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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Russische Briefe
George Lleinoiv von
^. Der Polizeiskandal in Petersburg

in 8. Januar veröffentlichte das Zentralkomitee der Sozialrevo¬
lutionären Partei gleichzeitig in Paris, London, Genf sowie in
den größten Städten Rußlands folgenden Aufruf: "Das Zentral¬
komitee der Sozialrevolutionären Partei bringt zur Kenntnis der
Genossen, daß der Ingenieur Jewgenij Filipvowitsch Asew,
38 Jahre alt, bekannt unter dem Spitznamen "der Große", auch "Iwan
Nikolajewitsch" und "Walentin Kusjmitsch", Mitglied der Partei seit ihrer
Gründung, wiederholt in das Zentralkomitee der Partei gewählt, Mitglied der
Kampforganisation sowie des Zentralkomitees der Partei -- der Beziehungen
zur russischen Geheimpolizei überführt worden ist. Infolgedessen wird Asew als
"Agent Provokateur" erklärt, der sich dem Parteigerichte durch die Flucht ent¬
zogen hat, und er ist als eine für die Partei außerordentlich gefährliche Persön¬
lichkeit zu betrachten. Die Partei wird baldigst eingehende Mitteilungen über
die provokatorische Tätigkeit Asews veröffentlichen. Gez. Das Zentralkomitee
der Sozialrevolutionären Partei. 8. Januar 1909."

Am Sonntag den 31. Januar fand zu Se. Petersburg in den Morgen¬
stunden eine Haussuchung bei dem frühern Chef der politischen Polizei, Wirklichen
Staatsrat Alexi Alexandrowitsch Lopuchin statt, die mit der Verhaftung
des Genannten und seiner Überführung ins Untersuchungsgefängnis endete.

Am Montag den 1. Februar meldeten zahlreiche deutsche Blätter, meist
auf Informationen aus London gestützt, Lopuchin sei an den wesentlichsten
politischen Morden, die seit 1902 in Nußland begangen worden waren, handelnd
beteiligt gewesen -- ein Berliner Blatt meinte, der Chef der Polizei habe den
Mördern Plehwes die Kulissen bei ihrem gemeinen Vorgehn gestellt.

Solche Auffassung soll angeblich bestätigt werden durch einen Brief, den
Lopuchin bereits Anfang Dezember an den Ministerpräsidenten Stolhpin ge¬
richtet hatte, und der befremdlicherweise in der Times erschienen war. Der
Brief lautete: "Peter Arkadjewitsch! Am Abend des 11. November kam in
meine an der Tawritscheskaja gelegne Wohnung Jewgenij Asew. Ich kannte
den Mann aus der Zeit vom Mai 1902 bis Januar 1907, in der ich das
Polizeidepartement im Ministerium leitete; ich hielt ihn für den Agenten eines
Beamten des Polizeidepartements in Paris. Nachdem er bei mir unangemeldet




Russische Briefe
George Lleinoiv von
^. Der Polizeiskandal in Petersburg

in 8. Januar veröffentlichte das Zentralkomitee der Sozialrevo¬
lutionären Partei gleichzeitig in Paris, London, Genf sowie in
den größten Städten Rußlands folgenden Aufruf: „Das Zentral¬
komitee der Sozialrevolutionären Partei bringt zur Kenntnis der
Genossen, daß der Ingenieur Jewgenij Filipvowitsch Asew,
38 Jahre alt, bekannt unter dem Spitznamen »der Große«, auch »Iwan
Nikolajewitsch« und »Walentin Kusjmitsch«, Mitglied der Partei seit ihrer
Gründung, wiederholt in das Zentralkomitee der Partei gewählt, Mitglied der
Kampforganisation sowie des Zentralkomitees der Partei — der Beziehungen
zur russischen Geheimpolizei überführt worden ist. Infolgedessen wird Asew als
»Agent Provokateur« erklärt, der sich dem Parteigerichte durch die Flucht ent¬
zogen hat, und er ist als eine für die Partei außerordentlich gefährliche Persön¬
lichkeit zu betrachten. Die Partei wird baldigst eingehende Mitteilungen über
die provokatorische Tätigkeit Asews veröffentlichen. Gez. Das Zentralkomitee
der Sozialrevolutionären Partei. 8. Januar 1909."

Am Sonntag den 31. Januar fand zu Se. Petersburg in den Morgen¬
stunden eine Haussuchung bei dem frühern Chef der politischen Polizei, Wirklichen
Staatsrat Alexi Alexandrowitsch Lopuchin statt, die mit der Verhaftung
des Genannten und seiner Überführung ins Untersuchungsgefängnis endete.

Am Montag den 1. Februar meldeten zahlreiche deutsche Blätter, meist
auf Informationen aus London gestützt, Lopuchin sei an den wesentlichsten
politischen Morden, die seit 1902 in Nußland begangen worden waren, handelnd
beteiligt gewesen — ein Berliner Blatt meinte, der Chef der Polizei habe den
Mördern Plehwes die Kulissen bei ihrem gemeinen Vorgehn gestellt.

Solche Auffassung soll angeblich bestätigt werden durch einen Brief, den
Lopuchin bereits Anfang Dezember an den Ministerpräsidenten Stolhpin ge¬
richtet hatte, und der befremdlicherweise in der Times erschienen war. Der
Brief lautete: „Peter Arkadjewitsch! Am Abend des 11. November kam in
meine an der Tawritscheskaja gelegne Wohnung Jewgenij Asew. Ich kannte
den Mann aus der Zeit vom Mai 1902 bis Januar 1907, in der ich das
Polizeidepartement im Ministerium leitete; ich hielt ihn für den Agenten eines
Beamten des Polizeidepartements in Paris. Nachdem er bei mir unangemeldet


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[0388] [Abbildung] Russische Briefe George Lleinoiv von ^. Der Polizeiskandal in Petersburg in 8. Januar veröffentlichte das Zentralkomitee der Sozialrevo¬ lutionären Partei gleichzeitig in Paris, London, Genf sowie in den größten Städten Rußlands folgenden Aufruf: „Das Zentral¬ komitee der Sozialrevolutionären Partei bringt zur Kenntnis der Genossen, daß der Ingenieur Jewgenij Filipvowitsch Asew, 38 Jahre alt, bekannt unter dem Spitznamen »der Große«, auch »Iwan Nikolajewitsch« und »Walentin Kusjmitsch«, Mitglied der Partei seit ihrer Gründung, wiederholt in das Zentralkomitee der Partei gewählt, Mitglied der Kampforganisation sowie des Zentralkomitees der Partei — der Beziehungen zur russischen Geheimpolizei überführt worden ist. Infolgedessen wird Asew als »Agent Provokateur« erklärt, der sich dem Parteigerichte durch die Flucht ent¬ zogen hat, und er ist als eine für die Partei außerordentlich gefährliche Persön¬ lichkeit zu betrachten. Die Partei wird baldigst eingehende Mitteilungen über die provokatorische Tätigkeit Asews veröffentlichen. Gez. Das Zentralkomitee der Sozialrevolutionären Partei. 8. Januar 1909." Am Sonntag den 31. Januar fand zu Se. Petersburg in den Morgen¬ stunden eine Haussuchung bei dem frühern Chef der politischen Polizei, Wirklichen Staatsrat Alexi Alexandrowitsch Lopuchin statt, die mit der Verhaftung des Genannten und seiner Überführung ins Untersuchungsgefängnis endete. Am Montag den 1. Februar meldeten zahlreiche deutsche Blätter, meist auf Informationen aus London gestützt, Lopuchin sei an den wesentlichsten politischen Morden, die seit 1902 in Nußland begangen worden waren, handelnd beteiligt gewesen — ein Berliner Blatt meinte, der Chef der Polizei habe den Mördern Plehwes die Kulissen bei ihrem gemeinen Vorgehn gestellt. Solche Auffassung soll angeblich bestätigt werden durch einen Brief, den Lopuchin bereits Anfang Dezember an den Ministerpräsidenten Stolhpin ge¬ richtet hatte, und der befremdlicherweise in der Times erschienen war. Der Brief lautete: „Peter Arkadjewitsch! Am Abend des 11. November kam in meine an der Tawritscheskaja gelegne Wohnung Jewgenij Asew. Ich kannte den Mann aus der Zeit vom Mai 1902 bis Januar 1907, in der ich das Polizeidepartement im Ministerium leitete; ich hielt ihn für den Agenten eines Beamten des Polizeidepartements in Paris. Nachdem er bei mir unangemeldet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/388>, abgerufen am 03.07.2024.