Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches ' Reichsspiegel (Der Reichskanzler in Rom. Deutschland und England. Orientpolitik.) Während der Ferien des Reichstags und des preußischen Landtags ist in der An erster Stelle steht die Reise des Reichskanzlers nach Rom. Er Es ist bei dieser Gelegenheit in der italienischen Presse mehrfach mit großer Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches ' Reichsspiegel (Der Reichskanzler in Rom. Deutschland und England. Orientpolitik.) Während der Ferien des Reichstags und des preußischen Landtags ist in der An erster Stelle steht die Reise des Reichskanzlers nach Rom. Er Es ist bei dieser Gelegenheit in der italienischen Presse mehrfach mit großer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315628"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> ' Reichsspiegel</head><lb/> <note type="argument"> (Der Reichskanzler in Rom. Deutschland und England. Orientpolitik.)</note><lb/> <p xml:id="ID_2890"> Während der Ferien des Reichstags und des preußischen Landtags ist in der<lb/> innern Politik eine kleine Ruhepause eingetreten. Die Aufmerksamkeit kann sich<lb/> daher um so mehr der auswärtigen Lage zuwenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2891"> An erster Stelle steht die Reise des Reichskanzlers nach Rom. Er<lb/> ist dort mit Auszeichnung und Herzlichkeit empfangen worden, woraus Wohl<lb/> der Schluß gezogen werden kann, daß die amtliche Politik Italiens den Drei-<lb/> buudgedanken nach wie vor betont wissen will und gern die Gelegenheit<lb/> wahrnimmt, dies zum Ausdruck zu bringen. Wir haben uns wiederholt über<lb/> diese Politik Italiens ausgesprochen. Wir gehören nicht zu denen, die die Gefühle<lb/> unsrer Künstler und Poeten für das Land ihrer Sehnsucht kritiklos auf die Politik<lb/> übertragen, ebensowenig aber auch zu denen, die im Gefühl der Enttäuschung, daß<lb/> unsre Schwärmerei wenig erwidert wird, sich berufen glauben, von dem Dreibund<lb/> und Italiens politischer Rolle mit geringschätziger Merseburg und absprechender<lb/> Bitterkeit zu urteilen. Mit Gefühlsmomenten wird man in diesem Falle nicht<lb/> weit kommen. Daß das italienische Volk in seiner Allgemeinheit eine besondre<lb/> Liebe für das so ganz anders geartete deutsche Volk empfinden soll, ist ein unbilliges<lb/> Verlangen. Aber darauf kommt es auch nicht an, sondern auf die real¬<lb/> politischen Gründe, die beide Nationen veranlassen, gute Freundschaft zu<lb/> halten. Italien kann seine Politik nicht ausschließlich darauf gründen, daß es<lb/> sich als Glied des Dreibundes betrachtet. Es ist in erster Linie Mittelmeer¬<lb/> macht und als solche genötigt, sich oft mit Frankreich und England zu verständigen.<lb/> Aber ebenso notwendig braucht es im Interesse einer selbständigen Politik den<lb/> Rückhalt an den beiden zentralen Kaisermächten. Diese Stellung bringt allerdings<lb/> leicht den Schein einer gewissen Zwiespältigkeit und Zweideutigkeit in die italienische<lb/> Politik, und auswärtige Ereignisse wie populäre Stimmungen sind nicht selten in<lb/> dem Sinne wirksam, daß der böse Schein verstärkt wird. Zuletzt macht sich doch<lb/> die Notwendigkeit geltend, das normale Verhältnis, wie es den wahren Interessen<lb/> der beteiligten Nationen entspricht, wiederherzustellen. Eine Gelegenheit, dieses<lb/> Verhältnis wärmer und entschiedener zu betonen, bietet eben der Besuch des<lb/> deutschen Reichskanzlers. Herr v. Bethmann Hollweg traf zu einem Zeitpunkte<lb/> in Rom ein, der vielleicht nicht günstig gewählt erscheinen konnte. Das Mini¬<lb/> sterium Sonuino hatte soeben seine Entlassung gegeben, und die innere Lage des<lb/> Königreichs war schwierig und unklar. Aber König Viktor Emanuel hatte aus¬<lb/> drücklich gewünscht, daß der Besuch nicht aufgeschoben würde, indem er hierdurch<lb/> in der liebenswürdigsten Form -bekundete, daß er in der Anwesenheit des leitenden<lb/> Staatsmanns des befreundeten Reichs nicht nur eine Gelegenheit zu amtlichen<lb/> Besprechungen, sondern eine ihm persönlich geltende Aufmerksamkeit sehen wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2892" next="#ID_2893"> Es ist bei dieser Gelegenheit in der italienischen Presse mehrfach mit großer<lb/> Genugtuung hervorgehoben worden, daß sich die Beziehungen zwischen Deutschland<lb/> und England gebessert hatten. So ausgedrückt, könnte das freilich zu einem<lb/> Mißverständnis Anlaß geben. Auf deutscher Seite hat man in der letzten Zeit<lb/> nie das Bedürfnis gehabt, sich zu England weniger freundlich zu stellen; man hat<lb/> nur mit Erstaunen — anfangs um mit verständnislosen Erstaunen, später<lb/> natürlich mit ärgerlichem und entrüsteten Erstaunen — die uach unsern Begriffen<lb/> krankhaften Erscheinungen beobachtet, von denen unsre Vettern jenseits des Kanals<lb/> befallen schienen. Leute, die den Zusammenhang dieser sonderbaren Nervosität</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0631]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
' Reichsspiegel
(Der Reichskanzler in Rom. Deutschland und England. Orientpolitik.)
Während der Ferien des Reichstags und des preußischen Landtags ist in der
innern Politik eine kleine Ruhepause eingetreten. Die Aufmerksamkeit kann sich
daher um so mehr der auswärtigen Lage zuwenden.
An erster Stelle steht die Reise des Reichskanzlers nach Rom. Er
ist dort mit Auszeichnung und Herzlichkeit empfangen worden, woraus Wohl
der Schluß gezogen werden kann, daß die amtliche Politik Italiens den Drei-
buudgedanken nach wie vor betont wissen will und gern die Gelegenheit
wahrnimmt, dies zum Ausdruck zu bringen. Wir haben uns wiederholt über
diese Politik Italiens ausgesprochen. Wir gehören nicht zu denen, die die Gefühle
unsrer Künstler und Poeten für das Land ihrer Sehnsucht kritiklos auf die Politik
übertragen, ebensowenig aber auch zu denen, die im Gefühl der Enttäuschung, daß
unsre Schwärmerei wenig erwidert wird, sich berufen glauben, von dem Dreibund
und Italiens politischer Rolle mit geringschätziger Merseburg und absprechender
Bitterkeit zu urteilen. Mit Gefühlsmomenten wird man in diesem Falle nicht
weit kommen. Daß das italienische Volk in seiner Allgemeinheit eine besondre
Liebe für das so ganz anders geartete deutsche Volk empfinden soll, ist ein unbilliges
Verlangen. Aber darauf kommt es auch nicht an, sondern auf die real¬
politischen Gründe, die beide Nationen veranlassen, gute Freundschaft zu
halten. Italien kann seine Politik nicht ausschließlich darauf gründen, daß es
sich als Glied des Dreibundes betrachtet. Es ist in erster Linie Mittelmeer¬
macht und als solche genötigt, sich oft mit Frankreich und England zu verständigen.
Aber ebenso notwendig braucht es im Interesse einer selbständigen Politik den
Rückhalt an den beiden zentralen Kaisermächten. Diese Stellung bringt allerdings
leicht den Schein einer gewissen Zwiespältigkeit und Zweideutigkeit in die italienische
Politik, und auswärtige Ereignisse wie populäre Stimmungen sind nicht selten in
dem Sinne wirksam, daß der böse Schein verstärkt wird. Zuletzt macht sich doch
die Notwendigkeit geltend, das normale Verhältnis, wie es den wahren Interessen
der beteiligten Nationen entspricht, wiederherzustellen. Eine Gelegenheit, dieses
Verhältnis wärmer und entschiedener zu betonen, bietet eben der Besuch des
deutschen Reichskanzlers. Herr v. Bethmann Hollweg traf zu einem Zeitpunkte
in Rom ein, der vielleicht nicht günstig gewählt erscheinen konnte. Das Mini¬
sterium Sonuino hatte soeben seine Entlassung gegeben, und die innere Lage des
Königreichs war schwierig und unklar. Aber König Viktor Emanuel hatte aus¬
drücklich gewünscht, daß der Besuch nicht aufgeschoben würde, indem er hierdurch
in der liebenswürdigsten Form -bekundete, daß er in der Anwesenheit des leitenden
Staatsmanns des befreundeten Reichs nicht nur eine Gelegenheit zu amtlichen
Besprechungen, sondern eine ihm persönlich geltende Aufmerksamkeit sehen wollte.
Es ist bei dieser Gelegenheit in der italienischen Presse mehrfach mit großer
Genugtuung hervorgehoben worden, daß sich die Beziehungen zwischen Deutschland
und England gebessert hatten. So ausgedrückt, könnte das freilich zu einem
Mißverständnis Anlaß geben. Auf deutscher Seite hat man in der letzten Zeit
nie das Bedürfnis gehabt, sich zu England weniger freundlich zu stellen; man hat
nur mit Erstaunen — anfangs um mit verständnislosen Erstaunen, später
natürlich mit ärgerlichem und entrüsteten Erstaunen — die uach unsern Begriffen
krankhaften Erscheinungen beobachtet, von denen unsre Vettern jenseits des Kanals
befallen schienen. Leute, die den Zusammenhang dieser sonderbaren Nervosität
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