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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Konfession und Wirtschaftsleben

tie Rückständigkeit der Katholiken auch im Wirtschaftsleben ist ein
vielerörtertes Thema, aber, so oft es schon durchgesprochen worden
sein mag, noch lange nicht spruchreif. Wo fände man alle die
Vorfragen befriedigend beantwortet wie: Ist der Pole darum rück¬
ständig geblieben, weil er katholisch, oder weil er Pole ist, oder
weil er ein reichliches Jahrtausend in einer Gegend zugebracht hat, die vor der
Einführung der modernen Verkehrsmittel von der westlichen Kultur nicht leicht
beeinflußt werden konnte? Sind die Franzosen darum schon rückständig zu
nennen, weil ihre gewerbliche Tätigkeit in mancher Beziehung anders geartet
ist als die der Engländer? Wie kommt es, daß die Italiener vom zwölften
bis ins fünfzehnte Jahrhundert, wo sie doch auch schon Katholiken waren, so
gewaltige Fortschritte nicht bloß auf allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst
sondern auch in Gewerbe und Handel gemacht haben und dann der Stagnation
verfallen sind? Daß die Verlegung der Handelswege eine der Ursachen dieses
Wandels gewesen ist, wird ja wohl allgemein anerkannt. Zeigen nicht über¬
haupt die vier oder fünf romanischen Nationen ganz verschiedne Physiognomien
mich im Wirtschaftsleben, obwohl sie sich sämtlich, wenigstens äußerlich, zum
Katholizismus bekennen? Und wäre die Tatsache der Rückständigkeit aller
katholischen Nationen und Völkerbruchteile oder wenigstens der meisten festge¬
stellt, wäre auch bewiesen, daß die Konfession daran teilhat -- alleinige Ur¬
sache kann sie nicht sein, weil ganz ohne Zweifel der Volkscharakter, die geo¬
graphische Gunst oder Ungunst des Landes und politische Umwälzungen sowie
Änderungen der Verkehrswege mächtig einwirken --, so wäre noch zu fragen,
wie der Einfluß der Konfession eigentlich zu denken sei. Liegt das schädigende
oder Hemmende bloß im Kult? Daß zum Beispiel die vielen Feiertage früher
die Gewerbtütigkeit beeinträchtigt haben, wie sie denn heute noch in Rußland
nicht bloß volkswirtschaftliche sondern auch ethische Verheerungen anrichten,
läßt sich nicht leugnen. Oder schadet das Dogma? Und in welchem Umfange
und Jntensitätsgrade wirkt dieses, wie weit bleibt es harmlose Theorie? Diese
Theorie darlegen, das gehört also zu den Vorbereitungsarbeiten für die Lösung
der großen Frage. Oder ist die Theorie, sind überhaupt die volkswirtschaft¬
lichen Theorien der Konfessionen vielleicht schon allgemein bekannt?




Konfession und Wirtschaftsleben

tie Rückständigkeit der Katholiken auch im Wirtschaftsleben ist ein
vielerörtertes Thema, aber, so oft es schon durchgesprochen worden
sein mag, noch lange nicht spruchreif. Wo fände man alle die
Vorfragen befriedigend beantwortet wie: Ist der Pole darum rück¬
ständig geblieben, weil er katholisch, oder weil er Pole ist, oder
weil er ein reichliches Jahrtausend in einer Gegend zugebracht hat, die vor der
Einführung der modernen Verkehrsmittel von der westlichen Kultur nicht leicht
beeinflußt werden konnte? Sind die Franzosen darum schon rückständig zu
nennen, weil ihre gewerbliche Tätigkeit in mancher Beziehung anders geartet
ist als die der Engländer? Wie kommt es, daß die Italiener vom zwölften
bis ins fünfzehnte Jahrhundert, wo sie doch auch schon Katholiken waren, so
gewaltige Fortschritte nicht bloß auf allen Gebieten der Wissenschaft und Kunst
sondern auch in Gewerbe und Handel gemacht haben und dann der Stagnation
verfallen sind? Daß die Verlegung der Handelswege eine der Ursachen dieses
Wandels gewesen ist, wird ja wohl allgemein anerkannt. Zeigen nicht über¬
haupt die vier oder fünf romanischen Nationen ganz verschiedne Physiognomien
mich im Wirtschaftsleben, obwohl sie sich sämtlich, wenigstens äußerlich, zum
Katholizismus bekennen? Und wäre die Tatsache der Rückständigkeit aller
katholischen Nationen und Völkerbruchteile oder wenigstens der meisten festge¬
stellt, wäre auch bewiesen, daß die Konfession daran teilhat — alleinige Ur¬
sache kann sie nicht sein, weil ganz ohne Zweifel der Volkscharakter, die geo¬
graphische Gunst oder Ungunst des Landes und politische Umwälzungen sowie
Änderungen der Verkehrswege mächtig einwirken —, so wäre noch zu fragen,
wie der Einfluß der Konfession eigentlich zu denken sei. Liegt das schädigende
oder Hemmende bloß im Kult? Daß zum Beispiel die vielen Feiertage früher
die Gewerbtütigkeit beeinträchtigt haben, wie sie denn heute noch in Rußland
nicht bloß volkswirtschaftliche sondern auch ethische Verheerungen anrichten,
läßt sich nicht leugnen. Oder schadet das Dogma? Und in welchem Umfange
und Jntensitätsgrade wirkt dieses, wie weit bleibt es harmlose Theorie? Diese
Theorie darlegen, das gehört also zu den Vorbereitungsarbeiten für die Lösung
der großen Frage. Oder ist die Theorie, sind überhaupt die volkswirtschaft¬
lichen Theorien der Konfessionen vielleicht schon allgemein bekannt?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/448>, abgerufen am 09.11.2024.