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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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eng begrenzt werden, wir können nicht durch die Masse wirken, sondern durch
das Beispiel. Es wird dazu beitragen, die gewerblichen und kunsthandwerklichen
Betriebe im Interesse der allgemeinen Sache an Pflichten zu erinnern, die
nicht hoch genug gefaßt werden können. Wir sind natürlich keine Schulmeister
und sind deshalb der Überzeugung, daß wenn eine Sache etwas wert ist, sie
es nur durch die Kraft der Gesinnung wird.

Warum sind uns englische Fachschulen und das neue englische Kunsthand¬
werk so überlegen? Ihr Programm beruht nicht auf dem starren schematischen
System, sondern auf persönlicher, hochgesinnter Initiative, ihre Lehrer sind
nicht Schulmeister, soudern Weltleute im besten Sinne. Nichts steht im Wege,
daß sich überall die vom neuen Geist geleiteten Betriebe mit geeigneten Per¬
sönlichkeiten zur Veredlung des Nachwuchses und Hebung des handwerklich¬
künstlerischen Geistes verbinden und durch die Kraft eines erfolgreichen Beispiels
die Widerstrebenden zu einer gleichen Arbeit zwingen. Die schematische, staatliche
Fortbildungsschule, die allabendlich Hunderte von Lehrlingen zu unterrichten
hat, kann nichts wesentliches für die menschliche und geistige Höherbildung
leisten; wer es mit seiner Aufgabe genau nimmt, kommt alsbald zur Über¬
zeugung, daß der schwerfällige mechanische Apparat staatlicher öffentlicher
Fachschulen nicht im entferntesten soviel geben kann wie die privaten Zu¬
sammenschlüsse hoher gewerblicher, künstlerischer und geistiger Intelligenzen,
die durch Selbsthilfe die soziale, ethische und praktische Bildung des deutschen
Kunsthandwerks und seines Lehrlingswesens vornimmt. Was fehlt, ist die hohe
Gesinnung und das strenge Pflichtgefühl. Aber es sind gottlob zahlreiche
fruchtbare Keime da, die nur der Stärkung und der Entwicklung bedürfen.
Kräftige Beispiele tun not, um den Umschwung zu fördern. Die Beispiele
werden sich mehren.




Greifswald Willy Hellpach i Erinnerungen und Glossen vonn

er alte Kaspar David Friedrich, dessen Kunst durch die Jahr¬
hundertausstellung den Leuten wieder ins Gedächtnis gerufen
worden ist, hat ein Bild von Greifswald gemalt. Vorn Wasser,
Boote, Segel, gespannte Fischnetze; im Hintergrunde die Silhouette
der Stadt mit den drei Türmen von Se. Nikolai, Se. Marien
und Se. Jakob. Alles ist in einen Nebelschleier getaucht, der die
Linien unsicher verschwimmen läßt. Ich kenne nur das Blatt, das der Kunst¬
wart verbreitet hat, nicht das Original. Von welchem Standort aus der
Maler diese Ansicht der Stadt hatte, ist mir trotz allem Grübeln nie deutlich
geworden. Dem Fremden kann das gleich sein, dem Kunstgenießer auch, und
wer von diesen beiden dennoch nebenher ein bißchen zum "sachlichen" hin
will, zum Objekt der Darstellung, dem wird diese in Schleier gewickelte


Grenzboten III 1907 61
Greifswald

eng begrenzt werden, wir können nicht durch die Masse wirken, sondern durch
das Beispiel. Es wird dazu beitragen, die gewerblichen und kunsthandwerklichen
Betriebe im Interesse der allgemeinen Sache an Pflichten zu erinnern, die
nicht hoch genug gefaßt werden können. Wir sind natürlich keine Schulmeister
und sind deshalb der Überzeugung, daß wenn eine Sache etwas wert ist, sie
es nur durch die Kraft der Gesinnung wird.

Warum sind uns englische Fachschulen und das neue englische Kunsthand¬
werk so überlegen? Ihr Programm beruht nicht auf dem starren schematischen
System, sondern auf persönlicher, hochgesinnter Initiative, ihre Lehrer sind
nicht Schulmeister, soudern Weltleute im besten Sinne. Nichts steht im Wege,
daß sich überall die vom neuen Geist geleiteten Betriebe mit geeigneten Per¬
sönlichkeiten zur Veredlung des Nachwuchses und Hebung des handwerklich¬
künstlerischen Geistes verbinden und durch die Kraft eines erfolgreichen Beispiels
die Widerstrebenden zu einer gleichen Arbeit zwingen. Die schematische, staatliche
Fortbildungsschule, die allabendlich Hunderte von Lehrlingen zu unterrichten
hat, kann nichts wesentliches für die menschliche und geistige Höherbildung
leisten; wer es mit seiner Aufgabe genau nimmt, kommt alsbald zur Über¬
zeugung, daß der schwerfällige mechanische Apparat staatlicher öffentlicher
Fachschulen nicht im entferntesten soviel geben kann wie die privaten Zu¬
sammenschlüsse hoher gewerblicher, künstlerischer und geistiger Intelligenzen,
die durch Selbsthilfe die soziale, ethische und praktische Bildung des deutschen
Kunsthandwerks und seines Lehrlingswesens vornimmt. Was fehlt, ist die hohe
Gesinnung und das strenge Pflichtgefühl. Aber es sind gottlob zahlreiche
fruchtbare Keime da, die nur der Stärkung und der Entwicklung bedürfen.
Kräftige Beispiele tun not, um den Umschwung zu fördern. Die Beispiele
werden sich mehren.




Greifswald Willy Hellpach i Erinnerungen und Glossen vonn

er alte Kaspar David Friedrich, dessen Kunst durch die Jahr¬
hundertausstellung den Leuten wieder ins Gedächtnis gerufen
worden ist, hat ein Bild von Greifswald gemalt. Vorn Wasser,
Boote, Segel, gespannte Fischnetze; im Hintergrunde die Silhouette
der Stadt mit den drei Türmen von Se. Nikolai, Se. Marien
und Se. Jakob. Alles ist in einen Nebelschleier getaucht, der die
Linien unsicher verschwimmen läßt. Ich kenne nur das Blatt, das der Kunst¬
wart verbreitet hat, nicht das Original. Von welchem Standort aus der
Maler diese Ansicht der Stadt hatte, ist mir trotz allem Grübeln nie deutlich
geworden. Dem Fremden kann das gleich sein, dem Kunstgenießer auch, und
wer von diesen beiden dennoch nebenher ein bißchen zum „sachlichen" hin
will, zum Objekt der Darstellung, dem wird diese in Schleier gewickelte


Grenzboten III 1907 61
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[0473] Greifswald eng begrenzt werden, wir können nicht durch die Masse wirken, sondern durch das Beispiel. Es wird dazu beitragen, die gewerblichen und kunsthandwerklichen Betriebe im Interesse der allgemeinen Sache an Pflichten zu erinnern, die nicht hoch genug gefaßt werden können. Wir sind natürlich keine Schulmeister und sind deshalb der Überzeugung, daß wenn eine Sache etwas wert ist, sie es nur durch die Kraft der Gesinnung wird. Warum sind uns englische Fachschulen und das neue englische Kunsthand¬ werk so überlegen? Ihr Programm beruht nicht auf dem starren schematischen System, sondern auf persönlicher, hochgesinnter Initiative, ihre Lehrer sind nicht Schulmeister, soudern Weltleute im besten Sinne. Nichts steht im Wege, daß sich überall die vom neuen Geist geleiteten Betriebe mit geeigneten Per¬ sönlichkeiten zur Veredlung des Nachwuchses und Hebung des handwerklich¬ künstlerischen Geistes verbinden und durch die Kraft eines erfolgreichen Beispiels die Widerstrebenden zu einer gleichen Arbeit zwingen. Die schematische, staatliche Fortbildungsschule, die allabendlich Hunderte von Lehrlingen zu unterrichten hat, kann nichts wesentliches für die menschliche und geistige Höherbildung leisten; wer es mit seiner Aufgabe genau nimmt, kommt alsbald zur Über¬ zeugung, daß der schwerfällige mechanische Apparat staatlicher öffentlicher Fachschulen nicht im entferntesten soviel geben kann wie die privaten Zu¬ sammenschlüsse hoher gewerblicher, künstlerischer und geistiger Intelligenzen, die durch Selbsthilfe die soziale, ethische und praktische Bildung des deutschen Kunsthandwerks und seines Lehrlingswesens vornimmt. Was fehlt, ist die hohe Gesinnung und das strenge Pflichtgefühl. Aber es sind gottlob zahlreiche fruchtbare Keime da, die nur der Stärkung und der Entwicklung bedürfen. Kräftige Beispiele tun not, um den Umschwung zu fördern. Die Beispiele werden sich mehren. Greifswald Willy Hellpach i Erinnerungen und Glossen vonn er alte Kaspar David Friedrich, dessen Kunst durch die Jahr¬ hundertausstellung den Leuten wieder ins Gedächtnis gerufen worden ist, hat ein Bild von Greifswald gemalt. Vorn Wasser, Boote, Segel, gespannte Fischnetze; im Hintergrunde die Silhouette der Stadt mit den drei Türmen von Se. Nikolai, Se. Marien und Se. Jakob. Alles ist in einen Nebelschleier getaucht, der die Linien unsicher verschwimmen läßt. Ich kenne nur das Blatt, das der Kunst¬ wart verbreitet hat, nicht das Original. Von welchem Standort aus der Maler diese Ansicht der Stadt hatte, ist mir trotz allem Grübeln nie deutlich geworden. Dem Fremden kann das gleich sein, dem Kunstgenießer auch, und wer von diesen beiden dennoch nebenher ein bißchen zum „sachlichen" hin will, zum Objekt der Darstellung, dem wird diese in Schleier gewickelte Grenzboten III 1907 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/473>, abgerufen am 04.12.2024.