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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Aindcrreime


Moderne Ainderreime

em sind nicht jene altüberkommenen Wiegenlieder, Spielverse und
andere Kinderreime bekannt, die von Müttern, Großeltern und
Kinderwärterinnen in der Kinderstube und von den spiellustigen
Kleinen selbst in fröhlichen Reigen und bei anderen Gelegenheiten
gesungen werden. Ist es doch fast überall so, wie Rückert von
seiner Jugend sagt:

Vertraut mutet uns das "Schlaf, Kindchen, schlaf!", das "Hopp, hopp,
Reiterlein", das "Schneckenhaus, komm heraus" an und noch vieles andere, alles
lauter altehrwürdige Bekannte nicht nur ans unserer eigenen frohen Jugendzeit,
sondern aus der Ahnen Erzieherweisheit, Reime, die im Verein und Verkehr mit
den Kindern entstanden, von diesen selbst gefördert und mit aufgebaut sind.

Geschieht das heute noch? Entstehen auch jetzt solche Produkte der Kinder¬
weisheit? Dem aufmerksamen Beobachter des Kinderlebens kann es nicht ent¬
gehen, daß die sprudelnde Phantasie der Kleinen nach dieser Richtung hin noch
nicht vertrocknet ist, wenn ihre Produkte auch leider für gewöhnlich nur kurzlebig
sind und jener allgemeinen Verbreitung entbehren, die den alten Reimen eigen¬
tümlich ist. Einige wenige, denen man so recht ansehen kann, daß sie neueren
Ursprungs sind, mögen hier folgen.

Aus einem auf dem Lande noch heute gekannten Gansreime entstand der
neue, den ich in Offenbach a. M. hörte:

Auch folgender Reim hat der elektrischen Straßenbahn seine Entstehung zu
verdanken.

Wie die Elektrische,.so hat den Kindern auch das modernste Straßenverkchrsmittel
Gelegenheit gegeben, sich im Reimen zu üben; das Automobil wird besungen:

Töff, loff. loff,
Wer kommt denn dn gefahren?
Töff, loff, loff,
Ein Mann mit schwarzen Harren. --
Töff, loff, loff,
Wo geht die Reise hin?
Töff, loff, loff,
Nach Frankfurt, Köller, Düsseldorf,
Töff, loff, loff,
Nach Pommern und Berlin.

Moderne Aindcrreime


Moderne Ainderreime

em sind nicht jene altüberkommenen Wiegenlieder, Spielverse und
andere Kinderreime bekannt, die von Müttern, Großeltern und
Kinderwärterinnen in der Kinderstube und von den spiellustigen
Kleinen selbst in fröhlichen Reigen und bei anderen Gelegenheiten
gesungen werden. Ist es doch fast überall so, wie Rückert von
seiner Jugend sagt:

Vertraut mutet uns das „Schlaf, Kindchen, schlaf!", das „Hopp, hopp,
Reiterlein", das „Schneckenhaus, komm heraus" an und noch vieles andere, alles
lauter altehrwürdige Bekannte nicht nur ans unserer eigenen frohen Jugendzeit,
sondern aus der Ahnen Erzieherweisheit, Reime, die im Verein und Verkehr mit
den Kindern entstanden, von diesen selbst gefördert und mit aufgebaut sind.

Geschieht das heute noch? Entstehen auch jetzt solche Produkte der Kinder¬
weisheit? Dem aufmerksamen Beobachter des Kinderlebens kann es nicht ent¬
gehen, daß die sprudelnde Phantasie der Kleinen nach dieser Richtung hin noch
nicht vertrocknet ist, wenn ihre Produkte auch leider für gewöhnlich nur kurzlebig
sind und jener allgemeinen Verbreitung entbehren, die den alten Reimen eigen¬
tümlich ist. Einige wenige, denen man so recht ansehen kann, daß sie neueren
Ursprungs sind, mögen hier folgen.

Aus einem auf dem Lande noch heute gekannten Gansreime entstand der
neue, den ich in Offenbach a. M. hörte:

Auch folgender Reim hat der elektrischen Straßenbahn seine Entstehung zu
verdanken.

Wie die Elektrische,.so hat den Kindern auch das modernste Straßenverkchrsmittel
Gelegenheit gegeben, sich im Reimen zu üben; das Automobil wird besungen:

Töff, loff. loff,
Wer kommt denn dn gefahren?
Töff, loff, loff,
Ein Mann mit schwarzen Harren. —
Töff, loff, loff,
Wo geht die Reise hin?
Töff, loff, loff,
Nach Frankfurt, Köller, Düsseldorf,
Töff, loff, loff,
Nach Pommern und Berlin.

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[0537] Moderne Aindcrreime Moderne Ainderreime em sind nicht jene altüberkommenen Wiegenlieder, Spielverse und andere Kinderreime bekannt, die von Müttern, Großeltern und Kinderwärterinnen in der Kinderstube und von den spiellustigen Kleinen selbst in fröhlichen Reigen und bei anderen Gelegenheiten gesungen werden. Ist es doch fast überall so, wie Rückert von seiner Jugend sagt: Vertraut mutet uns das „Schlaf, Kindchen, schlaf!", das „Hopp, hopp, Reiterlein", das „Schneckenhaus, komm heraus" an und noch vieles andere, alles lauter altehrwürdige Bekannte nicht nur ans unserer eigenen frohen Jugendzeit, sondern aus der Ahnen Erzieherweisheit, Reime, die im Verein und Verkehr mit den Kindern entstanden, von diesen selbst gefördert und mit aufgebaut sind. Geschieht das heute noch? Entstehen auch jetzt solche Produkte der Kinder¬ weisheit? Dem aufmerksamen Beobachter des Kinderlebens kann es nicht ent¬ gehen, daß die sprudelnde Phantasie der Kleinen nach dieser Richtung hin noch nicht vertrocknet ist, wenn ihre Produkte auch leider für gewöhnlich nur kurzlebig sind und jener allgemeinen Verbreitung entbehren, die den alten Reimen eigen¬ tümlich ist. Einige wenige, denen man so recht ansehen kann, daß sie neueren Ursprungs sind, mögen hier folgen. Aus einem auf dem Lande noch heute gekannten Gansreime entstand der neue, den ich in Offenbach a. M. hörte: Auch folgender Reim hat der elektrischen Straßenbahn seine Entstehung zu verdanken. Wie die Elektrische,.so hat den Kindern auch das modernste Straßenverkchrsmittel Gelegenheit gegeben, sich im Reimen zu üben; das Automobil wird besungen: Töff, loff. loff, Wer kommt denn dn gefahren? Töff, loff, loff, Ein Mann mit schwarzen Harren. — Töff, loff, loff, Wo geht die Reise hin? Töff, loff, loff, Nach Frankfurt, Köller, Düsseldorf, Töff, loff, loff, Nach Pommern und Berlin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/537>, abgerufen am 21.12.2024.