Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Frau und das Kunstgewerbe iele Zeichen sprechen dafür, daß die Frauen ihre Aufgabe dem Da die Kunst durch das Gewerbe so tief ins Leben greift, tiefer als etwa Die Frau und das Kunstgewerbe iele Zeichen sprechen dafür, daß die Frauen ihre Aufgabe dem Da die Kunst durch das Gewerbe so tief ins Leben greift, tiefer als etwa <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0681" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302669"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301987/figures/grenzboten_341885_301987_302669_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Frau und das Kunstgewerbe</head><lb/> <p xml:id="ID_2959"> iele Zeichen sprechen dafür, daß die Frauen ihre Aufgabe dem<lb/> modernen Kunstgewerbe gegenüber noch nicht erkannt haben.<lb/> Während ihre Empfänglichkeit und Begeisterung für die Dicht¬<lb/> kunst und die Musik nicht leicht versagt, entbehrt die Kunst im<lb/> Gewerbe noch zum großen Teil der geistigen Mitwirkung von<lb/> jener Seite her und ist seltsamerweise fast ausschließlich eine Angelegenheit<lb/> der Männer. Während im Konzertsaal oder im Rezitatioussaal die Frauen<lb/> und Mädchen den größern Teil des Publikums ausmachen, sind sie in den<lb/> kunstgewerblichen Vortrags- und Verhcmdlnngsabenden nur ausnahmsweise zu<lb/> Gast und verharren, auch hier meist in Passivität. Diese Teilnahmlosigkeit<lb/> ist um so unbegreiflicher, je mehr sich die Fragen des modernen Kunstgewerbes<lb/> als eine Lebensangelegenheit der Frauen herausstellen. Es gibt in der Tat<lb/> wenig Erzeugnisse des Kunstgewerbes, denen die Frau nicht prüfend, wählend<lb/> und kaufend gegenübertreten muß. Denn alle Angelegenheiten der künstlerischen<lb/> Gestaltung im Kunstgewerbe bewegen sich im Umkreis von Hans und Heim<lb/> und bestimmen das äußere Bild unsrer Lebenskultur. Die Männer rühmen<lb/> sich des traurigen Vorrechts, von den Dingen, die das Haus und Heim ein-<lb/> gehn, nichts zu verstehn, und überliefern diese wichtige Domäne des Lebens,<lb/> von der unzählige Industrien und Arbeitsexistenzen abhängen, dem Geschmack<lb/> der Frau, die durch ihre Entscheidung je nach dem Grad ihrer Geschmacks¬<lb/> bildung Segen oder Unheil stiftet. Daß es heute noch Menschen gibt, die<lb/> sich zu den „Gebildeten" rechnen und unumwunden erklären, von Kunst nichts<lb/> zu verstehn, ist ein Zeichen für die Verschiebung des Begriffs Bildung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2960" next="#ID_2961"> Da die Kunst durch das Gewerbe so tief ins Leben greift, tiefer als etwa<lb/> die Literatur lind die Musik, so hängt sie mit vielen ethischen, wirtschaftlichen<lb/> und praktischen Lebensbeziehungen zusammen, sodaß es geradezu als ein<lb/> schwerer Defekt bezeichnet werden muß, wenn sogenannte gebildete Leute sich<lb/> darauf etwas zugute halten, von der Kunst in ihren elementaren Voraus¬<lb/> setzungen nichts zu verstehn und sich deshalb der Aufklärung, dem Verständnis<lb/> und der Teilnahme an den schweren Problemen unsrer Zeit verschließen. Die<lb/> Folge davon ist, daß ein großer Teil des Publikums keinen Begriff von der<lb/> tiefgreifenden sozialen und ethischen Bedeutung der modernen Kunstbewegung<lb/> hat und deshalb nicht weiß, welche Forderungen es für seine Bedürfnisse an<lb/> die Dinge, die es erwirbt, stellen soll. Da sich nun der Mann in den Fragen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0681]
[Abbildung]
Die Frau und das Kunstgewerbe
iele Zeichen sprechen dafür, daß die Frauen ihre Aufgabe dem
modernen Kunstgewerbe gegenüber noch nicht erkannt haben.
Während ihre Empfänglichkeit und Begeisterung für die Dicht¬
kunst und die Musik nicht leicht versagt, entbehrt die Kunst im
Gewerbe noch zum großen Teil der geistigen Mitwirkung von
jener Seite her und ist seltsamerweise fast ausschließlich eine Angelegenheit
der Männer. Während im Konzertsaal oder im Rezitatioussaal die Frauen
und Mädchen den größern Teil des Publikums ausmachen, sind sie in den
kunstgewerblichen Vortrags- und Verhcmdlnngsabenden nur ausnahmsweise zu
Gast und verharren, auch hier meist in Passivität. Diese Teilnahmlosigkeit
ist um so unbegreiflicher, je mehr sich die Fragen des modernen Kunstgewerbes
als eine Lebensangelegenheit der Frauen herausstellen. Es gibt in der Tat
wenig Erzeugnisse des Kunstgewerbes, denen die Frau nicht prüfend, wählend
und kaufend gegenübertreten muß. Denn alle Angelegenheiten der künstlerischen
Gestaltung im Kunstgewerbe bewegen sich im Umkreis von Hans und Heim
und bestimmen das äußere Bild unsrer Lebenskultur. Die Männer rühmen
sich des traurigen Vorrechts, von den Dingen, die das Haus und Heim ein-
gehn, nichts zu verstehn, und überliefern diese wichtige Domäne des Lebens,
von der unzählige Industrien und Arbeitsexistenzen abhängen, dem Geschmack
der Frau, die durch ihre Entscheidung je nach dem Grad ihrer Geschmacks¬
bildung Segen oder Unheil stiftet. Daß es heute noch Menschen gibt, die
sich zu den „Gebildeten" rechnen und unumwunden erklären, von Kunst nichts
zu verstehn, ist ein Zeichen für die Verschiebung des Begriffs Bildung.
Da die Kunst durch das Gewerbe so tief ins Leben greift, tiefer als etwa
die Literatur lind die Musik, so hängt sie mit vielen ethischen, wirtschaftlichen
und praktischen Lebensbeziehungen zusammen, sodaß es geradezu als ein
schwerer Defekt bezeichnet werden muß, wenn sogenannte gebildete Leute sich
darauf etwas zugute halten, von der Kunst in ihren elementaren Voraus¬
setzungen nichts zu verstehn und sich deshalb der Aufklärung, dem Verständnis
und der Teilnahme an den schweren Problemen unsrer Zeit verschließen. Die
Folge davon ist, daß ein großer Teil des Publikums keinen Begriff von der
tiefgreifenden sozialen und ethischen Bedeutung der modernen Kunstbewegung
hat und deshalb nicht weiß, welche Forderungen es für seine Bedürfnisse an
die Dinge, die es erwirbt, stellen soll. Da sich nun der Mann in den Fragen.
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