</fw><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Der Schriftsteller in dieser Zeit</head><lb/> <p xml:id="ID_781"> ustav Roethe hat einmal in seinem unvergeßlichen Nomantikkolleg<lb/> das Wort geprägt: Die Brüder Schlegel sind die beiden großen<lb/> Repräsentanten des modernen Journalismus gewesen. Es liegt<lb/> in diesem Wort eine überraschende Hochschätzung des heutigen<lb/> Schriftstellertnms, eine Hochschätzung, die Zeugnis gibt von den:<lb/> bedeutsamen Umschwung und der eminenten Entwicklung, die auf diesem Gebiete<lb/> der geistigen Betätigung sich vollzogen. Aber auch von andrer Seite hören wir<lb/> starke Bewunderung für das neue Wollen und Können dieser einst so viel<lb/> gelästerten „sujets numvais". Und diese Bewunderung ist um so wertvoller, als<lb/> sie von einer Seite kommt, die zumeist den: Schriftsteller nicht allzu günstig<lb/> gesinnt ist: von einem Dichter. Hugo von Hofmannsthal schreibt in dem zweiten<lb/> Bande seiner über die Maßen reizvollen prosaischen Schriften: „Ich halte es für<lb/> möglich, und ich glaube irgendwelche Anhaltspunkte für diese Möglichkeit zu haben,<lb/> daß wir im nächsten Augenblick eine neue Art deutscher Journalisten werden<lb/> hervortreten sehen, deren Geste bedeutend genug sein wird, daß man ihnen<lb/> darüber die Leistung wird vergessen dürfen, die nebenbei auch in der momentanen<lb/> Beherrschung eines so grenzenlosen Materials liegt. Ich meine kulturelle Journalisten,<lb/> wenn man mir dieses Wort erlauben will; und sie werden, wenn ich nicht irre,<lb/> für einen Zeitraum den politischen Journalisten, dessen Typus wir kennen und<lb/> dessen Haltung durch, eine etwas verblassende Konvention gegeben ist, in den<lb/> Schatten stellen." Bedarf es da noch Tatsachen und anderer Beweise für die<lb/> Existenz eines neuen, eigen gearteten Schriftstellertums in diesen Tagen? Ich<lb/> glaube, kaum. Reizvoller und bedeutsamer scheint es mir vielmehr, den Gründen,<lb/> Zusammenhängen und Ausblicken dieser Erscheinung nachzugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_782" next="#ID_783"> Leser, bist du nur einigermaßen über unser modernes Schrifttum unterrichtet,<lb/> so ist dir nicht entgangen, wie gewaltig die Art der Zeitschriften-Aufsätze und<lb/> der „Feuilletons" in unseren Zeitungen gegen früher sich gewandelt hat. An<lb/> die Stelle jener langatmigen, schwerfälligen, geistlosen, mit Kenntnissen auf¬<lb/> dringlichen, unfarbigen Abhandlungen ist der Prägnante, aktuelle, scheinbar<lb/> spielerische und doch tiefer laugende, an guten Einfällen und leuchtenden<lb/> Einsichten reiche, mit warmem Menschenblut getränkte Essay getreten. Zu bedeutend-<lb/> fast für den Zweck des Tages, dem er dient! (Nicht ohne Erfolg haben darum<lb/> manche Autoren ihre Arbeiten gesammelt herausgeben können). Du bist erstaunt<lb/> über die Vielseitigkeit, mit der diese Journalisten dem weitverzweigten Gewebe<lb/> des reichen Lebens unserer Tage seine Geheimnisse ablauschen, wie sie dem oft<lb/> dunklen Chaos dieses Treibens seinen Sinn zu entlocken und dem bunten Vielerlei<lb/> dieser Erscheinungen Einheit zu geben suchen. Und wenn du tiefer zu schauen<lb/> verstehst und feiner hören kannst, so wirst du oft einen mächtigen Willen erkennen,<lb/> der aus den Zeilen lodert: den heiligen Willen, einer neuen Lebensanschauung,<lb/> zu dienen. Du wirst, verfolgst du das Schaffen irgendeines dieser Geister, immer<lb/> wieder die gleiche Grundstimmung finden, aus der alle Gedanken und Urteile<lb/> emporfluten, und dn wirst immer das gleiche Endziel entdecken, dem seine Hoffnungen<lb/> und Wünsche gelten. Kurz, eine Art philosophischer, religiöser Drang lebt in allen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0209]
Der Schriftsteller in dieser Zeit
Der Schriftsteller in dieser Zeit
ustav Roethe hat einmal in seinem unvergeßlichen Nomantikkolleg
das Wort geprägt: Die Brüder Schlegel sind die beiden großen
Repräsentanten des modernen Journalismus gewesen. Es liegt
in diesem Wort eine überraschende Hochschätzung des heutigen
Schriftstellertnms, eine Hochschätzung, die Zeugnis gibt von den:
bedeutsamen Umschwung und der eminenten Entwicklung, die auf diesem Gebiete
der geistigen Betätigung sich vollzogen. Aber auch von andrer Seite hören wir
starke Bewunderung für das neue Wollen und Können dieser einst so viel
gelästerten „sujets numvais". Und diese Bewunderung ist um so wertvoller, als
sie von einer Seite kommt, die zumeist den: Schriftsteller nicht allzu günstig
gesinnt ist: von einem Dichter. Hugo von Hofmannsthal schreibt in dem zweiten
Bande seiner über die Maßen reizvollen prosaischen Schriften: „Ich halte es für
möglich, und ich glaube irgendwelche Anhaltspunkte für diese Möglichkeit zu haben,
daß wir im nächsten Augenblick eine neue Art deutscher Journalisten werden
hervortreten sehen, deren Geste bedeutend genug sein wird, daß man ihnen
darüber die Leistung wird vergessen dürfen, die nebenbei auch in der momentanen
Beherrschung eines so grenzenlosen Materials liegt. Ich meine kulturelle Journalisten,
wenn man mir dieses Wort erlauben will; und sie werden, wenn ich nicht irre,
für einen Zeitraum den politischen Journalisten, dessen Typus wir kennen und
dessen Haltung durch, eine etwas verblassende Konvention gegeben ist, in den
Schatten stellen." Bedarf es da noch Tatsachen und anderer Beweise für die
Existenz eines neuen, eigen gearteten Schriftstellertums in diesen Tagen? Ich
glaube, kaum. Reizvoller und bedeutsamer scheint es mir vielmehr, den Gründen,
Zusammenhängen und Ausblicken dieser Erscheinung nachzugehen.
Leser, bist du nur einigermaßen über unser modernes Schrifttum unterrichtet,
so ist dir nicht entgangen, wie gewaltig die Art der Zeitschriften-Aufsätze und
der „Feuilletons" in unseren Zeitungen gegen früher sich gewandelt hat. An
die Stelle jener langatmigen, schwerfälligen, geistlosen, mit Kenntnissen auf¬
dringlichen, unfarbigen Abhandlungen ist der Prägnante, aktuelle, scheinbar
spielerische und doch tiefer laugende, an guten Einfällen und leuchtenden
Einsichten reiche, mit warmem Menschenblut getränkte Essay getreten. Zu bedeutend-
fast für den Zweck des Tages, dem er dient! (Nicht ohne Erfolg haben darum
manche Autoren ihre Arbeiten gesammelt herausgeben können). Du bist erstaunt
über die Vielseitigkeit, mit der diese Journalisten dem weitverzweigten Gewebe
des reichen Lebens unserer Tage seine Geheimnisse ablauschen, wie sie dem oft
dunklen Chaos dieses Treibens seinen Sinn zu entlocken und dem bunten Vielerlei
dieser Erscheinungen Einheit zu geben suchen. Und wenn du tiefer zu schauen
verstehst und feiner hören kannst, so wirst du oft einen mächtigen Willen erkennen,
der aus den Zeilen lodert: den heiligen Willen, einer neuen Lebensanschauung,
zu dienen. Du wirst, verfolgst du das Schaffen irgendeines dieser Geister, immer
wieder die gleiche Grundstimmung finden, aus der alle Gedanken und Urteile
emporfluten, und dn wirst immer das gleiche Endziel entdecken, dem seine Hoffnungen
und Wünsche gelten. Kurz, eine Art philosophischer, religiöser Drang lebt in allen
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