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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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ZINN siebzigsten Geburtstage Gelo Licbmcmns

In diesem Fall hatte die magyarische Regierung übrigens eine besonders
unglückliche Hand, Wegen "Aufreizung gegen die magyarische Nation" unter
Anklage gestellt war ein Artikel, der nichts enthielt als eine nicht besonders
geschmackvolle, aber absolut harmlose Lobpreisung des schwäbischen Volksstammes.
Der Artikel stammte von einem ungarischen Militärarzt -- dem wegen desselben
nichts geschah -- und auch das Gericht erster Instanz erkannte auf Freisprechung,
nachdem der Staatsanwalt selbst erklärt hatte, daß in dein Aufsatz nichts von
Aufreizung enthalten sei. Erst der höheren Instanz blieb es vorbehalten, das
verdammende Urteil auszusprechen, welches von der Königl. Kurie in einer
Sitzung von fünf Minuten bestätigt wurde. Solche Dinge dürfen nicht mehr
oft vorkommen, sonst werden die magyarischen Chauvinisten erleben, daß die
jetzt noch weitverbreitete politische Indifferenz der schwäbischen Bauern in
politischen Eigensinn umschlägt. Diesen politischen Eigensinn -- im guten wie
im schlimmen -- haben fast alle württembergischen Fürsten im Kampf mit der
Landschaft (Vertretung der Stände) kennen gelernt und dein König Wilhelm dem
Ersten von Württemberg hat er die Klage abgepreßt: "Das erste Wort, das
der Schwabe ausspricht, heißt ,Noi, cela'". Wie diesem seinem König gegen¬
über einst Ludwig Uhland "das alte gute (landständische) Recht" verfocht (,^das
Recht, das uns Gesetze gibt, die keine Willkür bricht"), so sind auch unter den
Schwaben Ungarns Männer bereit, für das durch keine Untreue verwirkte alte
gute Recht zu kämpfen, das unter der Ägide des ritterlichen und gerechten Deal
festgesetzt worden ist, das Recht, das den Ungarn jeglicher Nationalität und
jeglicher Konfession den ungestörten Genuß dieser Güter zusichern und die
Möglichkeit freudiger und aufopfernder Mitarbeit am Wohle des Staats geben
wollte und hätte geben können.




Zum siebzigsten Geburtstage Gelo Liebmanns
von 'Fritz Medicus

in 25.^Februar vollendete Otto Liebmann sein siebzigstes Lebens¬
jahr. Seit dem Herbst 1882 wirkt er als ordentlicher Professor
der Philosophie in Jena. Vorher schon hatte er die üblichen
drei Stufen der akademischen Laufbahn an den Universitäten
Wingen und Straßburg durchmessen. Die begriffliche Klarheit
und die künstlerische Form seiner Vorlesungen hat in der jlangen Zeit seiner
Lehrwirksamkeit eine gewaltige Schar von Studenten in seine Hörsäle gezogen,
und viele, die seinen Geburtstag wissen oder ihn in diesen Tagen durch die
Presse erfahren, werden in Gedanken zurückkehren nach dem großen Auditorium
im ersten Stock des alten Jenaer Kollegiengebäudes, oder welches immer die
Stätte gewesen sein mag, an der sie sich von ihm haben führen lassen durch


ZINN siebzigsten Geburtstage Gelo Licbmcmns

In diesem Fall hatte die magyarische Regierung übrigens eine besonders
unglückliche Hand, Wegen „Aufreizung gegen die magyarische Nation" unter
Anklage gestellt war ein Artikel, der nichts enthielt als eine nicht besonders
geschmackvolle, aber absolut harmlose Lobpreisung des schwäbischen Volksstammes.
Der Artikel stammte von einem ungarischen Militärarzt — dem wegen desselben
nichts geschah — und auch das Gericht erster Instanz erkannte auf Freisprechung,
nachdem der Staatsanwalt selbst erklärt hatte, daß in dein Aufsatz nichts von
Aufreizung enthalten sei. Erst der höheren Instanz blieb es vorbehalten, das
verdammende Urteil auszusprechen, welches von der Königl. Kurie in einer
Sitzung von fünf Minuten bestätigt wurde. Solche Dinge dürfen nicht mehr
oft vorkommen, sonst werden die magyarischen Chauvinisten erleben, daß die
jetzt noch weitverbreitete politische Indifferenz der schwäbischen Bauern in
politischen Eigensinn umschlägt. Diesen politischen Eigensinn — im guten wie
im schlimmen — haben fast alle württembergischen Fürsten im Kampf mit der
Landschaft (Vertretung der Stände) kennen gelernt und dein König Wilhelm dem
Ersten von Württemberg hat er die Klage abgepreßt: „Das erste Wort, das
der Schwabe ausspricht, heißt ,Noi, cela'". Wie diesem seinem König gegen¬
über einst Ludwig Uhland „das alte gute (landständische) Recht" verfocht (,^das
Recht, das uns Gesetze gibt, die keine Willkür bricht"), so sind auch unter den
Schwaben Ungarns Männer bereit, für das durch keine Untreue verwirkte alte
gute Recht zu kämpfen, das unter der Ägide des ritterlichen und gerechten Deal
festgesetzt worden ist, das Recht, das den Ungarn jeglicher Nationalität und
jeglicher Konfession den ungestörten Genuß dieser Güter zusichern und die
Möglichkeit freudiger und aufopfernder Mitarbeit am Wohle des Staats geben
wollte und hätte geben können.




Zum siebzigsten Geburtstage Gelo Liebmanns
von 'Fritz Medicus

in 25.^Februar vollendete Otto Liebmann sein siebzigstes Lebens¬
jahr. Seit dem Herbst 1882 wirkt er als ordentlicher Professor
der Philosophie in Jena. Vorher schon hatte er die üblichen
drei Stufen der akademischen Laufbahn an den Universitäten
Wingen und Straßburg durchmessen. Die begriffliche Klarheit
und die künstlerische Form seiner Vorlesungen hat in der jlangen Zeit seiner
Lehrwirksamkeit eine gewaltige Schar von Studenten in seine Hörsäle gezogen,
und viele, die seinen Geburtstag wissen oder ihn in diesen Tagen durch die
Presse erfahren, werden in Gedanken zurückkehren nach dem großen Auditorium
im ersten Stock des alten Jenaer Kollegiengebäudes, oder welches immer die
Stätte gewesen sein mag, an der sie sich von ihm haben führen lassen durch


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[0419] ZINN siebzigsten Geburtstage Gelo Licbmcmns In diesem Fall hatte die magyarische Regierung übrigens eine besonders unglückliche Hand, Wegen „Aufreizung gegen die magyarische Nation" unter Anklage gestellt war ein Artikel, der nichts enthielt als eine nicht besonders geschmackvolle, aber absolut harmlose Lobpreisung des schwäbischen Volksstammes. Der Artikel stammte von einem ungarischen Militärarzt — dem wegen desselben nichts geschah — und auch das Gericht erster Instanz erkannte auf Freisprechung, nachdem der Staatsanwalt selbst erklärt hatte, daß in dein Aufsatz nichts von Aufreizung enthalten sei. Erst der höheren Instanz blieb es vorbehalten, das verdammende Urteil auszusprechen, welches von der Königl. Kurie in einer Sitzung von fünf Minuten bestätigt wurde. Solche Dinge dürfen nicht mehr oft vorkommen, sonst werden die magyarischen Chauvinisten erleben, daß die jetzt noch weitverbreitete politische Indifferenz der schwäbischen Bauern in politischen Eigensinn umschlägt. Diesen politischen Eigensinn — im guten wie im schlimmen — haben fast alle württembergischen Fürsten im Kampf mit der Landschaft (Vertretung der Stände) kennen gelernt und dein König Wilhelm dem Ersten von Württemberg hat er die Klage abgepreßt: „Das erste Wort, das der Schwabe ausspricht, heißt ,Noi, cela'". Wie diesem seinem König gegen¬ über einst Ludwig Uhland „das alte gute (landständische) Recht" verfocht (,^das Recht, das uns Gesetze gibt, die keine Willkür bricht"), so sind auch unter den Schwaben Ungarns Männer bereit, für das durch keine Untreue verwirkte alte gute Recht zu kämpfen, das unter der Ägide des ritterlichen und gerechten Deal festgesetzt worden ist, das Recht, das den Ungarn jeglicher Nationalität und jeglicher Konfession den ungestörten Genuß dieser Güter zusichern und die Möglichkeit freudiger und aufopfernder Mitarbeit am Wohle des Staats geben wollte und hätte geben können. Zum siebzigsten Geburtstage Gelo Liebmanns von 'Fritz Medicus in 25.^Februar vollendete Otto Liebmann sein siebzigstes Lebens¬ jahr. Seit dem Herbst 1882 wirkt er als ordentlicher Professor der Philosophie in Jena. Vorher schon hatte er die üblichen drei Stufen der akademischen Laufbahn an den Universitäten Wingen und Straßburg durchmessen. Die begriffliche Klarheit und die künstlerische Form seiner Vorlesungen hat in der jlangen Zeit seiner Lehrwirksamkeit eine gewaltige Schar von Studenten in seine Hörsäle gezogen, und viele, die seinen Geburtstag wissen oder ihn in diesen Tagen durch die Presse erfahren, werden in Gedanken zurückkehren nach dem großen Auditorium im ersten Stock des alten Jenaer Kollegiengebäudes, oder welches immer die Stätte gewesen sein mag, an der sie sich von ihm haben führen lassen durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/419>, abgerufen am 21.12.2024.