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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Tilsit -- ein Zusammenbruch der britischen FestlandpolitiV

Rechte zu geben. Diese Gelegenheit sei aber damals verpaßt worden, und
jetzt sei die Negerfrage ein unlösbares Problem geworden.

Verderblich sei auch die veränderte Bedeutung, die die Verfassung der Ver¬
einigten Staaten im Laufe der Jahre erlitten habe. Das Repräsentantenhaus,
das unzweifelhaft nach dem Willen der Schöpfer der Verfassung das spezielle
Organ des Volkswillens sein sollte, habe infolge einer Kombination von Ein¬
flüssen, die niemand habe vorhersehen können, seine Macht ganz an den Senat
abgeben müssen, zugleich habe sich aber das Größenverhältnis der einzelnen
Bundesstaaten zueinander so verschoben, daß der Senat unmöglich als eine
Vertretung des Volkes gelten könne. Der Senat, von dem einst Lowell ge¬
sagt habe, er sei ein geheimer und unverantwortlicher Kind, der das Land nnr
zu dessen eignem Nutzen regiere, sei jetzt eine Versammlung geworden, die sich
um den Willen des Volkes überhaupt nicht kümmere.

Von allen Gefahren, durch die die amerikanische Republik bedroht werde,
sei die größte die Trennung der Nation in zwei organisierte Parteien, die mit
Intrigen, Verleumdungen und Bestechungen einen ununterbrochnem Kampf
um die Staatsgewalt und die Ämter führen. Die Ausgaben für die Wahlen
seien geradezu skandalös. Der Charakter der in ungeheurer Ausdehnung ge¬
währte" Staatspensionen sei ganz offenkundig, aber niemand wage ein Wort
dagegen zu sagen. Keine Partei wolle sich der Möglichkeit aussetzen, auch
nur eine Stimme zu verlieren. Viele Reformen seien nötig, um die Zukunft
der Republik zu sichern.




Tilsit - ein Zusammenbruch der britischen Festland¬
politik
Eberhard Uräus von

! er Titel dieser Studie wird ohne Zweifel bei manchem Leser Be¬
fremden hervorrufen. Er ist eine These, und es erscheint gewiß
angebracht, diese nicht bloß im Verlauf der Darstellung näher
zu begründen, sondern auch im voraus zu erläutern. Nicht bloß
> unerwartete Besucher, sondern auch Vertreter überraschender Be¬
hauptungen müssen bisweilen mit der Tür ins Haus fallen.

Auf dem europäischen Festlande, mit dem Beistand österreichischer und
preußischer Truppen, hatte England im Spanischen Erbfolgekrieg und im sieben¬
jährigen Kriege einen großen Teil seiner wertvollsten überseeischen Besitzungen
gewonnen. Wenn es einem Napoleon gegenüber als Landmacht anfangs voll¬
ständig versagte, so war das nicht bloß auf deu von dieseni furchtbaren Gegner
ausgehenden lähmenden Schrecken, sondern mich ans die überaus ungünstigen


Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen FestlandpolitiV

Rechte zu geben. Diese Gelegenheit sei aber damals verpaßt worden, und
jetzt sei die Negerfrage ein unlösbares Problem geworden.

Verderblich sei auch die veränderte Bedeutung, die die Verfassung der Ver¬
einigten Staaten im Laufe der Jahre erlitten habe. Das Repräsentantenhaus,
das unzweifelhaft nach dem Willen der Schöpfer der Verfassung das spezielle
Organ des Volkswillens sein sollte, habe infolge einer Kombination von Ein¬
flüssen, die niemand habe vorhersehen können, seine Macht ganz an den Senat
abgeben müssen, zugleich habe sich aber das Größenverhältnis der einzelnen
Bundesstaaten zueinander so verschoben, daß der Senat unmöglich als eine
Vertretung des Volkes gelten könne. Der Senat, von dem einst Lowell ge¬
sagt habe, er sei ein geheimer und unverantwortlicher Kind, der das Land nnr
zu dessen eignem Nutzen regiere, sei jetzt eine Versammlung geworden, die sich
um den Willen des Volkes überhaupt nicht kümmere.

Von allen Gefahren, durch die die amerikanische Republik bedroht werde,
sei die größte die Trennung der Nation in zwei organisierte Parteien, die mit
Intrigen, Verleumdungen und Bestechungen einen ununterbrochnem Kampf
um die Staatsgewalt und die Ämter führen. Die Ausgaben für die Wahlen
seien geradezu skandalös. Der Charakter der in ungeheurer Ausdehnung ge¬
währte» Staatspensionen sei ganz offenkundig, aber niemand wage ein Wort
dagegen zu sagen. Keine Partei wolle sich der Möglichkeit aussetzen, auch
nur eine Stimme zu verlieren. Viele Reformen seien nötig, um die Zukunft
der Republik zu sichern.




Tilsit - ein Zusammenbruch der britischen Festland¬
politik
Eberhard Uräus von

! er Titel dieser Studie wird ohne Zweifel bei manchem Leser Be¬
fremden hervorrufen. Er ist eine These, und es erscheint gewiß
angebracht, diese nicht bloß im Verlauf der Darstellung näher
zu begründen, sondern auch im voraus zu erläutern. Nicht bloß
> unerwartete Besucher, sondern auch Vertreter überraschender Be¬
hauptungen müssen bisweilen mit der Tür ins Haus fallen.

Auf dem europäischen Festlande, mit dem Beistand österreichischer und
preußischer Truppen, hatte England im Spanischen Erbfolgekrieg und im sieben¬
jährigen Kriege einen großen Teil seiner wertvollsten überseeischen Besitzungen
gewonnen. Wenn es einem Napoleon gegenüber als Landmacht anfangs voll¬
ständig versagte, so war das nicht bloß auf deu von dieseni furchtbaren Gegner
ausgehenden lähmenden Schrecken, sondern mich ans die überaus ungünstigen


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[0554] Tilsit — ein Zusammenbruch der britischen FestlandpolitiV Rechte zu geben. Diese Gelegenheit sei aber damals verpaßt worden, und jetzt sei die Negerfrage ein unlösbares Problem geworden. Verderblich sei auch die veränderte Bedeutung, die die Verfassung der Ver¬ einigten Staaten im Laufe der Jahre erlitten habe. Das Repräsentantenhaus, das unzweifelhaft nach dem Willen der Schöpfer der Verfassung das spezielle Organ des Volkswillens sein sollte, habe infolge einer Kombination von Ein¬ flüssen, die niemand habe vorhersehen können, seine Macht ganz an den Senat abgeben müssen, zugleich habe sich aber das Größenverhältnis der einzelnen Bundesstaaten zueinander so verschoben, daß der Senat unmöglich als eine Vertretung des Volkes gelten könne. Der Senat, von dem einst Lowell ge¬ sagt habe, er sei ein geheimer und unverantwortlicher Kind, der das Land nnr zu dessen eignem Nutzen regiere, sei jetzt eine Versammlung geworden, die sich um den Willen des Volkes überhaupt nicht kümmere. Von allen Gefahren, durch die die amerikanische Republik bedroht werde, sei die größte die Trennung der Nation in zwei organisierte Parteien, die mit Intrigen, Verleumdungen und Bestechungen einen ununterbrochnem Kampf um die Staatsgewalt und die Ämter führen. Die Ausgaben für die Wahlen seien geradezu skandalös. Der Charakter der in ungeheurer Ausdehnung ge¬ währte» Staatspensionen sei ganz offenkundig, aber niemand wage ein Wort dagegen zu sagen. Keine Partei wolle sich der Möglichkeit aussetzen, auch nur eine Stimme zu verlieren. Viele Reformen seien nötig, um die Zukunft der Republik zu sichern. Tilsit - ein Zusammenbruch der britischen Festland¬ politik Eberhard Uräus von ! er Titel dieser Studie wird ohne Zweifel bei manchem Leser Be¬ fremden hervorrufen. Er ist eine These, und es erscheint gewiß angebracht, diese nicht bloß im Verlauf der Darstellung näher zu begründen, sondern auch im voraus zu erläutern. Nicht bloß > unerwartete Besucher, sondern auch Vertreter überraschender Be¬ hauptungen müssen bisweilen mit der Tür ins Haus fallen. Auf dem europäischen Festlande, mit dem Beistand österreichischer und preußischer Truppen, hatte England im Spanischen Erbfolgekrieg und im sieben¬ jährigen Kriege einen großen Teil seiner wertvollsten überseeischen Besitzungen gewonnen. Wenn es einem Napoleon gegenüber als Landmacht anfangs voll¬ ständig versagte, so war das nicht bloß auf deu von dieseni furchtbaren Gegner ausgehenden lähmenden Schrecken, sondern mich ans die überaus ungünstigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/554>, abgerufen am 05.02.2025.