Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Naturwissenschaft und Theismus i ich (im vorjährigen 4l>, und 47, Heft) über den gegen- Naturwissenschaft und Theismus i ich (im vorjährigen 4l>, und 47, Heft) über den gegen- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0128" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302830"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_302701/figures/grenzboten_341885_302701_302830_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Naturwissenschaft und Theismus<lb/> i </head><lb/> <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> ich (im vorjährigen 4l>, und 47, Heft) über den gegen-<lb/> Stand der Biologie nach Eduard von Hartmann be-<lb/> sahe, ist mir wieder mancherlei zugegangen, das um so<lb/> mehr Berücksichtigung fordert, weil die Herrenhansrede des Pro-<lb/> zWM^sMV fessors Reinke dem Gegenstande das Interesse der Politiker zu¬<lb/> gewandt hat. Dr. Theodor Simon, Pastor an Se. Lukas in Berlin, beweist<lb/> in einer scharfsinnigen Untersuchung des Begriffs der Entwicklung (Entwicklung<lb/> und Offenbarung. Berlin, Trowitzsch <K Sohn, 1907), daß die Entwicklung,<lb/> für die heutzutage ein halbgebildetes Publikum unter der Führung einiger<lb/> Biologen schwärmt, gar keine Entwicklung ist, und daß dieser Begriff mit der<lb/> naturwissenschaftlichen Methode gar nicht gewonnen werden kann. Entwicklung<lb/> ist kein naturwissenschaftlicher, sondern ein historischer Begriff. Sie setzt eine<lb/> von innen treibende Kraft voraus und besteht in der von dieser Kraft erzeugten<lb/> Bewegung nach einem Ziele hin. Die Naturwissenschaft nun geht darauf aus,<lb/> die unendliche Vielheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu vereinfachen,<lb/> sie nach einem Gesetz von einem letzten Einfachen abzuleiten, „das gleichgiltig<lb/> gegen alle Qualität, doch alle Verschiedenheiten der Natur durch bloße<lb/> rechnerisch konstruierbare Zusammensetzung erklären ließe". In einem ihrer<lb/> Spezialgebiete, in der Mechanik, ist dieses Ideal der Naturwissenschaft schon<lb/> verwirklicht. Die Mechanik „sieht ab von allen qualitativen Verschiedenheiten<lb/> der Körperwelt und behandelt sie nur unter einem allgemeinen Gesichtspunkt:<lb/> als Masse. . . . Die Gesamtheit der Natur einer ausschließlich mechanischen Er¬<lb/> klärung zu unterwerfen, ist das letzte Ziel und höchste Ideal der Naturwissen¬<lb/> schaft, derjenigen Wissenschaft, die von Anfang an die Betrachtung der Welt<lb/> in Rücksicht auf das Allgemeine war." So kennt die Optik eigentlich keine<lb/> Farben mehr, sondern nur noch Ätherwellen von verschiedner Schwingungs¬<lb/> dauer. Das Anschauliche, das Individuelle wird verbannt. Gerade dieses<lb/> aber ist der Gegenstand der historischen Betrachtung, die aus der Masse der<lb/> Erscheinungen das Wertvolle heraushebt und dessen Entwicklung verfolgt,<lb/> während die naturwissenschaftliche Erklärung eine Methode ist, „der Wirklichkeit<lb/> berechnend Herr zu werden". Sie fragt nicht nach Wert, Ziel und Zweck,<lb/> nicht nach dem warum? und wozu?, sondern nur nach dem Kausalzusammen¬<lb/> hänge, nach der Ursachenverkettung, nicht nach Gründen. Es gibt keinen „streng</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0128]
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Naturwissenschaft und Theismus
i
ich (im vorjährigen 4l>, und 47, Heft) über den gegen-
Stand der Biologie nach Eduard von Hartmann be-
sahe, ist mir wieder mancherlei zugegangen, das um so
mehr Berücksichtigung fordert, weil die Herrenhansrede des Pro-
zWM^sMV fessors Reinke dem Gegenstande das Interesse der Politiker zu¬
gewandt hat. Dr. Theodor Simon, Pastor an Se. Lukas in Berlin, beweist
in einer scharfsinnigen Untersuchung des Begriffs der Entwicklung (Entwicklung
und Offenbarung. Berlin, Trowitzsch <K Sohn, 1907), daß die Entwicklung,
für die heutzutage ein halbgebildetes Publikum unter der Führung einiger
Biologen schwärmt, gar keine Entwicklung ist, und daß dieser Begriff mit der
naturwissenschaftlichen Methode gar nicht gewonnen werden kann. Entwicklung
ist kein naturwissenschaftlicher, sondern ein historischer Begriff. Sie setzt eine
von innen treibende Kraft voraus und besteht in der von dieser Kraft erzeugten
Bewegung nach einem Ziele hin. Die Naturwissenschaft nun geht darauf aus,
die unendliche Vielheit und Mannigfaltigkeit der Erscheinungen zu vereinfachen,
sie nach einem Gesetz von einem letzten Einfachen abzuleiten, „das gleichgiltig
gegen alle Qualität, doch alle Verschiedenheiten der Natur durch bloße
rechnerisch konstruierbare Zusammensetzung erklären ließe". In einem ihrer
Spezialgebiete, in der Mechanik, ist dieses Ideal der Naturwissenschaft schon
verwirklicht. Die Mechanik „sieht ab von allen qualitativen Verschiedenheiten
der Körperwelt und behandelt sie nur unter einem allgemeinen Gesichtspunkt:
als Masse. . . . Die Gesamtheit der Natur einer ausschließlich mechanischen Er¬
klärung zu unterwerfen, ist das letzte Ziel und höchste Ideal der Naturwissen¬
schaft, derjenigen Wissenschaft, die von Anfang an die Betrachtung der Welt
in Rücksicht auf das Allgemeine war." So kennt die Optik eigentlich keine
Farben mehr, sondern nur noch Ätherwellen von verschiedner Schwingungs¬
dauer. Das Anschauliche, das Individuelle wird verbannt. Gerade dieses
aber ist der Gegenstand der historischen Betrachtung, die aus der Masse der
Erscheinungen das Wertvolle heraushebt und dessen Entwicklung verfolgt,
während die naturwissenschaftliche Erklärung eine Methode ist, „der Wirklichkeit
berechnend Herr zu werden". Sie fragt nicht nach Wert, Ziel und Zweck,
nicht nach dem warum? und wozu?, sondern nur nach dem Kausalzusammen¬
hänge, nach der Ursachenverkettung, nicht nach Gründen. Es gibt keinen „streng
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