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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Lismarcks

z. B. läßt in dieser Beziehung mehr Abweichungen zu als Preußen. Aber
es ist natürlich, die Wählerzahl für einen Abgeordneten nicht zu Abnormitäten
anwachsen zu lassen. So wenig wünschenswert es ist, die Zahl der Ab- -
geordneten in Preußen noch zu vermehren, so kann man hier einer gewissen
Entwickelung nicht aus den: Wege gehen, wenn man es vermeiden will, daß
die Axt an die Wurzel der bestehenden Wahlkreiseinteilung gelegt wird. Das
streben die Nationalliberalen aber auch uicht an und deshalb sollte man ihnen
von konservativer Seite hinsichtlich ihres modifizierten Wunsches Entgegen¬
kommen zeigen.

Nach diesen Darlegungen scheint eine durch das Herrenhaus herbei¬
zuführende Verständigung nicht ausgeschlossen. Voraussetzung dabei ist, daß
die Regierung aus ihrer Passivität heraustritt und sich diejenigen Vorschläge
zu eigen macht, die eine Verständigung einschließen. Voraussetzung bildet auch,
daß das Zentrum hinsichtlich des springenden Punktes der Drittelung in den
Gemeinden ein Entgegenkommen zeigt. Will es den von ihm selbst aus¬
gesprochenen Wunsch, die Wahlrechtsvorlage auf möglichst breiter Basis zum
Abschied zu bringen, Erfüllung verschaffen, so kann es die Reform unbeschadet
des Vertrauens auf den Ernst seiner Zusage an einer reinen Machtfrage, durch
die die Gerechtigkeit in hohem Maße verletzt wird, unmöglich scheitern lassen.




Die religiösen Grundlagen
der politischen Anschauungen Bismarcks
von Richard Linder

n der von Horneffer herausgegebenen Zeitschrift "Die Tat. Wege
zu freiem Menschentum" erschien im Juli vorigen Jahres ein
Aussatz aus dem Nachlaß des Baseler Kirchenhistorikers Fr. Overbeck.
Die Abhandlung, "Bismarck und das Christentum" betitelt, stellt
eine so wenig zutreffende Auffassung der religiösen Persönlichkeit
Bismarcks dar, daß es ein Unrecht wäre, sie ohne Widerspruch
zu lassen. Der Verfasser stellt den Satz auf, "daß Bismarck für seine Zeit der
wirksamste Prediger der Entbehrlichkeit der Religion für alle irdische Wirksamkeit
gewesen ist, daß er die Religion lediglich den Anforderungen seines Berufes
als Staatsmann unterwarf, daß man ein eingefleischter Pfaffe sein muß, um
an Bismarck von Religion zu reden viel Anlaß finden zu können, und daß er
viel zu sehr unter die großen Heiden der Neuzeit gehöre, um bei dem Vergleich
mit Luther nicht in der Echtheit seiner Größe komprimittiert zu werden".

Diese Ansichten finden ihre Erklärung darin, daß der Verfasser von dem
Grundirrtum ausgeht, Bismarck habe sich seine Religion zurechtgebaut, um sein


Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Lismarcks

z. B. läßt in dieser Beziehung mehr Abweichungen zu als Preußen. Aber
es ist natürlich, die Wählerzahl für einen Abgeordneten nicht zu Abnormitäten
anwachsen zu lassen. So wenig wünschenswert es ist, die Zahl der Ab- -
geordneten in Preußen noch zu vermehren, so kann man hier einer gewissen
Entwickelung nicht aus den: Wege gehen, wenn man es vermeiden will, daß
die Axt an die Wurzel der bestehenden Wahlkreiseinteilung gelegt wird. Das
streben die Nationalliberalen aber auch uicht an und deshalb sollte man ihnen
von konservativer Seite hinsichtlich ihres modifizierten Wunsches Entgegen¬
kommen zeigen.

Nach diesen Darlegungen scheint eine durch das Herrenhaus herbei¬
zuführende Verständigung nicht ausgeschlossen. Voraussetzung dabei ist, daß
die Regierung aus ihrer Passivität heraustritt und sich diejenigen Vorschläge
zu eigen macht, die eine Verständigung einschließen. Voraussetzung bildet auch,
daß das Zentrum hinsichtlich des springenden Punktes der Drittelung in den
Gemeinden ein Entgegenkommen zeigt. Will es den von ihm selbst aus¬
gesprochenen Wunsch, die Wahlrechtsvorlage auf möglichst breiter Basis zum
Abschied zu bringen, Erfüllung verschaffen, so kann es die Reform unbeschadet
des Vertrauens auf den Ernst seiner Zusage an einer reinen Machtfrage, durch
die die Gerechtigkeit in hohem Maße verletzt wird, unmöglich scheitern lassen.




Die religiösen Grundlagen
der politischen Anschauungen Bismarcks
von Richard Linder

n der von Horneffer herausgegebenen Zeitschrift „Die Tat. Wege
zu freiem Menschentum" erschien im Juli vorigen Jahres ein
Aussatz aus dem Nachlaß des Baseler Kirchenhistorikers Fr. Overbeck.
Die Abhandlung, „Bismarck und das Christentum" betitelt, stellt
eine so wenig zutreffende Auffassung der religiösen Persönlichkeit
Bismarcks dar, daß es ein Unrecht wäre, sie ohne Widerspruch
zu lassen. Der Verfasser stellt den Satz auf, „daß Bismarck für seine Zeit der
wirksamste Prediger der Entbehrlichkeit der Religion für alle irdische Wirksamkeit
gewesen ist, daß er die Religion lediglich den Anforderungen seines Berufes
als Staatsmann unterwarf, daß man ein eingefleischter Pfaffe sein muß, um
an Bismarck von Religion zu reden viel Anlaß finden zu können, und daß er
viel zu sehr unter die großen Heiden der Neuzeit gehöre, um bei dem Vergleich
mit Luther nicht in der Echtheit seiner Größe komprimittiert zu werden".

Diese Ansichten finden ihre Erklärung darin, daß der Verfasser von dem
Grundirrtum ausgeht, Bismarck habe sich seine Religion zurechtgebaut, um sein


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[0596] Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Lismarcks z. B. läßt in dieser Beziehung mehr Abweichungen zu als Preußen. Aber es ist natürlich, die Wählerzahl für einen Abgeordneten nicht zu Abnormitäten anwachsen zu lassen. So wenig wünschenswert es ist, die Zahl der Ab- - geordneten in Preußen noch zu vermehren, so kann man hier einer gewissen Entwickelung nicht aus den: Wege gehen, wenn man es vermeiden will, daß die Axt an die Wurzel der bestehenden Wahlkreiseinteilung gelegt wird. Das streben die Nationalliberalen aber auch uicht an und deshalb sollte man ihnen von konservativer Seite hinsichtlich ihres modifizierten Wunsches Entgegen¬ kommen zeigen. Nach diesen Darlegungen scheint eine durch das Herrenhaus herbei¬ zuführende Verständigung nicht ausgeschlossen. Voraussetzung dabei ist, daß die Regierung aus ihrer Passivität heraustritt und sich diejenigen Vorschläge zu eigen macht, die eine Verständigung einschließen. Voraussetzung bildet auch, daß das Zentrum hinsichtlich des springenden Punktes der Drittelung in den Gemeinden ein Entgegenkommen zeigt. Will es den von ihm selbst aus¬ gesprochenen Wunsch, die Wahlrechtsvorlage auf möglichst breiter Basis zum Abschied zu bringen, Erfüllung verschaffen, so kann es die Reform unbeschadet des Vertrauens auf den Ernst seiner Zusage an einer reinen Machtfrage, durch die die Gerechtigkeit in hohem Maße verletzt wird, unmöglich scheitern lassen. Die religiösen Grundlagen der politischen Anschauungen Bismarcks von Richard Linder n der von Horneffer herausgegebenen Zeitschrift „Die Tat. Wege zu freiem Menschentum" erschien im Juli vorigen Jahres ein Aussatz aus dem Nachlaß des Baseler Kirchenhistorikers Fr. Overbeck. Die Abhandlung, „Bismarck und das Christentum" betitelt, stellt eine so wenig zutreffende Auffassung der religiösen Persönlichkeit Bismarcks dar, daß es ein Unrecht wäre, sie ohne Widerspruch zu lassen. Der Verfasser stellt den Satz auf, „daß Bismarck für seine Zeit der wirksamste Prediger der Entbehrlichkeit der Religion für alle irdische Wirksamkeit gewesen ist, daß er die Religion lediglich den Anforderungen seines Berufes als Staatsmann unterwarf, daß man ein eingefleischter Pfaffe sein muß, um an Bismarck von Religion zu reden viel Anlaß finden zu können, und daß er viel zu sehr unter die großen Heiden der Neuzeit gehöre, um bei dem Vergleich mit Luther nicht in der Echtheit seiner Größe komprimittiert zu werden". Diese Ansichten finden ihre Erklärung darin, daß der Verfasser von dem Grundirrtum ausgeht, Bismarck habe sich seine Religion zurechtgebaut, um sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/596>, abgerufen am 04.07.2024.