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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen

weitaus der schönste der ganzen Überlieferung. Nur müßte man nicht so gries¬
grämig, wie es würdige Historiker neuerer Zeit getan haben, auf Dichter und
Chronikenschreiber herabsehen."

Also neben unerschrocknen Blick für die oft poesielose Wirklichkeit in der
Burgenkunde offne Herzen für den Burgenzauber, empfänglicher Sinn für die
Schönheiten der Bauten aus vergangnen Tagen, in dem erlaubten Maß von
Begeisterung, die auch dem kritischsten Forscher wohl ansteht; nicht träumerische
Romantik, aber auch kein kleinlicher Streit um fünf Jahre Differenz bei der
Altersbestimmung und fünf Meter beim Höhenmaß eines Berchfrits. Kein ver¬
zagendes Verzichten, sondern frisches, tatkräftiges Wiederaufrichten rufe der
Anblick der Burgenbauten in uns hervor.

Eine im Kranz der deutschen Burgensagen oft wiederkehrende Erzählung
berichtet von einer Jungfrau, die in einsamer Burgstadt auscrlesnen Menschen
den Schlüssel oder eine Blume reicht, damit das Tor zu öffnen,' das zu den
gleißenden Goldschätzen im Innern des Burgbergs führt. Sie gemahnt den
von dem Reichtum geblendeten nach Herzenslust mitzunehmen, aber "das Beste"
nicht zu vergessen: die Eintritt schaffende Wunderblume. Da aber ihr Rat un-
gehört verhallt, schwindet mit Donnerschlag Jungfrau, Blume und Schatz.

Noch heute schlummern unter den Burgen riesige geistige Schätze, der sie
hebenden Geschichtsforscher und Altertumsfreunde harrend: wer sie heben will,
vergesse "das Beste" nicht: den Burgenzauber!




Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen
Iosexh Aug. Tux i vonn

as soll der Junge werden, wenn er aus der Schule kommt?
"Er soll ein Handwerk lernen", sagt der Herr Onkel, der Ge¬
schichtsprofessor ist. "Wenn schon, dann darf es nicht mein
Handwerk sein", sagt der Vater nachdenklich, denn er kennt die
Lehrlingsmisere seines Berufs und neigt begreiflicherweise zu der
Ansicht, daß es in andern Handwerksberufen besser bestellt sei. "Ein Handwerk
lernen!" ruft die Mutter mit beleidigtem Stolz. "Nein, dafür ist mein Junge zu
gut. Er muß was besseres werden!" Was besseres? Kann es denn was besseres
geben als ein edles Handwerk, ein Kunsthandwerk, das in alten Zeiten der
Stolz der Kultur war und stets die Grundlage einer wahrhaft volkstüm¬
lichen Bildung gewesen ist? Ohne Handwerk gibts keine Kunst. Es ist der alte
Nährboden der Kunst und der Kultur, und das Sprichwort will sogar wissen,


Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen

weitaus der schönste der ganzen Überlieferung. Nur müßte man nicht so gries¬
grämig, wie es würdige Historiker neuerer Zeit getan haben, auf Dichter und
Chronikenschreiber herabsehen."

Also neben unerschrocknen Blick für die oft poesielose Wirklichkeit in der
Burgenkunde offne Herzen für den Burgenzauber, empfänglicher Sinn für die
Schönheiten der Bauten aus vergangnen Tagen, in dem erlaubten Maß von
Begeisterung, die auch dem kritischsten Forscher wohl ansteht; nicht träumerische
Romantik, aber auch kein kleinlicher Streit um fünf Jahre Differenz bei der
Altersbestimmung und fünf Meter beim Höhenmaß eines Berchfrits. Kein ver¬
zagendes Verzichten, sondern frisches, tatkräftiges Wiederaufrichten rufe der
Anblick der Burgenbauten in uns hervor.

Eine im Kranz der deutschen Burgensagen oft wiederkehrende Erzählung
berichtet von einer Jungfrau, die in einsamer Burgstadt auscrlesnen Menschen
den Schlüssel oder eine Blume reicht, damit das Tor zu öffnen,' das zu den
gleißenden Goldschätzen im Innern des Burgbergs führt. Sie gemahnt den
von dem Reichtum geblendeten nach Herzenslust mitzunehmen, aber „das Beste"
nicht zu vergessen: die Eintritt schaffende Wunderblume. Da aber ihr Rat un-
gehört verhallt, schwindet mit Donnerschlag Jungfrau, Blume und Schatz.

Noch heute schlummern unter den Burgen riesige geistige Schätze, der sie
hebenden Geschichtsforscher und Altertumsfreunde harrend: wer sie heben will,
vergesse „das Beste" nicht: den Burgenzauber!




Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen
Iosexh Aug. Tux i vonn

as soll der Junge werden, wenn er aus der Schule kommt?
„Er soll ein Handwerk lernen", sagt der Herr Onkel, der Ge¬
schichtsprofessor ist. „Wenn schon, dann darf es nicht mein
Handwerk sein", sagt der Vater nachdenklich, denn er kennt die
Lehrlingsmisere seines Berufs und neigt begreiflicherweise zu der
Ansicht, daß es in andern Handwerksberufen besser bestellt sei. „Ein Handwerk
lernen!" ruft die Mutter mit beleidigtem Stolz. „Nein, dafür ist mein Junge zu
gut. Er muß was besseres werden!" Was besseres? Kann es denn was besseres
geben als ein edles Handwerk, ein Kunsthandwerk, das in alten Zeiten der
Stolz der Kultur war und stets die Grundlage einer wahrhaft volkstüm¬
lichen Bildung gewesen ist? Ohne Handwerk gibts keine Kunst. Es ist der alte
Nährboden der Kunst und der Kultur, und das Sprichwort will sogar wissen,


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[0467] Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen weitaus der schönste der ganzen Überlieferung. Nur müßte man nicht so gries¬ grämig, wie es würdige Historiker neuerer Zeit getan haben, auf Dichter und Chronikenschreiber herabsehen." Also neben unerschrocknen Blick für die oft poesielose Wirklichkeit in der Burgenkunde offne Herzen für den Burgenzauber, empfänglicher Sinn für die Schönheiten der Bauten aus vergangnen Tagen, in dem erlaubten Maß von Begeisterung, die auch dem kritischsten Forscher wohl ansteht; nicht träumerische Romantik, aber auch kein kleinlicher Streit um fünf Jahre Differenz bei der Altersbestimmung und fünf Meter beim Höhenmaß eines Berchfrits. Kein ver¬ zagendes Verzichten, sondern frisches, tatkräftiges Wiederaufrichten rufe der Anblick der Burgenbauten in uns hervor. Eine im Kranz der deutschen Burgensagen oft wiederkehrende Erzählung berichtet von einer Jungfrau, die in einsamer Burgstadt auscrlesnen Menschen den Schlüssel oder eine Blume reicht, damit das Tor zu öffnen,' das zu den gleißenden Goldschätzen im Innern des Burgbergs führt. Sie gemahnt den von dem Reichtum geblendeten nach Herzenslust mitzunehmen, aber „das Beste" nicht zu vergessen: die Eintritt schaffende Wunderblume. Da aber ihr Rat un- gehört verhallt, schwindet mit Donnerschlag Jungfrau, Blume und Schatz. Noch heute schlummern unter den Burgen riesige geistige Schätze, der sie hebenden Geschichtsforscher und Altertumsfreunde harrend: wer sie heben will, vergesse „das Beste" nicht: den Burgenzauber! Der Lehrling in den kunstgewerblichen Berufen Iosexh Aug. Tux i vonn as soll der Junge werden, wenn er aus der Schule kommt? „Er soll ein Handwerk lernen", sagt der Herr Onkel, der Ge¬ schichtsprofessor ist. „Wenn schon, dann darf es nicht mein Handwerk sein", sagt der Vater nachdenklich, denn er kennt die Lehrlingsmisere seines Berufs und neigt begreiflicherweise zu der Ansicht, daß es in andern Handwerksberufen besser bestellt sei. „Ein Handwerk lernen!" ruft die Mutter mit beleidigtem Stolz. „Nein, dafür ist mein Junge zu gut. Er muß was besseres werden!" Was besseres? Kann es denn was besseres geben als ein edles Handwerk, ein Kunsthandwerk, das in alten Zeiten der Stolz der Kultur war und stets die Grundlage einer wahrhaft volkstüm¬ lichen Bildung gewesen ist? Ohne Handwerk gibts keine Kunst. Es ist der alte Nährboden der Kunst und der Kultur, und das Sprichwort will sogar wissen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/467>, abgerufen am 11.12.2024.