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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

hier das Leder und mache meinen Reim dazu und sorge nicht, wers nach mir
tu. Bei den alteingesessenen Familien mag hier wie überall ein gutes Teil
geistiger Erbschaft vorhanden sein. Aber übt nicht das Altertümliche selbst
auch immer wieder eine rückwirkende Kraft ans seine Bewohner aus, erhält
Jahrhunderte hindurch Generationen einander ähnlich und gleicht Eingewanderte
den Eingesessenen an? Die Beeinflussung der Menschenseele durch die Natur-
und Kulturumgebuug gehört gewiß zu den tiefsten psychologischen und anthropo-
geographischen Problemen. Das Element des Seelischen, das Urelement, tritt
immer von neuem zu den mechanischen und geistigen Faktoren des Boden-
und Kultureinflusses hinzu.




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders
(Fortsetzung)
Fünftes Aapitel. Wolken am Himmel

Wraußen auf Deichhof gingen Jnger und signe und hingen im Garten
vor dem Hause Wäsche auf. Es war strahlendes Sommerwetter. Frau
Hilmer saß auf einer Bank in der Laube und ruhte sich aus. Sie
war eine Frau, die gut zufassen konnte, aber in den letzte" Jahren
war sie ein wenig müde geworden. Der Brand hatte sie stark mit¬
genommen, und Leute, die sie genau kannten, fanden, daß sie seitdem
sozusagen ein wenig merkwürdig geworden war.

Jnger war munter wie immer. Sie war mit signe richtig gut Freund ge¬
worden. Sie sagten "du" zueinander, und Frau Hilmer hatte nichts dagegen.
Sie betrachtete das hübsche, junge Mädchen von Myggefjed mehr als eine Schülerin
denn als ein Dienstmädchen, und die Leute von Myggefjed waren auf Deichhof
immer gut angeschrieben gewesen.

Ole war ein mechanisches Genie; er ging umher und gab sich mit allen
möglichen Arbeiten ab, er konnte alles in Gang bringen und hatte außerordentlich
geschickte Finger.

Mutter, sagte Jnger, signe sagt, daß Justesen und Seydewitz heute nachmittag
hier herauskomme". Seydewitz ist seit dem Herbst nicht hier gewesen; was mag
er nur wollen?

Ich weiß es nicht, sagte die Hausfrau ein wenig nervös und sah von dem
Buche auf, worin sie gelesen hatte.

Jetzt ist doch hier kein Grund mehr zum Pfänder, sagte Jnger, seit Vater
an dem Brande soviel Geld verdient hat.

Das darfst du nicht sagen, Kind, rief Frau Hilmer und erhob sich nervös.

Aber ist es denn nicht wahr? fragte Jnger und ging zur Mutter in
die Laube.

Sagt das dein Vater? Die Frau schüttelte ernsthaft den Kopf.

Nein, Vater, der möchte ja gern, daß die Leute glauben, der Brand hätte
ihn ruiniert -- aber nicht wahr, Mutter, so ist es ja doch nicht.


Der rote Hahn

hier das Leder und mache meinen Reim dazu und sorge nicht, wers nach mir
tu. Bei den alteingesessenen Familien mag hier wie überall ein gutes Teil
geistiger Erbschaft vorhanden sein. Aber übt nicht das Altertümliche selbst
auch immer wieder eine rückwirkende Kraft ans seine Bewohner aus, erhält
Jahrhunderte hindurch Generationen einander ähnlich und gleicht Eingewanderte
den Eingesessenen an? Die Beeinflussung der Menschenseele durch die Natur-
und Kulturumgebuug gehört gewiß zu den tiefsten psychologischen und anthropo-
geographischen Problemen. Das Element des Seelischen, das Urelement, tritt
immer von neuem zu den mechanischen und geistigen Faktoren des Boden-
und Kultureinflusses hinzu.




Der rote Hahn
von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders
(Fortsetzung)
Fünftes Aapitel. Wolken am Himmel

Wraußen auf Deichhof gingen Jnger und signe und hingen im Garten
vor dem Hause Wäsche auf. Es war strahlendes Sommerwetter. Frau
Hilmer saß auf einer Bank in der Laube und ruhte sich aus. Sie
war eine Frau, die gut zufassen konnte, aber in den letzte» Jahren
war sie ein wenig müde geworden. Der Brand hatte sie stark mit¬
genommen, und Leute, die sie genau kannten, fanden, daß sie seitdem
sozusagen ein wenig merkwürdig geworden war.

Jnger war munter wie immer. Sie war mit signe richtig gut Freund ge¬
worden. Sie sagten „du" zueinander, und Frau Hilmer hatte nichts dagegen.
Sie betrachtete das hübsche, junge Mädchen von Myggefjed mehr als eine Schülerin
denn als ein Dienstmädchen, und die Leute von Myggefjed waren auf Deichhof
immer gut angeschrieben gewesen.

Ole war ein mechanisches Genie; er ging umher und gab sich mit allen
möglichen Arbeiten ab, er konnte alles in Gang bringen und hatte außerordentlich
geschickte Finger.

Mutter, sagte Jnger, signe sagt, daß Justesen und Seydewitz heute nachmittag
hier herauskomme«. Seydewitz ist seit dem Herbst nicht hier gewesen; was mag
er nur wollen?

Ich weiß es nicht, sagte die Hausfrau ein wenig nervös und sah von dem
Buche auf, worin sie gelesen hatte.

Jetzt ist doch hier kein Grund mehr zum Pfänder, sagte Jnger, seit Vater
an dem Brande soviel Geld verdient hat.

Das darfst du nicht sagen, Kind, rief Frau Hilmer und erhob sich nervös.

Aber ist es denn nicht wahr? fragte Jnger und ging zur Mutter in
die Laube.

Sagt das dein Vater? Die Frau schüttelte ernsthaft den Kopf.

Nein, Vater, der möchte ja gern, daß die Leute glauben, der Brand hätte
ihn ruiniert — aber nicht wahr, Mutter, so ist es ja doch nicht.


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[0384] Der rote Hahn hier das Leder und mache meinen Reim dazu und sorge nicht, wers nach mir tu. Bei den alteingesessenen Familien mag hier wie überall ein gutes Teil geistiger Erbschaft vorhanden sein. Aber übt nicht das Altertümliche selbst auch immer wieder eine rückwirkende Kraft ans seine Bewohner aus, erhält Jahrhunderte hindurch Generationen einander ähnlich und gleicht Eingewanderte den Eingesessenen an? Die Beeinflussung der Menschenseele durch die Natur- und Kulturumgebuug gehört gewiß zu den tiefsten psychologischen und anthropo- geographischen Problemen. Das Element des Seelischen, das Urelement, tritt immer von neuem zu den mechanischen und geistigen Faktoren des Boden- und Kultureinflusses hinzu. Der rote Hahn von palle Rosenkrantz. Deutsch von Ida Anders (Fortsetzung) Fünftes Aapitel. Wolken am Himmel Wraußen auf Deichhof gingen Jnger und signe und hingen im Garten vor dem Hause Wäsche auf. Es war strahlendes Sommerwetter. Frau Hilmer saß auf einer Bank in der Laube und ruhte sich aus. Sie war eine Frau, die gut zufassen konnte, aber in den letzte» Jahren war sie ein wenig müde geworden. Der Brand hatte sie stark mit¬ genommen, und Leute, die sie genau kannten, fanden, daß sie seitdem sozusagen ein wenig merkwürdig geworden war. Jnger war munter wie immer. Sie war mit signe richtig gut Freund ge¬ worden. Sie sagten „du" zueinander, und Frau Hilmer hatte nichts dagegen. Sie betrachtete das hübsche, junge Mädchen von Myggefjed mehr als eine Schülerin denn als ein Dienstmädchen, und die Leute von Myggefjed waren auf Deichhof immer gut angeschrieben gewesen. Ole war ein mechanisches Genie; er ging umher und gab sich mit allen möglichen Arbeiten ab, er konnte alles in Gang bringen und hatte außerordentlich geschickte Finger. Mutter, sagte Jnger, signe sagt, daß Justesen und Seydewitz heute nachmittag hier herauskomme«. Seydewitz ist seit dem Herbst nicht hier gewesen; was mag er nur wollen? Ich weiß es nicht, sagte die Hausfrau ein wenig nervös und sah von dem Buche auf, worin sie gelesen hatte. Jetzt ist doch hier kein Grund mehr zum Pfänder, sagte Jnger, seit Vater an dem Brande soviel Geld verdient hat. Das darfst du nicht sagen, Kind, rief Frau Hilmer und erhob sich nervös. Aber ist es denn nicht wahr? fragte Jnger und ging zur Mutter in die Laube. Sagt das dein Vater? Die Frau schüttelte ernsthaft den Kopf. Nein, Vater, der möchte ja gern, daß die Leute glauben, der Brand hätte ihn ruiniert — aber nicht wahr, Mutter, so ist es ja doch nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/384>, abgerufen am 21.12.2024.