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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hritz Htavenhagen

n der Geschichte der deutschen Literatur tritt folgende Erscheinung
mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder mif. Ein Dichter
wirft eine Anzahl von Werken hohen Wertes, voll neuen Empfindens
in die Welt hinaus. Er findet wenig, vielleicht gar keinen Wider¬
hall. Er stirbt jung, Jahre. Jahrzehnte hindurch ruht Schutt
auf den Kunstwerken. Vergessenheit umfängt sie, und dann, mit einemmcil taucht
erst hier, dann dort der Name des Toten wieder auf. Er wird gewissermaßen
neu entdeckt, und dieselbe Gegenwart, die vielleicht gegen ein gleichzeitiges Talent
ebenso sündigt, hält der Vergangenheit alle ihre Sünden vor. Insbesondre wenn
eine neue Bewegung beginnt, pflegt sie vergessene Talente wieder aus Licht zu
ziehn, und sogar der jüngste Sturm und Drang, zu dessen hervorragendsten
Eigenschaften Pietät ja nicht gehörte, hat versucht, das Andenken Wilhelm Waib-
lingers etwa oder Daniel Leßmanns neu zu beleben.

Demgegenüber haben wir, und wir in Hamburg ganz besonders, in diesen
letzten Monaten eine Bewegung erlebt, die im Gegensatz zu allen frühern das
Ziel hatte, einen Poeten, der eben noch unter uns wandelte, dahin zu stellen,
wohin das Urteil der Besten ihn rief. Und man darf wohl sagen, daß vielleicht
der am stärksten tragische Zug in diesem Erlebnis, das uns ja allen genieinsam
war, der ist, daß diese Bewegung für Fritz Stavenhagen -- denn von ihm
spreche ich -- eigentlich nur eine Fortsetzung ist des anhebenden Siegeszuges,
den er selbst, ein noch Lebender hier mitten unter uns begann. Viele Jahre
hatte er in Druck und Dunkelheit hingebracht, ein Mensch, der eisern zäh gegen
die Sorgen und die Nöte des täglichen Lebens rang, ein Dichter, der vollbewußt
seiner großen Begabung für sein Ideal und kein andres stritt, ohne einen Fuß
"reit nachzugeben. Und da endlich zeigte sich ein erstes Ziel: ein äußeres, denn
der Dichter, der eben in Ernst Schultze einen hochherzigen Bnchverleger, in
Heinz Wolfradt einen tatkräftigen Vnhncnverleger gefunden hatte, war zum
Dramaturgen unsers frischnnfblühenden Volkstheaters berufen worden; und zu¬
gleich zeigte sich dem Poeten ein andres Ziel, gleich innig zu wünschen: Alter
kcnnnug und Lob weithin bei vielen, die es mit der aufsteigenden Entwicklung
unsers Dramas gut meinten. Und da geschah es so, wie Gustav Falke uns
allen aus dem Herzen es ausgesprochen hat: "Es sprach der Tod: Ich will
es nicht."


Grenzboten II 1907 3L


Hritz Htavenhagen

n der Geschichte der deutschen Literatur tritt folgende Erscheinung
mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder mif. Ein Dichter
wirft eine Anzahl von Werken hohen Wertes, voll neuen Empfindens
in die Welt hinaus. Er findet wenig, vielleicht gar keinen Wider¬
hall. Er stirbt jung, Jahre. Jahrzehnte hindurch ruht Schutt
auf den Kunstwerken. Vergessenheit umfängt sie, und dann, mit einemmcil taucht
erst hier, dann dort der Name des Toten wieder auf. Er wird gewissermaßen
neu entdeckt, und dieselbe Gegenwart, die vielleicht gegen ein gleichzeitiges Talent
ebenso sündigt, hält der Vergangenheit alle ihre Sünden vor. Insbesondre wenn
eine neue Bewegung beginnt, pflegt sie vergessene Talente wieder aus Licht zu
ziehn, und sogar der jüngste Sturm und Drang, zu dessen hervorragendsten
Eigenschaften Pietät ja nicht gehörte, hat versucht, das Andenken Wilhelm Waib-
lingers etwa oder Daniel Leßmanns neu zu beleben.

Demgegenüber haben wir, und wir in Hamburg ganz besonders, in diesen
letzten Monaten eine Bewegung erlebt, die im Gegensatz zu allen frühern das
Ziel hatte, einen Poeten, der eben noch unter uns wandelte, dahin zu stellen,
wohin das Urteil der Besten ihn rief. Und man darf wohl sagen, daß vielleicht
der am stärksten tragische Zug in diesem Erlebnis, das uns ja allen genieinsam
war, der ist, daß diese Bewegung für Fritz Stavenhagen — denn von ihm
spreche ich — eigentlich nur eine Fortsetzung ist des anhebenden Siegeszuges,
den er selbst, ein noch Lebender hier mitten unter uns begann. Viele Jahre
hatte er in Druck und Dunkelheit hingebracht, ein Mensch, der eisern zäh gegen
die Sorgen und die Nöte des täglichen Lebens rang, ein Dichter, der vollbewußt
seiner großen Begabung für sein Ideal und kein andres stritt, ohne einen Fuß
"reit nachzugeben. Und da endlich zeigte sich ein erstes Ziel: ein äußeres, denn
der Dichter, der eben in Ernst Schultze einen hochherzigen Bnchverleger, in
Heinz Wolfradt einen tatkräftigen Vnhncnverleger gefunden hatte, war zum
Dramaturgen unsers frischnnfblühenden Volkstheaters berufen worden; und zu¬
gleich zeigte sich dem Poeten ein andres Ziel, gleich innig zu wünschen: Alter
kcnnnug und Lob weithin bei vielen, die es mit der aufsteigenden Entwicklung
unsers Dramas gut meinten. Und da geschah es so, wie Gustav Falke uns
allen aus dem Herzen es ausgesprochen hat: „Es sprach der Tod: Ich will
es nicht."


Grenzboten II 1907 3L
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/249>, abgerufen am 05.02.2025.