Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

das mehr galt, als was der fliehende Tag und die wandernden Nächte geben
können. -- etwas, nach dem hin er unverrückbar schritt . . .

Ich fand kein Wort; denn er schien mir mit seinein Schicksal so gewachsen,
daß er mir fast fremd ward.

Die schlichte Grösze dieser Seele, in der etwas von der heiligen Gesetzmäßig¬
keit der Natur lag, hatte ich nicht geahnt in dem einfachen Mann des Volkes,
der ein geringes Amt übte, in strenger Art, wortkarg und unscheinbar.

Und sie erschütterte mich, also daß Gedanken und Gefühle in ein starkes
Bewegen kamen und ich sie nicht in feste Worte fassen konnte.

Ich drückte ihm still die Hand -- er grüßte und ging den Höhenweg empor.

Der Mond stand flimmernd gegen die finstern Tannen, daß die wandernde,
hohe Gestalt sich von ihnen abhob und wie mit feinen Linien umleuchtet war . . .

Ich stand und starrte ihm nach. Das war nicht mehr der Bote Förster --
die Gestalt wuchs ins Unpersönliche -- sie erschien mir wie die eherne, gewaltig
schreitende Pflicht: eine heldische Gestalt, vom Schicksal gemeißelt, mit großen
tragischen Zügen, die dem sonnigen Glück der flüchtigen Tage vorüberwandcrt und
den kummervollen Nächten, und die am Weg hinter sich die Sorge, die Selbstsucht
und alle neidischen, kleinen Geister läßt.

Durch Graus und Gnaden aller Wetter schreitet sie dahin; die einzige, die
reuelvs ist und die zu jenen Höhen dringt, wo der leuchtende Königsreif des
Friedens ruht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Das Hcmptcreignis der Woche auf innerpvlitischem Gebiete ist die entschiedene
Stellungnahme des Reichskanzlers zur Polenfrage. Zwar wird niemand, der sich
ein einigermaßen nüchternes Urteil über Personen und Verhältnisse bewahrt hat,
auch nur einen Augenblick wirklich geglaubt haben, Herr v. Bethmann Hollweg
werde als Reichskanzler und Ministerpräsident verleugnen, was er als preußischer
Minister des Innern und als Vizepräsident des Staatsministeriums verfochten hat.
Immerhin ist es nach den politischen Wirbelstürmen des Jahres 1909 nützlich
und notwendig, wenn der neue Herr an der verantwortlichen Stelle für die Reichs¬
politik und die preußische Staatspolitik persönlich hervortritt und mit ausdrück¬
lichen Worten die hier und da schon wild wuchernde Illusion zerstört, als sei ans
verschiedenen wichtigen Gebieten der Staatskunst eine Kursänderung zu er¬
warten. Leute, die aus alleu möglichen, zum Teil recht nebensächlichen und
äußerlichen Erscheinungen der Parteipolitik den Stoff zu den verwegensten
Kombinationen entnehmen, konnten vielleicht glauben, der Reichskanzler werde,
um sich dem Zentrum gegenüber keine Schwierigkeiten zu schaffen, bestimmten
Erklärungen über die Polenpolitik ausweichen. Ernsthafte Beurteiler durften solche
Erwartungen nicht hegen. Also daß Herr v. Bethmann Hollwcg keinen Zweifel


Grenzboten l 19to 24
Maßgebliches und Unmaßgebliches

das mehr galt, als was der fliehende Tag und die wandernden Nächte geben
können. — etwas, nach dem hin er unverrückbar schritt . . .

Ich fand kein Wort; denn er schien mir mit seinein Schicksal so gewachsen,
daß er mir fast fremd ward.

Die schlichte Grösze dieser Seele, in der etwas von der heiligen Gesetzmäßig¬
keit der Natur lag, hatte ich nicht geahnt in dem einfachen Mann des Volkes,
der ein geringes Amt übte, in strenger Art, wortkarg und unscheinbar.

Und sie erschütterte mich, also daß Gedanken und Gefühle in ein starkes
Bewegen kamen und ich sie nicht in feste Worte fassen konnte.

Ich drückte ihm still die Hand — er grüßte und ging den Höhenweg empor.

Der Mond stand flimmernd gegen die finstern Tannen, daß die wandernde,
hohe Gestalt sich von ihnen abhob und wie mit feinen Linien umleuchtet war . . .

Ich stand und starrte ihm nach. Das war nicht mehr der Bote Förster —
die Gestalt wuchs ins Unpersönliche — sie erschien mir wie die eherne, gewaltig
schreitende Pflicht: eine heldische Gestalt, vom Schicksal gemeißelt, mit großen
tragischen Zügen, die dem sonnigen Glück der flüchtigen Tage vorüberwandcrt und
den kummervollen Nächten, und die am Weg hinter sich die Sorge, die Selbstsucht
und alle neidischen, kleinen Geister läßt.

Durch Graus und Gnaden aller Wetter schreitet sie dahin; die einzige, die
reuelvs ist und die zu jenen Höhen dringt, wo der leuchtende Königsreif des
Friedens ruht.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Das Hcmptcreignis der Woche auf innerpvlitischem Gebiete ist die entschiedene
Stellungnahme des Reichskanzlers zur Polenfrage. Zwar wird niemand, der sich
ein einigermaßen nüchternes Urteil über Personen und Verhältnisse bewahrt hat,
auch nur einen Augenblick wirklich geglaubt haben, Herr v. Bethmann Hollweg
werde als Reichskanzler und Ministerpräsident verleugnen, was er als preußischer
Minister des Innern und als Vizepräsident des Staatsministeriums verfochten hat.
Immerhin ist es nach den politischen Wirbelstürmen des Jahres 1909 nützlich
und notwendig, wenn der neue Herr an der verantwortlichen Stelle für die Reichs¬
politik und die preußische Staatspolitik persönlich hervortritt und mit ausdrück¬
lichen Worten die hier und da schon wild wuchernde Illusion zerstört, als sei ans
verschiedenen wichtigen Gebieten der Staatskunst eine Kursänderung zu er¬
warten. Leute, die aus alleu möglichen, zum Teil recht nebensächlichen und
äußerlichen Erscheinungen der Parteipolitik den Stoff zu den verwegensten
Kombinationen entnehmen, konnten vielleicht glauben, der Reichskanzler werde,
um sich dem Zentrum gegenüber keine Schwierigkeiten zu schaffen, bestimmten
Erklärungen über die Polenpolitik ausweichen. Ernsthafte Beurteiler durften solche
Erwartungen nicht hegen. Also daß Herr v. Bethmann Hollwcg keinen Zweifel


Grenzboten l 19to 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315194"/>
          <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_757" prev="#ID_756"> das mehr galt, als was der fliehende Tag und die wandernden Nächte geben<lb/>
können. &#x2014; etwas, nach dem hin er unverrückbar schritt . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758"> Ich fand kein Wort; denn er schien mir mit seinein Schicksal so gewachsen,<lb/>
daß er mir fast fremd ward.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759"> Die schlichte Grösze dieser Seele, in der etwas von der heiligen Gesetzmäßig¬<lb/>
keit der Natur lag, hatte ich nicht geahnt in dem einfachen Mann des Volkes,<lb/>
der ein geringes Amt übte, in strenger Art, wortkarg und unscheinbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_760"> Und sie erschütterte mich, also daß Gedanken und Gefühle in ein starkes<lb/>
Bewegen kamen und ich sie nicht in feste Worte fassen konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_761"> Ich drückte ihm still die Hand &#x2014; er grüßte und ging den Höhenweg empor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762"> Der Mond stand flimmernd gegen die finstern Tannen, daß die wandernde,<lb/>
hohe Gestalt sich von ihnen abhob und wie mit feinen Linien umleuchtet war . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_763"> Ich stand und starrte ihm nach. Das war nicht mehr der Bote Förster &#x2014;<lb/>
die Gestalt wuchs ins Unpersönliche &#x2014; sie erschien mir wie die eherne, gewaltig<lb/>
schreitende Pflicht: eine heldische Gestalt, vom Schicksal gemeißelt, mit großen<lb/>
tragischen Zügen, die dem sonnigen Glück der flüchtigen Tage vorüberwandcrt und<lb/>
den kummervollen Nächten, und die am Weg hinter sich die Sorge, die Selbstsucht<lb/>
und alle neidischen, kleinen Geister läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_764"> Durch Graus und Gnaden aller Wetter schreitet sie dahin; die einzige, die<lb/>
reuelvs ist und die zu jenen Höhen dringt, wo der leuchtende Königsreif des<lb/>
Friedens ruht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Reichsspiegel</head><lb/>
            <p xml:id="ID_765" next="#ID_766"> Das Hcmptcreignis der Woche auf innerpvlitischem Gebiete ist die entschiedene<lb/>
Stellungnahme des Reichskanzlers zur Polenfrage. Zwar wird niemand, der sich<lb/>
ein einigermaßen nüchternes Urteil über Personen und Verhältnisse bewahrt hat,<lb/>
auch nur einen Augenblick wirklich geglaubt haben, Herr v. Bethmann Hollweg<lb/>
werde als Reichskanzler und Ministerpräsident verleugnen, was er als preußischer<lb/>
Minister des Innern und als Vizepräsident des Staatsministeriums verfochten hat.<lb/>
Immerhin ist es nach den politischen Wirbelstürmen des Jahres 1909 nützlich<lb/>
und notwendig, wenn der neue Herr an der verantwortlichen Stelle für die Reichs¬<lb/>
politik und die preußische Staatspolitik persönlich hervortritt und mit ausdrück¬<lb/>
lichen Worten die hier und da schon wild wuchernde Illusion zerstört, als sei ans<lb/>
verschiedenen wichtigen Gebieten der Staatskunst eine Kursänderung zu er¬<lb/>
warten. Leute, die aus alleu möglichen, zum Teil recht nebensächlichen und<lb/>
äußerlichen Erscheinungen der Parteipolitik den Stoff zu den verwegensten<lb/>
Kombinationen entnehmen, konnten vielleicht glauben, der Reichskanzler werde,<lb/>
um sich dem Zentrum gegenüber keine Schwierigkeiten zu schaffen, bestimmten<lb/>
Erklärungen über die Polenpolitik ausweichen. Ernsthafte Beurteiler durften solche<lb/>
Erwartungen nicht hegen. Also daß Herr v. Bethmann Hollwcg keinen Zweifel</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l 19to 24</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] Maßgebliches und Unmaßgebliches das mehr galt, als was der fliehende Tag und die wandernden Nächte geben können. — etwas, nach dem hin er unverrückbar schritt . . . Ich fand kein Wort; denn er schien mir mit seinein Schicksal so gewachsen, daß er mir fast fremd ward. Die schlichte Grösze dieser Seele, in der etwas von der heiligen Gesetzmäßig¬ keit der Natur lag, hatte ich nicht geahnt in dem einfachen Mann des Volkes, der ein geringes Amt übte, in strenger Art, wortkarg und unscheinbar. Und sie erschütterte mich, also daß Gedanken und Gefühle in ein starkes Bewegen kamen und ich sie nicht in feste Worte fassen konnte. Ich drückte ihm still die Hand — er grüßte und ging den Höhenweg empor. Der Mond stand flimmernd gegen die finstern Tannen, daß die wandernde, hohe Gestalt sich von ihnen abhob und wie mit feinen Linien umleuchtet war . . . Ich stand und starrte ihm nach. Das war nicht mehr der Bote Förster — die Gestalt wuchs ins Unpersönliche — sie erschien mir wie die eherne, gewaltig schreitende Pflicht: eine heldische Gestalt, vom Schicksal gemeißelt, mit großen tragischen Zügen, die dem sonnigen Glück der flüchtigen Tage vorüberwandcrt und den kummervollen Nächten, und die am Weg hinter sich die Sorge, die Selbstsucht und alle neidischen, kleinen Geister läßt. Durch Graus und Gnaden aller Wetter schreitet sie dahin; die einzige, die reuelvs ist und die zu jenen Höhen dringt, wo der leuchtende Königsreif des Friedens ruht. Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel Das Hcmptcreignis der Woche auf innerpvlitischem Gebiete ist die entschiedene Stellungnahme des Reichskanzlers zur Polenfrage. Zwar wird niemand, der sich ein einigermaßen nüchternes Urteil über Personen und Verhältnisse bewahrt hat, auch nur einen Augenblick wirklich geglaubt haben, Herr v. Bethmann Hollweg werde als Reichskanzler und Ministerpräsident verleugnen, was er als preußischer Minister des Innern und als Vizepräsident des Staatsministeriums verfochten hat. Immerhin ist es nach den politischen Wirbelstürmen des Jahres 1909 nützlich und notwendig, wenn der neue Herr an der verantwortlichen Stelle für die Reichs¬ politik und die preußische Staatspolitik persönlich hervortritt und mit ausdrück¬ lichen Worten die hier und da schon wild wuchernde Illusion zerstört, als sei ans verschiedenen wichtigen Gebieten der Staatskunst eine Kursänderung zu er¬ warten. Leute, die aus alleu möglichen, zum Teil recht nebensächlichen und äußerlichen Erscheinungen der Parteipolitik den Stoff zu den verwegensten Kombinationen entnehmen, konnten vielleicht glauben, der Reichskanzler werde, um sich dem Zentrum gegenüber keine Schwierigkeiten zu schaffen, bestimmten Erklärungen über die Polenpolitik ausweichen. Ernsthafte Beurteiler durften solche Erwartungen nicht hegen. Also daß Herr v. Bethmann Hollwcg keinen Zweifel Grenzboten l 19to 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/197>, abgerufen am 21.12.2024.