Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rund um den "Lollmberg

Etna wiederfindet, mit der er sich nun in der Heimat, die wie die übrige
Kulturwelt infolge einer wegen der allgemeinen Greuel ausgcbrochnen Welt¬
epidemie -- der "rote Tod", der schwarze war ja schon einmal da -- fast
ausgestorben ist, durch Gründung einer Familie an dem zur Notwendigkeit
gewordnen Nomadenleben der Überreste der Menschheit beteiligt. Das ist in
Umrißlinien das Phantasiegemälde, das Wells seinen Lesern entrollt, das sich
wahrscheinlich an den Sensationserfolgen von "Seestern", "Bansai" u. a.
entzündet hat, aber an sachlicher und militärischer Kenntnis weit hinter diesen
Romanen zurückbleibt. Nur einem militärfremden Briten konnte es überhaupt
in den Sinn kommen, einer deutschen Heeresleitung zuzutrauen, daß sie einen
kriegerischen Überfall unternehmen werde, der nach dem ersten Erfolge schon
an der Unzulänglichkeit der Mittel scheitern muß. Dergleichen mag in Buren¬
kriegen möglich sein, aber die deutschen Heeresleiter haben solche Kurzsichtigkeit
noch nie gehabt. An ähnlichen militärischen UnWahrscheinlichkeiten ist die gesamte
Darstellung reich, sie zeigt überhaupt keine Ahnung von dem eminent friedlichen
Einfluß der allgemeinen Wehrpflicht. Das ist auch nicht anders möglich bei
einem Volke, das keine Erfahrung und Empfindung von der persönlich geleisteten
Pflicht der Vaterlandsverteidigung besitzt und darum in neuster Zeit zwischen
der komisch wirkenden Furcht vor feindlichen Überfällen und der kaum minder
lächerlichen Überhebung: für uns die Dreadnoughts, für euch die Abrüstung -- hin
und her pendelt. Im übrigen ist der Roman so fesselnd geschrieben, daß man
ihn, auch wenn man längst über die zugrunde liegenden Irrtümer klar ge¬
worden ist, doch zu Ende liest. Für solche Friedensfreunde, die die Rcellitäten
der Welt auch nicht kennen, mag er vielleicht ein Labsal sein. Für andre
Leser wird aber der Eindruck dahin gehn: Schade, daß sich ein so begabter,
Humor- und phantasievoller Schriftsteller einen Stoff gewählt hat, dem nur
eine vielverbreitete, jedoch unhaltbare Theorie, nicht aber ausreichende Sach¬
-y- kenntnis zugrunde liegt. Jules Verne hat es seinerzeit besser verstanden,




Rund um den (Lollmberg
von Veto Eduard Schmidt

ruhender
unser die
einer derir wandern nicht auf dem gewöhnlichen blau gezeichneten Wege dem
Berge zu, sondern gehn rechtwinklig zu der Wernsdorf-Oschatzer
Straße am Gasthof zum Lindenbaum vorüber in nordöstlicher
Richtung in den Wald und immer auf diesem Wege schnurgerade
weiter. Nach einer Stunde kommen wir an eine Lichtung: vor uns
liegt ein dichter und heimelicher junger Wald, über den sich wie ein
Löwe das langgestreckte Massiv des Collins erhebt. Es ist der Punkt, wo
Abteilungen 90 und 91 trennender Weg rechtwinklig geschnitten wird von
nach Südosten laufenden Allee", die im Volksmunde die "alte Neun"MS
M


Rund um den «Lollmberg

Etna wiederfindet, mit der er sich nun in der Heimat, die wie die übrige
Kulturwelt infolge einer wegen der allgemeinen Greuel ausgcbrochnen Welt¬
epidemie — der „rote Tod", der schwarze war ja schon einmal da — fast
ausgestorben ist, durch Gründung einer Familie an dem zur Notwendigkeit
gewordnen Nomadenleben der Überreste der Menschheit beteiligt. Das ist in
Umrißlinien das Phantasiegemälde, das Wells seinen Lesern entrollt, das sich
wahrscheinlich an den Sensationserfolgen von „Seestern", „Bansai" u. a.
entzündet hat, aber an sachlicher und militärischer Kenntnis weit hinter diesen
Romanen zurückbleibt. Nur einem militärfremden Briten konnte es überhaupt
in den Sinn kommen, einer deutschen Heeresleitung zuzutrauen, daß sie einen
kriegerischen Überfall unternehmen werde, der nach dem ersten Erfolge schon
an der Unzulänglichkeit der Mittel scheitern muß. Dergleichen mag in Buren¬
kriegen möglich sein, aber die deutschen Heeresleiter haben solche Kurzsichtigkeit
noch nie gehabt. An ähnlichen militärischen UnWahrscheinlichkeiten ist die gesamte
Darstellung reich, sie zeigt überhaupt keine Ahnung von dem eminent friedlichen
Einfluß der allgemeinen Wehrpflicht. Das ist auch nicht anders möglich bei
einem Volke, das keine Erfahrung und Empfindung von der persönlich geleisteten
Pflicht der Vaterlandsverteidigung besitzt und darum in neuster Zeit zwischen
der komisch wirkenden Furcht vor feindlichen Überfällen und der kaum minder
lächerlichen Überhebung: für uns die Dreadnoughts, für euch die Abrüstung — hin
und her pendelt. Im übrigen ist der Roman so fesselnd geschrieben, daß man
ihn, auch wenn man längst über die zugrunde liegenden Irrtümer klar ge¬
worden ist, doch zu Ende liest. Für solche Friedensfreunde, die die Rcellitäten
der Welt auch nicht kennen, mag er vielleicht ein Labsal sein. Für andre
Leser wird aber der Eindruck dahin gehn: Schade, daß sich ein so begabter,
Humor- und phantasievoller Schriftsteller einen Stoff gewählt hat, dem nur
eine vielverbreitete, jedoch unhaltbare Theorie, nicht aber ausreichende Sach¬
-y- kenntnis zugrunde liegt. Jules Verne hat es seinerzeit besser verstanden,




Rund um den (Lollmberg
von Veto Eduard Schmidt

ruhender
unser die
einer derir wandern nicht auf dem gewöhnlichen blau gezeichneten Wege dem
Berge zu, sondern gehn rechtwinklig zu der Wernsdorf-Oschatzer
Straße am Gasthof zum Lindenbaum vorüber in nordöstlicher
Richtung in den Wald und immer auf diesem Wege schnurgerade
weiter. Nach einer Stunde kommen wir an eine Lichtung: vor uns
liegt ein dichter und heimelicher junger Wald, über den sich wie ein
Löwe das langgestreckte Massiv des Collins erhebt. Es ist der Punkt, wo
Abteilungen 90 und 91 trennender Weg rechtwinklig geschnitten wird von
nach Südosten laufenden Allee», die im Volksmunde die „alte Neun"MS
M


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314949"/>
          <fw type="header" place="top"> Rund um den «Lollmberg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2629" prev="#ID_2628"> Etna wiederfindet, mit der er sich nun in der Heimat, die wie die übrige<lb/>
Kulturwelt infolge einer wegen der allgemeinen Greuel ausgcbrochnen Welt¬<lb/>
epidemie &#x2014; der &#x201E;rote Tod", der schwarze war ja schon einmal da &#x2014; fast<lb/>
ausgestorben ist, durch Gründung einer Familie an dem zur Notwendigkeit<lb/>
gewordnen Nomadenleben der Überreste der Menschheit beteiligt. Das ist in<lb/>
Umrißlinien das Phantasiegemälde, das Wells seinen Lesern entrollt, das sich<lb/>
wahrscheinlich an den Sensationserfolgen von &#x201E;Seestern", &#x201E;Bansai" u. a.<lb/>
entzündet hat, aber an sachlicher und militärischer Kenntnis weit hinter diesen<lb/>
Romanen zurückbleibt. Nur einem militärfremden Briten konnte es überhaupt<lb/>
in den Sinn kommen, einer deutschen Heeresleitung zuzutrauen, daß sie einen<lb/>
kriegerischen Überfall unternehmen werde, der nach dem ersten Erfolge schon<lb/>
an der Unzulänglichkeit der Mittel scheitern muß. Dergleichen mag in Buren¬<lb/>
kriegen möglich sein, aber die deutschen Heeresleiter haben solche Kurzsichtigkeit<lb/>
noch nie gehabt. An ähnlichen militärischen UnWahrscheinlichkeiten ist die gesamte<lb/>
Darstellung reich, sie zeigt überhaupt keine Ahnung von dem eminent friedlichen<lb/>
Einfluß der allgemeinen Wehrpflicht. Das ist auch nicht anders möglich bei<lb/>
einem Volke, das keine Erfahrung und Empfindung von der persönlich geleisteten<lb/>
Pflicht der Vaterlandsverteidigung besitzt und darum in neuster Zeit zwischen<lb/>
der komisch wirkenden Furcht vor feindlichen Überfällen und der kaum minder<lb/>
lächerlichen Überhebung: für uns die Dreadnoughts, für euch die Abrüstung &#x2014; hin<lb/>
und her pendelt. Im übrigen ist der Roman so fesselnd geschrieben, daß man<lb/>
ihn, auch wenn man längst über die zugrunde liegenden Irrtümer klar ge¬<lb/>
worden ist, doch zu Ende liest. Für solche Friedensfreunde, die die Rcellitäten<lb/>
der Welt auch nicht kennen, mag er vielleicht ein Labsal sein. Für andre<lb/>
Leser wird aber der Eindruck dahin gehn: Schade, daß sich ein so begabter,<lb/>
Humor- und phantasievoller Schriftsteller einen Stoff gewählt hat, dem nur<lb/>
eine vielverbreitete, jedoch unhaltbare Theorie, nicht aber ausreichende Sach¬<lb/><note type="byline"> -y-</note> kenntnis zugrunde liegt. Jules Verne hat es seinerzeit besser verstanden, </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Rund um den (Lollmberg<lb/><note type="byline"> von Veto Eduard Schmidt</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_2630" next="#ID_2631"> ruhender<lb/>
unser die<lb/>
einer derir wandern nicht auf dem gewöhnlichen blau gezeichneten Wege dem<lb/>
Berge zu, sondern gehn rechtwinklig zu der Wernsdorf-Oschatzer<lb/>
Straße am Gasthof zum Lindenbaum vorüber in nordöstlicher<lb/>
Richtung in den Wald und immer auf diesem Wege schnurgerade<lb/>
weiter. Nach einer Stunde kommen wir an eine Lichtung: vor uns<lb/>
liegt ein dichter und heimelicher junger Wald, über den sich wie ein<lb/>
Löwe das langgestreckte Massiv des Collins erhebt. Es ist der Punkt, wo<lb/>
Abteilungen 90 und 91 trennender Weg rechtwinklig geschnitten wird von<lb/>
nach Südosten laufenden Allee», die im Volksmunde die &#x201E;alte Neun"MS<lb/>
M</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0602] Rund um den «Lollmberg Etna wiederfindet, mit der er sich nun in der Heimat, die wie die übrige Kulturwelt infolge einer wegen der allgemeinen Greuel ausgcbrochnen Welt¬ epidemie — der „rote Tod", der schwarze war ja schon einmal da — fast ausgestorben ist, durch Gründung einer Familie an dem zur Notwendigkeit gewordnen Nomadenleben der Überreste der Menschheit beteiligt. Das ist in Umrißlinien das Phantasiegemälde, das Wells seinen Lesern entrollt, das sich wahrscheinlich an den Sensationserfolgen von „Seestern", „Bansai" u. a. entzündet hat, aber an sachlicher und militärischer Kenntnis weit hinter diesen Romanen zurückbleibt. Nur einem militärfremden Briten konnte es überhaupt in den Sinn kommen, einer deutschen Heeresleitung zuzutrauen, daß sie einen kriegerischen Überfall unternehmen werde, der nach dem ersten Erfolge schon an der Unzulänglichkeit der Mittel scheitern muß. Dergleichen mag in Buren¬ kriegen möglich sein, aber die deutschen Heeresleiter haben solche Kurzsichtigkeit noch nie gehabt. An ähnlichen militärischen UnWahrscheinlichkeiten ist die gesamte Darstellung reich, sie zeigt überhaupt keine Ahnung von dem eminent friedlichen Einfluß der allgemeinen Wehrpflicht. Das ist auch nicht anders möglich bei einem Volke, das keine Erfahrung und Empfindung von der persönlich geleisteten Pflicht der Vaterlandsverteidigung besitzt und darum in neuster Zeit zwischen der komisch wirkenden Furcht vor feindlichen Überfällen und der kaum minder lächerlichen Überhebung: für uns die Dreadnoughts, für euch die Abrüstung — hin und her pendelt. Im übrigen ist der Roman so fesselnd geschrieben, daß man ihn, auch wenn man längst über die zugrunde liegenden Irrtümer klar ge¬ worden ist, doch zu Ende liest. Für solche Friedensfreunde, die die Rcellitäten der Welt auch nicht kennen, mag er vielleicht ein Labsal sein. Für andre Leser wird aber der Eindruck dahin gehn: Schade, daß sich ein so begabter, Humor- und phantasievoller Schriftsteller einen Stoff gewählt hat, dem nur eine vielverbreitete, jedoch unhaltbare Theorie, nicht aber ausreichende Sach¬ -y- kenntnis zugrunde liegt. Jules Verne hat es seinerzeit besser verstanden, Rund um den (Lollmberg von Veto Eduard Schmidt ruhender unser die einer derir wandern nicht auf dem gewöhnlichen blau gezeichneten Wege dem Berge zu, sondern gehn rechtwinklig zu der Wernsdorf-Oschatzer Straße am Gasthof zum Lindenbaum vorüber in nordöstlicher Richtung in den Wald und immer auf diesem Wege schnurgerade weiter. Nach einer Stunde kommen wir an eine Lichtung: vor uns liegt ein dichter und heimelicher junger Wald, über den sich wie ein Löwe das langgestreckte Massiv des Collins erhebt. Es ist der Punkt, wo Abteilungen 90 und 91 trennender Weg rechtwinklig geschnitten wird von nach Südosten laufenden Allee», die im Volksmunde die „alte Neun"MS M

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/602
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/602>, abgerufen am 04.07.2024.