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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung
2. die Zulassung der Auswahl von Wahlmännern in den Urwahlbezirken
aus dem zugehörigen Landkreise;
3. Beseitigung der Ein- und Zweimännerwahlabteilungen;
4. eine anderweitige Regelung der Privilegierung von Urwählern;
5. Vermehrung der Abgeordnetenzahl in den größeren Wahlbezirken.
Die Freikonservativen machen die Forderung zu 1 zur Voraussetzung ihrer

Zustimmung zum Gesetz und halten im übrigen die anderweitige Regelung der
übrigen Punkte zum Teil für wünschenswert.

Die Drittelung in den Gemeinden.

Bis zum Jahre 1892 wurde die Gesamtsteuer einer Gemeinde in drei
Teile geteilt. Die Steuerzahler des ersten Drittels wurden der ersten Abteilung,
des zweitens Drittels und so weiter fort der zweiten und dritten Abteilung zu¬
gewiesen. Wenn in einem Urwahlbezirk kein Wähler der ersten oder zweiten
Abteilung vorhanden war, so erfolgte aushilfsweise eine Steuerdrittelung in dem
betreffenden Urwahlbezirk. Diese Ausnahme ist seitdem zur Regel gemacht
worden, weil man infolge der damals eingeführten progressiven Einkommensteuer
befürchtete, die Steuerzahler der höheren Stufen zu stark gegenüber denjenigen
der niederen Stufen in ihrem nach der Steuer berechneten Wahlrecht zu
begünstigen. Dadurch sind die bekannten Wahlkarikaturen entstanden, daß z. B.
ein wohlhabender Fabrikbesitzer in einer .reichen Provinzialstadt des Westens
mit mehr als 5000 M. Steuern in der dritten Abteilung, sein Beamter mit
160 M. Steuern in der ersten Abteilung wählt, oder daß in Berlin ein Arbeiter,
der im Norden der Stadt wohnt, in der ersten Abteilung, sein Arbeitgeber im
Tiergartenviertel in der dritten Abteilung sein Wahlrecht ausübt. Der Führer
einer Partei bezeichnete seine damalige Beteiligung an dieser gesetzlichen Fest¬
legung als eine Torheit. Jedenfalls durchbricht sie vollständig das Prinzip des
abgestuften Wahlrechtes in einer Gemeinde nach Maßgabe der Steuerzahlung.
Je mehr die moderne Städteentwicklung dahin geht, daß sich reine Arbeiter¬
viertel auf der einen Seite bilden und die Wohlhabenden auf der anderen
Seite ihre Häuser bauen oder mieten, desto stärker wird das Mißverhältnis in
einer Gemeinde zwischen Steuerzahlung und Wahlrecht. In einer Stadt mit
19 000 Wählern und einem Steuersoll von 6 000 000 M. sollen nach der
Steuerdrittelung durch die Gemeinde wählen in der

I. Abteilung 900 Steuerzahler mit einem Endsteuersatz von 1600 M.
II. Abteilung 2300 Steuerzahler mit einem Endsteuersntz von 300 M.
III. Abteilung 16 300 Steuerzahler mit einem Eudsteuersatz von 3 M,

Infolge der Drittelung in 170 Urwahlbezirken wählen aber in der

I. Abteilung nur 640 Wähler
II. Abteilung nur 1960 Wähler
III. Abteilung aber 16 400 Wähler

Es wählen demnach in der ersten und zweiten Abteilung in letzterem Falle 1100 Steuer¬
zahler weniger als bei der Drittelung der Gemeinde. Aber die für die 170 Urwahl-
bezirke übriggebliebenen 2600 Wähler der ersten und zweiten Abteilung


Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung
2. die Zulassung der Auswahl von Wahlmännern in den Urwahlbezirken
aus dem zugehörigen Landkreise;
3. Beseitigung der Ein- und Zweimännerwahlabteilungen;
4. eine anderweitige Regelung der Privilegierung von Urwählern;
5. Vermehrung der Abgeordnetenzahl in den größeren Wahlbezirken.
Die Freikonservativen machen die Forderung zu 1 zur Voraussetzung ihrer

Zustimmung zum Gesetz und halten im übrigen die anderweitige Regelung der
übrigen Punkte zum Teil für wünschenswert.

Die Drittelung in den Gemeinden.

Bis zum Jahre 1892 wurde die Gesamtsteuer einer Gemeinde in drei
Teile geteilt. Die Steuerzahler des ersten Drittels wurden der ersten Abteilung,
des zweitens Drittels und so weiter fort der zweiten und dritten Abteilung zu¬
gewiesen. Wenn in einem Urwahlbezirk kein Wähler der ersten oder zweiten
Abteilung vorhanden war, so erfolgte aushilfsweise eine Steuerdrittelung in dem
betreffenden Urwahlbezirk. Diese Ausnahme ist seitdem zur Regel gemacht
worden, weil man infolge der damals eingeführten progressiven Einkommensteuer
befürchtete, die Steuerzahler der höheren Stufen zu stark gegenüber denjenigen
der niederen Stufen in ihrem nach der Steuer berechneten Wahlrecht zu
begünstigen. Dadurch sind die bekannten Wahlkarikaturen entstanden, daß z. B.
ein wohlhabender Fabrikbesitzer in einer .reichen Provinzialstadt des Westens
mit mehr als 5000 M. Steuern in der dritten Abteilung, sein Beamter mit
160 M. Steuern in der ersten Abteilung wählt, oder daß in Berlin ein Arbeiter,
der im Norden der Stadt wohnt, in der ersten Abteilung, sein Arbeitgeber im
Tiergartenviertel in der dritten Abteilung sein Wahlrecht ausübt. Der Führer
einer Partei bezeichnete seine damalige Beteiligung an dieser gesetzlichen Fest¬
legung als eine Torheit. Jedenfalls durchbricht sie vollständig das Prinzip des
abgestuften Wahlrechtes in einer Gemeinde nach Maßgabe der Steuerzahlung.
Je mehr die moderne Städteentwicklung dahin geht, daß sich reine Arbeiter¬
viertel auf der einen Seite bilden und die Wohlhabenden auf der anderen
Seite ihre Häuser bauen oder mieten, desto stärker wird das Mißverhältnis in
einer Gemeinde zwischen Steuerzahlung und Wahlrecht. In einer Stadt mit
19 000 Wählern und einem Steuersoll von 6 000 000 M. sollen nach der
Steuerdrittelung durch die Gemeinde wählen in der

I. Abteilung 900 Steuerzahler mit einem Endsteuersatz von 1600 M.
II. Abteilung 2300 Steuerzahler mit einem Endsteuersntz von 300 M.
III. Abteilung 16 300 Steuerzahler mit einem Eudsteuersatz von 3 M,

Infolge der Drittelung in 170 Urwahlbezirken wählen aber in der

I. Abteilung nur 640 Wähler
II. Abteilung nur 1960 Wähler
III. Abteilung aber 16 400 Wähler

Es wählen demnach in der ersten und zweiten Abteilung in letzterem Falle 1100 Steuer¬
zahler weniger als bei der Drittelung der Gemeinde. Aber die für die 170 Urwahl-
bezirke übriggebliebenen 2600 Wähler der ersten und zweiten Abteilung


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[0592] Die Mahlrechtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung 2. die Zulassung der Auswahl von Wahlmännern in den Urwahlbezirken aus dem zugehörigen Landkreise; 3. Beseitigung der Ein- und Zweimännerwahlabteilungen; 4. eine anderweitige Regelung der Privilegierung von Urwählern; 5. Vermehrung der Abgeordnetenzahl in den größeren Wahlbezirken. Die Freikonservativen machen die Forderung zu 1 zur Voraussetzung ihrer Zustimmung zum Gesetz und halten im übrigen die anderweitige Regelung der übrigen Punkte zum Teil für wünschenswert. Die Drittelung in den Gemeinden. Bis zum Jahre 1892 wurde die Gesamtsteuer einer Gemeinde in drei Teile geteilt. Die Steuerzahler des ersten Drittels wurden der ersten Abteilung, des zweitens Drittels und so weiter fort der zweiten und dritten Abteilung zu¬ gewiesen. Wenn in einem Urwahlbezirk kein Wähler der ersten oder zweiten Abteilung vorhanden war, so erfolgte aushilfsweise eine Steuerdrittelung in dem betreffenden Urwahlbezirk. Diese Ausnahme ist seitdem zur Regel gemacht worden, weil man infolge der damals eingeführten progressiven Einkommensteuer befürchtete, die Steuerzahler der höheren Stufen zu stark gegenüber denjenigen der niederen Stufen in ihrem nach der Steuer berechneten Wahlrecht zu begünstigen. Dadurch sind die bekannten Wahlkarikaturen entstanden, daß z. B. ein wohlhabender Fabrikbesitzer in einer .reichen Provinzialstadt des Westens mit mehr als 5000 M. Steuern in der dritten Abteilung, sein Beamter mit 160 M. Steuern in der ersten Abteilung wählt, oder daß in Berlin ein Arbeiter, der im Norden der Stadt wohnt, in der ersten Abteilung, sein Arbeitgeber im Tiergartenviertel in der dritten Abteilung sein Wahlrecht ausübt. Der Führer einer Partei bezeichnete seine damalige Beteiligung an dieser gesetzlichen Fest¬ legung als eine Torheit. Jedenfalls durchbricht sie vollständig das Prinzip des abgestuften Wahlrechtes in einer Gemeinde nach Maßgabe der Steuerzahlung. Je mehr die moderne Städteentwicklung dahin geht, daß sich reine Arbeiter¬ viertel auf der einen Seite bilden und die Wohlhabenden auf der anderen Seite ihre Häuser bauen oder mieten, desto stärker wird das Mißverhältnis in einer Gemeinde zwischen Steuerzahlung und Wahlrecht. In einer Stadt mit 19 000 Wählern und einem Steuersoll von 6 000 000 M. sollen nach der Steuerdrittelung durch die Gemeinde wählen in der I. Abteilung 900 Steuerzahler mit einem Endsteuersatz von 1600 M. II. Abteilung 2300 Steuerzahler mit einem Endsteuersntz von 300 M. III. Abteilung 16 300 Steuerzahler mit einem Eudsteuersatz von 3 M, Infolge der Drittelung in 170 Urwahlbezirken wählen aber in der I. Abteilung nur 640 Wähler II. Abteilung nur 1960 Wähler III. Abteilung aber 16 400 Wähler Es wählen demnach in der ersten und zweiten Abteilung in letzterem Falle 1100 Steuer¬ zahler weniger als bei der Drittelung der Gemeinde. Aber die für die 170 Urwahl- bezirke übriggebliebenen 2600 Wähler der ersten und zweiten Abteilung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/592>, abgerufen am 04.07.2024.