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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Natur Wissenschaft und Theismus

wir selbst es waren. Der Unterschied war nur der, daß man es wußte." Heute
sind dies längst vergangne Dinge. Sie gehören der Geschichte an und können,
ohne bittere Gefühle zu erwecken, zum Gegenstand unparteiischer Untersuchung
gemacht werden. So begreiflich es ist, daß nach dem Jahre 1866 in Wien
Stimmungen die Oberhand gewannen, wie sie in diesen Bündnisverhandlungen
zum Ausdruck kamen, so erfreulich ist es, daß sie so rasch und so gründlich
überwunden worden sind. Zuversichtlich kann heute gesagt werden, daß eine
Wiederkehr der damaligen Konstellation zur Unmöglichkeit geworden ist.


W. Lang


Naturwissenschaft und Theismus
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^l^Mlohcmnes Reinke hat seinem berühmten größern Werke "Die Welt
als Tat" ein kleines Buch*) ähnlichen Inhalts nachgeschickt, das
als zuverlässige und zugleich angenehme Einführung in die Natur¬
wissenschaften auf das wärmste und dringendste empfohlen werden
I muß. Es orientiert über den gegenwärtigen Stand der Forschung
in Physik, Chemie und Biologie, stellt die sichern Ergebnisse zusammen und
zerstreut die Nebel, die philosophische Vorurteile unter dem falschen Scheine
exakter Forschung über manche Gebiete, namentlich über das biologische, ver¬
breitet haben. Nur zweierlei mag daraus angeführt werden. Das Charakte¬
ristische des Organischen ist nach Reinke -- nicht die Gestalt, wie Chamberlain
gesagt hat, sondern -- die Selbstgestaltung. Eine Maschine darf man nicht
bloß, sondern muß man den Organismus nennen, wenn er auch die verwickeltste,
feinste und wunderbarste aller Maschinen ist. Das Maschinenhafte besteht darin,
"daß das Leben auf Bewegungen beruht, die zu ihrem Betriebe eine Zufuhr
von Energie erfordern, die durch die Gestaltung der Teile zu ganz bestimmten
Verrichtungen gezwungen wird". Ihre Arbeit kann als automatische gedacht
werden, nur darf mau nicht vergessen, daß jede Maschine nur bis zu einem
gewissen Punkte Automat ist. Ein Kriegsschiff würde nichts leisten ohne die
Seelentätigkeit des Kommandanten und die körperliche Arbeit des Steuermanns,
der Heizer und andrer Personen, eine chemische Fabrik steht still, sobald die
Chemiker und die Arbeiter sie verlassen. In den Zellen gehn chemische Prozesse
der verschiedensten Art gleichzeitig vor sich. In der Fabrik und im Laboratorium
ist das nur zu machen, wenn man für jeden Einzelvorgang einen besondern
Topf bereit hat. "Im Protoplasma der Zellen vermag das Mikroskop solche



*) Die Natur und Wir. Leichtverständliche Aufzeichnungen von Dr. I. Reinke,
Professor in Kiel. Berlin, Gebrüder Paetel, 1907.
Natur Wissenschaft und Theismus

wir selbst es waren. Der Unterschied war nur der, daß man es wußte." Heute
sind dies längst vergangne Dinge. Sie gehören der Geschichte an und können,
ohne bittere Gefühle zu erwecken, zum Gegenstand unparteiischer Untersuchung
gemacht werden. So begreiflich es ist, daß nach dem Jahre 1866 in Wien
Stimmungen die Oberhand gewannen, wie sie in diesen Bündnisverhandlungen
zum Ausdruck kamen, so erfreulich ist es, daß sie so rasch und so gründlich
überwunden worden sind. Zuversichtlich kann heute gesagt werden, daß eine
Wiederkehr der damaligen Konstellation zur Unmöglichkeit geworden ist.


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^l^Mlohcmnes Reinke hat seinem berühmten größern Werke „Die Welt
als Tat" ein kleines Buch*) ähnlichen Inhalts nachgeschickt, das
als zuverlässige und zugleich angenehme Einführung in die Natur¬
wissenschaften auf das wärmste und dringendste empfohlen werden
I muß. Es orientiert über den gegenwärtigen Stand der Forschung
in Physik, Chemie und Biologie, stellt die sichern Ergebnisse zusammen und
zerstreut die Nebel, die philosophische Vorurteile unter dem falschen Scheine
exakter Forschung über manche Gebiete, namentlich über das biologische, ver¬
breitet haben. Nur zweierlei mag daraus angeführt werden. Das Charakte¬
ristische des Organischen ist nach Reinke — nicht die Gestalt, wie Chamberlain
gesagt hat, sondern — die Selbstgestaltung. Eine Maschine darf man nicht
bloß, sondern muß man den Organismus nennen, wenn er auch die verwickeltste,
feinste und wunderbarste aller Maschinen ist. Das Maschinenhafte besteht darin,
„daß das Leben auf Bewegungen beruht, die zu ihrem Betriebe eine Zufuhr
von Energie erfordern, die durch die Gestaltung der Teile zu ganz bestimmten
Verrichtungen gezwungen wird". Ihre Arbeit kann als automatische gedacht
werden, nur darf mau nicht vergessen, daß jede Maschine nur bis zu einem
gewissen Punkte Automat ist. Ein Kriegsschiff würde nichts leisten ohne die
Seelentätigkeit des Kommandanten und die körperliche Arbeit des Steuermanns,
der Heizer und andrer Personen, eine chemische Fabrik steht still, sobald die
Chemiker und die Arbeiter sie verlassen. In den Zellen gehn chemische Prozesse
der verschiedensten Art gleichzeitig vor sich. In der Fabrik und im Laboratorium
ist das nur zu machen, wenn man für jeden Einzelvorgang einen besondern
Topf bereit hat. „Im Protoplasma der Zellen vermag das Mikroskop solche



*) Die Natur und Wir. Leichtverständliche Aufzeichnungen von Dr. I. Reinke,
Professor in Kiel. Berlin, Gebrüder Paetel, 1907.
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[0190] Natur Wissenschaft und Theismus wir selbst es waren. Der Unterschied war nur der, daß man es wußte." Heute sind dies längst vergangne Dinge. Sie gehören der Geschichte an und können, ohne bittere Gefühle zu erwecken, zum Gegenstand unparteiischer Untersuchung gemacht werden. So begreiflich es ist, daß nach dem Jahre 1866 in Wien Stimmungen die Oberhand gewannen, wie sie in diesen Bündnisverhandlungen zum Ausdruck kamen, so erfreulich ist es, daß sie so rasch und so gründlich überwunden worden sind. Zuversichtlich kann heute gesagt werden, daß eine Wiederkehr der damaligen Konstellation zur Unmöglichkeit geworden ist. W. Lang Naturwissenschaft und Theismus 2 ^MMM' /M>MA(y>U WM ^l^Mlohcmnes Reinke hat seinem berühmten größern Werke „Die Welt als Tat" ein kleines Buch*) ähnlichen Inhalts nachgeschickt, das als zuverlässige und zugleich angenehme Einführung in die Natur¬ wissenschaften auf das wärmste und dringendste empfohlen werden I muß. Es orientiert über den gegenwärtigen Stand der Forschung in Physik, Chemie und Biologie, stellt die sichern Ergebnisse zusammen und zerstreut die Nebel, die philosophische Vorurteile unter dem falschen Scheine exakter Forschung über manche Gebiete, namentlich über das biologische, ver¬ breitet haben. Nur zweierlei mag daraus angeführt werden. Das Charakte¬ ristische des Organischen ist nach Reinke — nicht die Gestalt, wie Chamberlain gesagt hat, sondern — die Selbstgestaltung. Eine Maschine darf man nicht bloß, sondern muß man den Organismus nennen, wenn er auch die verwickeltste, feinste und wunderbarste aller Maschinen ist. Das Maschinenhafte besteht darin, „daß das Leben auf Bewegungen beruht, die zu ihrem Betriebe eine Zufuhr von Energie erfordern, die durch die Gestaltung der Teile zu ganz bestimmten Verrichtungen gezwungen wird". Ihre Arbeit kann als automatische gedacht werden, nur darf mau nicht vergessen, daß jede Maschine nur bis zu einem gewissen Punkte Automat ist. Ein Kriegsschiff würde nichts leisten ohne die Seelentätigkeit des Kommandanten und die körperliche Arbeit des Steuermanns, der Heizer und andrer Personen, eine chemische Fabrik steht still, sobald die Chemiker und die Arbeiter sie verlassen. In den Zellen gehn chemische Prozesse der verschiedensten Art gleichzeitig vor sich. In der Fabrik und im Laboratorium ist das nur zu machen, wenn man für jeden Einzelvorgang einen besondern Topf bereit hat. „Im Protoplasma der Zellen vermag das Mikroskop solche *) Die Natur und Wir. Leichtverständliche Aufzeichnungen von Dr. I. Reinke, Professor in Kiel. Berlin, Gebrüder Paetel, 1907.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/190>, abgerufen am 09.11.2024.