Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Der Antiquar dort und hier. Und dennoch, so oft Erinnerung mich heimsucht, stehn die Du armes, stilles Greifswald! Über Heidelberg liegt ein Glanz, eine Der Antiquar Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung) üblich, endlich -- es fehlte nicht mehr viel an halb sechs -- tauchte Sobald Schier das Taschentuch bemerkte, schlüpfte er aus der Ladentür, ent¬ Wenn ich nicht irre, sagte er, die das erstemal mit so schönem Erfolg an¬ Die Witwe blieb stehn, zupfte ihre Bluse zurecht, nahm den eingewickelten Aber das ist komisch! sagte sie, Seylers Hand schüttelnd, Sie sehen ganz genau Der Antiquar dort und hier. Und dennoch, so oft Erinnerung mich heimsucht, stehn die Du armes, stilles Greifswald! Über Heidelberg liegt ein Glanz, eine Der Antiquar Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung) üblich, endlich — es fehlte nicht mehr viel an halb sechs — tauchte Sobald Schier das Taschentuch bemerkte, schlüpfte er aus der Ladentür, ent¬ Wenn ich nicht irre, sagte er, die das erstemal mit so schönem Erfolg an¬ Die Witwe blieb stehn, zupfte ihre Bluse zurecht, nahm den eingewickelten Aber das ist komisch! sagte sie, Seylers Hand schüttelnd, Sie sehen ganz genau <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303186"/> <fw type="header" place="top"> Der Antiquar</fw><lb/> <p xml:id="ID_2617" prev="#ID_2616"> dort und hier. Und dennoch, so oft Erinnerung mich heimsucht, stehn die<lb/> beiden nebeneinander und wollen verglichen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_2618"> Du armes, stilles Greifswald! Über Heidelberg liegt ein Glanz, eine<lb/> Fülle, eine Wärme ohnegleichen gebreitet, gestern und heute und immerdar;<lb/> der Glanz, die Fülle, die Wärme einer der mächtigsten Stätten deutschen<lb/> Geisteslebens, geweiht auf Schritt und Tritt durch die Größe seiner Ver¬<lb/> gangenheit! Heidelberg ist mir wie ein üppiges, reifes Weib, dessen heißer<lb/> Zauber auf alle überströmt, die sich ihm nähern; wie man sich eine vornehme<lb/> Wienerin denkt, elegant und distinguiert, dabei liebenswürdig und ewig lachend,<lb/> und schön, schön, den Vollklang dieses mißbrauchten Wortes ausschöpfend.<lb/> Heidelberg, das ist der Süden und der Westen geeint: die südmaiuische Be¬<lb/> haglichkeit und die rheinische überströmende Lust. Greifswald? Daneben gleicht<lb/> es einem schüchternen Mauerblümchen im anspruchslosen Mnllkleidchen. Sein<lb/> Zauber fängt recht zu wirken erst an, wenn man es verlassen hat. Mit<lb/> seinen stillen blauen Augen schaut es einem durchs Leben nach. Es hat<lb/> etwas von der ungelösten Sehnsucht des Nordens, zu dem sein Meer hinaus¬<lb/> weist, und sonst die spröde Schlichtheit deutschen Ostens. Norden, Osten — das<lb/> kommt herüber zu mir wie ein ferner, lieber Klang und läßt in der Seele ein leises<lb/> Heimweh erzittern.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Der Antiquar<lb/><note type="byline"> Julius R. Haarhaus</note> von(Fortsetzung)</head><lb/> <p xml:id="ID_2619"> üblich, endlich — es fehlte nicht mehr viel an halb sechs — tauchte<lb/> aus dem Dämmer des Durchgangs ein Strohhut auf, dessen Blumen¬<lb/> schmuck die Vermutung wachrief, die kleine Witwe habe sich zur Auf¬<lb/> gabe gemacht, zur Erinnerung an ihren herzensguter Mann den<lb/> ganzen Rosenflor des Johannis-Friedhofs mit sich herumzutragen.<lb/> > Denn daß die Trägerin des Hutes tatsächlich Frau Minna war, bewies<lb/> nicht nur das Taschentuch, sondern auch ein blonder Kopf, der noch viel wuscheliger,<lb/> und eine Körperfülle, die noch viel blühender und üppiger war, als das Kabinettbild<lb/> angedeutet hatte. In der Linken trug sie das Erkennungszeichen, im rechten Arm<lb/> einen in Papier gewickelten Gegenstand, den man nach Form und Größe für eine<lb/> Literflasche halten konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2620"> Sobald Schier das Taschentuch bemerkte, schlüpfte er aus der Ladentür, ent¬<lb/> faltete das seine aber wohlweislich erst draußen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2621"> Wenn ich nicht irre, sagte er, die das erstemal mit so schönem Erfolg an¬<lb/> gewandte Redensart wiederholend, habe ich die Ehre mit Frau Minna Krause?</p><lb/> <p xml:id="ID_2622"> Die Witwe blieb stehn, zupfte ihre Bluse zurecht, nahm den eingewickelten<lb/> Gegenstand in den linken Arm und bot dem Herrn im besten Mannesalter lachend<lb/> die Hand. Man merkte ihr an, daß sie der Situation gewachsen und trotz ihres<lb/> unvergeßlichen ersten Gatten unter allen Umständen fest entschlossen war, so bald<lb/> wie möglich noch einmal ihren vollen Nacken unter das Joch der Ehe zu beugen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2623"> Aber das ist komisch! sagte sie, Seylers Hand schüttelnd, Sie sehen ganz genau<lb/> so aus, wie ich Sie mir vorgestellt hatte! Das ist wohl Ihr Geschäft? Sie musterte<lb/> das Lädchen mit kritischen Blicken. Dabei las sie auch die Firma.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0484]
Der Antiquar
dort und hier. Und dennoch, so oft Erinnerung mich heimsucht, stehn die
beiden nebeneinander und wollen verglichen sein.
Du armes, stilles Greifswald! Über Heidelberg liegt ein Glanz, eine
Fülle, eine Wärme ohnegleichen gebreitet, gestern und heute und immerdar;
der Glanz, die Fülle, die Wärme einer der mächtigsten Stätten deutschen
Geisteslebens, geweiht auf Schritt und Tritt durch die Größe seiner Ver¬
gangenheit! Heidelberg ist mir wie ein üppiges, reifes Weib, dessen heißer
Zauber auf alle überströmt, die sich ihm nähern; wie man sich eine vornehme
Wienerin denkt, elegant und distinguiert, dabei liebenswürdig und ewig lachend,
und schön, schön, den Vollklang dieses mißbrauchten Wortes ausschöpfend.
Heidelberg, das ist der Süden und der Westen geeint: die südmaiuische Be¬
haglichkeit und die rheinische überströmende Lust. Greifswald? Daneben gleicht
es einem schüchternen Mauerblümchen im anspruchslosen Mnllkleidchen. Sein
Zauber fängt recht zu wirken erst an, wenn man es verlassen hat. Mit
seinen stillen blauen Augen schaut es einem durchs Leben nach. Es hat
etwas von der ungelösten Sehnsucht des Nordens, zu dem sein Meer hinaus¬
weist, und sonst die spröde Schlichtheit deutschen Ostens. Norden, Osten — das
kommt herüber zu mir wie ein ferner, lieber Klang und läßt in der Seele ein leises
Heimweh erzittern.
Der Antiquar
Julius R. Haarhaus von(Fortsetzung)
üblich, endlich — es fehlte nicht mehr viel an halb sechs — tauchte
aus dem Dämmer des Durchgangs ein Strohhut auf, dessen Blumen¬
schmuck die Vermutung wachrief, die kleine Witwe habe sich zur Auf¬
gabe gemacht, zur Erinnerung an ihren herzensguter Mann den
ganzen Rosenflor des Johannis-Friedhofs mit sich herumzutragen.
> Denn daß die Trägerin des Hutes tatsächlich Frau Minna war, bewies
nicht nur das Taschentuch, sondern auch ein blonder Kopf, der noch viel wuscheliger,
und eine Körperfülle, die noch viel blühender und üppiger war, als das Kabinettbild
angedeutet hatte. In der Linken trug sie das Erkennungszeichen, im rechten Arm
einen in Papier gewickelten Gegenstand, den man nach Form und Größe für eine
Literflasche halten konnte.
Sobald Schier das Taschentuch bemerkte, schlüpfte er aus der Ladentür, ent¬
faltete das seine aber wohlweislich erst draußen.
Wenn ich nicht irre, sagte er, die das erstemal mit so schönem Erfolg an¬
gewandte Redensart wiederholend, habe ich die Ehre mit Frau Minna Krause?
Die Witwe blieb stehn, zupfte ihre Bluse zurecht, nahm den eingewickelten
Gegenstand in den linken Arm und bot dem Herrn im besten Mannesalter lachend
die Hand. Man merkte ihr an, daß sie der Situation gewachsen und trotz ihres
unvergeßlichen ersten Gatten unter allen Umständen fest entschlossen war, so bald
wie möglich noch einmal ihren vollen Nacken unter das Joch der Ehe zu beugen.
Aber das ist komisch! sagte sie, Seylers Hand schüttelnd, Sie sehen ganz genau
so aus, wie ich Sie mir vorgestellt hatte! Das ist wohl Ihr Geschäft? Sie musterte
das Lädchen mit kritischen Blicken. Dabei las sie auch die Firma.
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