Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches frage, die die beiden Staatsmänner zusammenführt. Aber auf beiden Seiten wird Neues von Reinke. Von den (bei Eugen Salzer in Heilbronn erscheinenden) Maßgebliches und Unmaßgebliches frage, die die beiden Staatsmänner zusammenführt. Aber auf beiden Seiten wird Neues von Reinke. Von den (bei Eugen Salzer in Heilbronn erscheinenden) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311803"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_206" prev="#ID_205"> frage, die die beiden Staatsmänner zusammenführt. Aber auf beiden Seiten wird<lb/> der Nutzen einer ausgiebigen persönlichen Aussprache über alle wichtigen Fragen<lb/> der großen Politik angenehm empfunden werden.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> Neues von Reinke.</head> <p xml:id="ID_207" next="#ID_208"> Von den (bei Eugen Salzer in Heilbronn erscheinenden)<lb/> Naturwissenschaftlichen Vorträgen für die Gebildeten aller Stände, die<lb/> Johannes Reinke herausgibt, gehn uns die soeben (1908) erschienenen Bändchen 2<lb/> und 3 zu. Jedes enthält drei Vorträge. Der erste des zweiten Bändchens gibt<lb/> unter dem Titel: Was wissen wir von der Natur, und was können wir von ihr<lb/> wissen? eine populäre Erkenntnistheorie in der Form eines Abrisses der Geschichte<lb/> oder Entwicklung dieser Wissenschaft. Die Überschrift des zweiten lautet: Natur<lb/> und Gottesidee. Die Natur ist immer allen großen Naturforschern, soweit sie un¬<lb/> befangen waren, erschienen als „Anleitung zum Glauben an Gott; als Gottes<lb/> Wort, in andern Buchstaben geschrieben, als die Hand des Menschen sie malt. Zu<lb/> diesem unerschütterlichen Glauben fügt die Wissenschaft einen andern Glaubenssatz<lb/> hinzu; er lautet: Gott regiert in der Natur nur durch die Natur, und ihre Ge¬<lb/> setze sind Gottes Gesetze." Der dritte Vortrag behandelt die Stellung Kants zum<lb/> naturphilosophischen Theismus. Nach Anführung eines Bekenntnisses Friedrichs des<lb/> Großen zu diesem Theismus bekennt Reinke, es sei ihm unbegreiflich, wie so viele<lb/> Gebildete einem kosmologischen Atheismus huldigen können, noch unbegreiflicher,<lb/> daß sich heute so viele Naturforscher, besonders Biologen, unter diesen Atheisten<lb/> befinden, aber den Gipfel seiner Verwunderung bildet es, „wenn man protestantische<lb/> Geistliche verkünden hört, es sei vergeblich und unmöglich, Gott aus der Natur<lb/> erkennen zu wollen; wenn angesehene protestantische Theologen von einer Ent-<lb/> götterung der Natur durch die Wissenschaft sprechen, wenn sie in dogmatischer<lb/> Form erklären: es gibt keine Offenbarung durch Dinge." Wer auch nur eine<lb/> große liberale Zeitung, etwa die Frankfurter, aufmerksam verfolgt, die ein gediegnes<lb/> populärwissenschaftliches Feuilleton hat, wird längst bemerkt haben, wie manche<lb/> Naturforscher Kant nur darum so inbrünstig verehren, weil er uns vom Glauben<lb/> an Gott befreit, sie sagen gewöhnlich lieber, den Glauben an das Wunder un¬<lb/> möglich gemacht habe oder so ähnlich. Reinke zeigt, wie wenig begründet diese<lb/> Art von Kantverehrung ist. Freilich hat der große Kritiker auch dem Atheismus<lb/> Waffen geliefert, aber Reinke weist überzeugend nach, daß Kant immer nur in<lb/> Augenblicken, wo er sich selbst nicht verstand und sich selbst nicht treu war, nach<lb/> der linken Seite hin abgerutscht ist. Im ersten und im dritten Vortrage des<lb/> dritten Bändchens wird gezeigt, wie weit die Mechanistik in der Biologie an¬<lb/> gewandt werden kann. Im ersten wird von der Weltbetrachtung des großen<lb/> Physikers Hertz ausgegangen, in beiden dargestellt, welche Bedeutung die „Maschinen¬<lb/> struktur" für den Organismus hat, die den in den Organismus eintretenden Energie¬<lb/> strom zwingt, in einer bestimmten Richtung zu wirken, ähnlich wie dies der Mensch<lb/> tut, wenn er durch die Mühle den Bach, durch die Wanduhr die Schwerkraft, durch<lb/> die Taschenuhr die Federkraft seinen Zwecken dienstbar macht. Erst durch die<lb/> lichtvolle Auseinandersetzung im dritten Vortrage ist mir der Unterschied von Kraft<lb/> und Energie völlig klar geworden. Derselbe Vortrag nötigt mich, einen Irrtum<lb/> einzugestehu. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten geäußert, die Baukunst der<lb/> Arbeitbiene könne nicht ererbt sein, weil weder die Drohne noch die Königin diese<lb/> Kunst übe und die Arbeitbienen sich nicht fortpflanzten; nach Reinke haben wir<lb/> uns den Arbeittrieb in der Königin latent zu denken. Die instinktiven Kräfte<lb/> können vorgestellt werden als durch die Systembedingungen des Organismus er-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
frage, die die beiden Staatsmänner zusammenführt. Aber auf beiden Seiten wird
der Nutzen einer ausgiebigen persönlichen Aussprache über alle wichtigen Fragen
der großen Politik angenehm empfunden werden.
Neues von Reinke. Von den (bei Eugen Salzer in Heilbronn erscheinenden)
Naturwissenschaftlichen Vorträgen für die Gebildeten aller Stände, die
Johannes Reinke herausgibt, gehn uns die soeben (1908) erschienenen Bändchen 2
und 3 zu. Jedes enthält drei Vorträge. Der erste des zweiten Bändchens gibt
unter dem Titel: Was wissen wir von der Natur, und was können wir von ihr
wissen? eine populäre Erkenntnistheorie in der Form eines Abrisses der Geschichte
oder Entwicklung dieser Wissenschaft. Die Überschrift des zweiten lautet: Natur
und Gottesidee. Die Natur ist immer allen großen Naturforschern, soweit sie un¬
befangen waren, erschienen als „Anleitung zum Glauben an Gott; als Gottes
Wort, in andern Buchstaben geschrieben, als die Hand des Menschen sie malt. Zu
diesem unerschütterlichen Glauben fügt die Wissenschaft einen andern Glaubenssatz
hinzu; er lautet: Gott regiert in der Natur nur durch die Natur, und ihre Ge¬
setze sind Gottes Gesetze." Der dritte Vortrag behandelt die Stellung Kants zum
naturphilosophischen Theismus. Nach Anführung eines Bekenntnisses Friedrichs des
Großen zu diesem Theismus bekennt Reinke, es sei ihm unbegreiflich, wie so viele
Gebildete einem kosmologischen Atheismus huldigen können, noch unbegreiflicher,
daß sich heute so viele Naturforscher, besonders Biologen, unter diesen Atheisten
befinden, aber den Gipfel seiner Verwunderung bildet es, „wenn man protestantische
Geistliche verkünden hört, es sei vergeblich und unmöglich, Gott aus der Natur
erkennen zu wollen; wenn angesehene protestantische Theologen von einer Ent-
götterung der Natur durch die Wissenschaft sprechen, wenn sie in dogmatischer
Form erklären: es gibt keine Offenbarung durch Dinge." Wer auch nur eine
große liberale Zeitung, etwa die Frankfurter, aufmerksam verfolgt, die ein gediegnes
populärwissenschaftliches Feuilleton hat, wird längst bemerkt haben, wie manche
Naturforscher Kant nur darum so inbrünstig verehren, weil er uns vom Glauben
an Gott befreit, sie sagen gewöhnlich lieber, den Glauben an das Wunder un¬
möglich gemacht habe oder so ähnlich. Reinke zeigt, wie wenig begründet diese
Art von Kantverehrung ist. Freilich hat der große Kritiker auch dem Atheismus
Waffen geliefert, aber Reinke weist überzeugend nach, daß Kant immer nur in
Augenblicken, wo er sich selbst nicht verstand und sich selbst nicht treu war, nach
der linken Seite hin abgerutscht ist. Im ersten und im dritten Vortrage des
dritten Bändchens wird gezeigt, wie weit die Mechanistik in der Biologie an¬
gewandt werden kann. Im ersten wird von der Weltbetrachtung des großen
Physikers Hertz ausgegangen, in beiden dargestellt, welche Bedeutung die „Maschinen¬
struktur" für den Organismus hat, die den in den Organismus eintretenden Energie¬
strom zwingt, in einer bestimmten Richtung zu wirken, ähnlich wie dies der Mensch
tut, wenn er durch die Mühle den Bach, durch die Wanduhr die Schwerkraft, durch
die Taschenuhr die Federkraft seinen Zwecken dienstbar macht. Erst durch die
lichtvolle Auseinandersetzung im dritten Vortrage ist mir der Unterschied von Kraft
und Energie völlig klar geworden. Derselbe Vortrag nötigt mich, einen Irrtum
einzugestehu. Ich habe bei mehreren Gelegenheiten geäußert, die Baukunst der
Arbeitbiene könne nicht ererbt sein, weil weder die Drohne noch die Königin diese
Kunst übe und die Arbeitbienen sich nicht fortpflanzten; nach Reinke haben wir
uns den Arbeittrieb in der Königin latent zu denken. Die instinktiven Kräfte
können vorgestellt werden als durch die Systembedingungen des Organismus er-
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