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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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T>er parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

is nu>i Alfred Rohrschlich zum zweitenmal kam im Frack, in einem
Kragen, der fast bis an die Ohren reichte, mit Kneifer und müden
Mienen, da war sein Eindruck noch weniger überwältigend als am
ersten Gesellschaftsabend, Aber das war er jn nicht er selbst, das
war nur gesellschaftliche Verpackung. Aber daß er so sichtlich mit
dem Teller umherging und Lob für sich einkassierte, daß er sich
feiern ließ, als wäre er ein kleiner Dalailama, daß er kaum für etwas andres Sinn
hatte als für seine Person, war dies auch Verkleidung, oder war es seine eigne
Natur? Und Mama! Nein Mama war ja ganz außer sich. Sie bimmelte ja
diesen Alfred Nohrschach ordentlich an, es sah wahrhaftig so aus, als wenn sie in
ihn verliebt wäre. So eine alte Dame!

Hilda sah es ganz deutlich, daß sich Mama über ihre eignen Gefühle täusche.
Sie verehrte die Kunst, aber ihn, den Künstler, meinte sie. Und er, der Künstler,
ließ es sich gefallen, als habe er diese Verehrung als ein angestammtes Recht zu
beanspruchen. Er trank Mamas Sekt, er aß Mamas Kaviar, er schluckte Mamas
Überschwänglichkeiten, er küßte Mama die Hand, nein er ließ sich fast von ihr die
Hände küssen. Von so einer so alten Dame, die erwachsne Kinder hatte!

Bei nächster Gelegenheit sagte Mama zu Hilda: Höre, Hilda, ein junges
Mädchen muß eine schickliche Zurückhaltung beweisen. Du bemühst dich viel zu
sichtbar um Alfred Rohrschach.

Hilda machte große Augen und antwortete: Nicht daß ich wüßte, Mama. Ich
verehre in Rohrschach nur seine Kunst.

Nein, Hilda, du täuschest dich selbst, sagte Mama. Ein junges Mädchen hat
ein viel zu unerfahrnes Herz, es verwechselt die Kunst mit dem Künstler. Es
glaubt die Kunst zu lieben und liebt den Künstler.

Hilda machte noch größere Augen, aber sie schwieg.

Und dann, fuhr Mama fort, ist er auch für dich viel zu alt.

Alt! Hilda hatte noch nie daran gedacht, wie alt er sein möchte.

Als Siegfried und auf der Bühne sah er so alt aus, wie wenn er mit ewiger
Jugend geschmückt wäre. Im Salon trug er auch ein jugendliches Wesen zur Schau,
aber war das nicht vielleicht auch Verkleidung? Manchmal sah er wie ein Fünfziger aus.

Und weißt du denn, fuhr Mama fort, ob er nicht Frau und Kinder hat?

Damit hatte Mama ins Schwarze getroffen. Ein Mensch, der Frau und Kinder
hatte, konnte unmöglich ein Halbgott sein. Hilda hatte an diese Möglichkeit noch
nicht gedacht. Warum nicht? Weil es gleichgiltig ist, ob die Kunst verheiratet ist
oder nicht? Ich werde ihn fragen, sagte sie zu sich. Aber sie fragte ihn doch nicht,
sondern suchte bei Gelegenheit Hunding in seinem Zimmer auf.

Hunding lag auf dem Sofa, hielt eine Wagnersche Partitur über sich, las und
sang schauderhafte Töne und war offenbar in hoher Begeisterung.

Was machst du denn da? fragte Hilda.




T>er parnassus in Neusiedel
von Fritz Anders (Fortsetzung)

is nu>i Alfred Rohrschlich zum zweitenmal kam im Frack, in einem
Kragen, der fast bis an die Ohren reichte, mit Kneifer und müden
Mienen, da war sein Eindruck noch weniger überwältigend als am
ersten Gesellschaftsabend, Aber das war er jn nicht er selbst, das
war nur gesellschaftliche Verpackung. Aber daß er so sichtlich mit
dem Teller umherging und Lob für sich einkassierte, daß er sich
feiern ließ, als wäre er ein kleiner Dalailama, daß er kaum für etwas andres Sinn
hatte als für seine Person, war dies auch Verkleidung, oder war es seine eigne
Natur? Und Mama! Nein Mama war ja ganz außer sich. Sie bimmelte ja
diesen Alfred Nohrschach ordentlich an, es sah wahrhaftig so aus, als wenn sie in
ihn verliebt wäre. So eine alte Dame!

Hilda sah es ganz deutlich, daß sich Mama über ihre eignen Gefühle täusche.
Sie verehrte die Kunst, aber ihn, den Künstler, meinte sie. Und er, der Künstler,
ließ es sich gefallen, als habe er diese Verehrung als ein angestammtes Recht zu
beanspruchen. Er trank Mamas Sekt, er aß Mamas Kaviar, er schluckte Mamas
Überschwänglichkeiten, er küßte Mama die Hand, nein er ließ sich fast von ihr die
Hände küssen. Von so einer so alten Dame, die erwachsne Kinder hatte!

Bei nächster Gelegenheit sagte Mama zu Hilda: Höre, Hilda, ein junges
Mädchen muß eine schickliche Zurückhaltung beweisen. Du bemühst dich viel zu
sichtbar um Alfred Rohrschach.

Hilda machte große Augen und antwortete: Nicht daß ich wüßte, Mama. Ich
verehre in Rohrschach nur seine Kunst.

Nein, Hilda, du täuschest dich selbst, sagte Mama. Ein junges Mädchen hat
ein viel zu unerfahrnes Herz, es verwechselt die Kunst mit dem Künstler. Es
glaubt die Kunst zu lieben und liebt den Künstler.

Hilda machte noch größere Augen, aber sie schwieg.

Und dann, fuhr Mama fort, ist er auch für dich viel zu alt.

Alt! Hilda hatte noch nie daran gedacht, wie alt er sein möchte.

Als Siegfried und auf der Bühne sah er so alt aus, wie wenn er mit ewiger
Jugend geschmückt wäre. Im Salon trug er auch ein jugendliches Wesen zur Schau,
aber war das nicht vielleicht auch Verkleidung? Manchmal sah er wie ein Fünfziger aus.

Und weißt du denn, fuhr Mama fort, ob er nicht Frau und Kinder hat?

Damit hatte Mama ins Schwarze getroffen. Ein Mensch, der Frau und Kinder
hatte, konnte unmöglich ein Halbgott sein. Hilda hatte an diese Möglichkeit noch
nicht gedacht. Warum nicht? Weil es gleichgiltig ist, ob die Kunst verheiratet ist
oder nicht? Ich werde ihn fragen, sagte sie zu sich. Aber sie fragte ihn doch nicht,
sondern suchte bei Gelegenheit Hunding in seinem Zimmer auf.

Hunding lag auf dem Sofa, hielt eine Wagnersche Partitur über sich, las und
sang schauderhafte Töne und war offenbar in hoher Begeisterung.

Was machst du denn da? fragte Hilda.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/514>, abgerufen am 12.12.2024.