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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das "neue Österreich"

die vorher Wildnis war; aber das verpulverte Geld fehlt in der Staatskasse
und drückt noch heute großenteils als schwebende Schuld auf die Finanzlage.
Diese Hauptstadtgründung war hauptsächlich daran Schuld, daß die Gläubiger
(meist Deutsche) der Westminasbcchn, ominösen Angedenkens, jahrelang vom
Staate die garantierten Zinsen nicht erhalten konnten. Jetzt können Kaffce-
valorisatiou und Konversionskasse für ganz Brasilien zu Ursachen ähnlicher
Geldvergeudung werden. Es kann noch ein Jahr oder länger dauern, ehe der
Krach eintritt. Aber die wahrnehmbare Flucht der Privatkapitalien aus dem
Lande läßt erkennen, daß vorsichtige Leute beizeiten ihr Vermögen in Sicherheit
zu bringen suchen.




Das "neue Österreichs
Julius Vatzclt vonin

M^Lin 30. Januar endete das Mandat des alten österreichischen Abge-
! ordnetenhcmses. Das Datum wird einen tiefen Einschnitt in der
M^^M Entwicklung des DonaustaaleS bezeichnen, denn an diesem Tage
U^"^ starb das Kurienparlmnent, um einem auf Grind des allgemeinen
MzW^Mund gleichen Wahlrechts gewählten Nbgeordnetenhanse Platz zu
machen. Wie wenig dieses neue Wahlrecht der Natur Österreichs entspricht, und
mit wie bedenklichen Mitteln es durchgesetzt worden ist, ist an dieser Stelle
schon seinerzeit erörtert worden, und die Richtung, in der sich die Wahlbewegung
entwickelt, bestätigt die Befürchtungen, die im besondern in deutschen nationalen
Kreisen an die Wahlreform von Anfang an geknüpft worden sind.

Die Regierung und jene Parteiführer, die sich ihr in der Wahlreformfrage
verschrieben hatten, werden allerdings nicht müde, zu erklären, daß sich aus der
Asche des Kurienparlaments das "neue Österreich" gleich einem Phönix erheben
werde, aber schon der geringe Wert des "Kandidatenmaterials", das die Wahl-
bewegung diesesmal an die Oberfläche schleudert, läßt befürchten, daß der Wahl¬
urne ein recht ruppiger Vogel entsteigen werde. Das ist auch ganz begreiflich.
Das Kleinbürgertum, durch den Ansturm der sozialdemokratischen Arbeitermassen
erschreckt, spinnt sich ängstlich in seine engsten Berufskreise ein und will sich
nur für Kandidaten aus dem Handwerkerstande erwärmen, indem es sich zugleich
darauf beruft, daß das neue Abgeordnetenhaus doch ein "Volksparlament" sein
solle, daß mithin der städtische Kleinbürgerstand die Pflicht habe, die neuen
Männer nur aus seinem Kreise zu wählen. Was die Arbeiterschaft betrifft, so
werden sich ihre Jntelligenzkandidaturen auf einige Advokaten beschränken, die
Bauern werden Bauern wählen, und die bürgerliche Intelligenz wird nur dort
zu Worte kommen, wo sie durch demagogische Elemente repräsentiert wird, die
es versteht!, den "Makel" ihrer Bildung dadurch zu verdecken, daß sie sich den


Das „neue Österreich"

die vorher Wildnis war; aber das verpulverte Geld fehlt in der Staatskasse
und drückt noch heute großenteils als schwebende Schuld auf die Finanzlage.
Diese Hauptstadtgründung war hauptsächlich daran Schuld, daß die Gläubiger
(meist Deutsche) der Westminasbcchn, ominösen Angedenkens, jahrelang vom
Staate die garantierten Zinsen nicht erhalten konnten. Jetzt können Kaffce-
valorisatiou und Konversionskasse für ganz Brasilien zu Ursachen ähnlicher
Geldvergeudung werden. Es kann noch ein Jahr oder länger dauern, ehe der
Krach eintritt. Aber die wahrnehmbare Flucht der Privatkapitalien aus dem
Lande läßt erkennen, daß vorsichtige Leute beizeiten ihr Vermögen in Sicherheit
zu bringen suchen.




Das „neue Österreichs
Julius Vatzclt vonin

M^Lin 30. Januar endete das Mandat des alten österreichischen Abge-
! ordnetenhcmses. Das Datum wird einen tiefen Einschnitt in der
M^^M Entwicklung des DonaustaaleS bezeichnen, denn an diesem Tage
U^«^ starb das Kurienparlmnent, um einem auf Grind des allgemeinen
MzW^Mund gleichen Wahlrechts gewählten Nbgeordnetenhanse Platz zu
machen. Wie wenig dieses neue Wahlrecht der Natur Österreichs entspricht, und
mit wie bedenklichen Mitteln es durchgesetzt worden ist, ist an dieser Stelle
schon seinerzeit erörtert worden, und die Richtung, in der sich die Wahlbewegung
entwickelt, bestätigt die Befürchtungen, die im besondern in deutschen nationalen
Kreisen an die Wahlreform von Anfang an geknüpft worden sind.

Die Regierung und jene Parteiführer, die sich ihr in der Wahlreformfrage
verschrieben hatten, werden allerdings nicht müde, zu erklären, daß sich aus der
Asche des Kurienparlaments das „neue Österreich" gleich einem Phönix erheben
werde, aber schon der geringe Wert des „Kandidatenmaterials", das die Wahl-
bewegung diesesmal an die Oberfläche schleudert, läßt befürchten, daß der Wahl¬
urne ein recht ruppiger Vogel entsteigen werde. Das ist auch ganz begreiflich.
Das Kleinbürgertum, durch den Ansturm der sozialdemokratischen Arbeitermassen
erschreckt, spinnt sich ängstlich in seine engsten Berufskreise ein und will sich
nur für Kandidaten aus dem Handwerkerstande erwärmen, indem es sich zugleich
darauf beruft, daß das neue Abgeordnetenhaus doch ein „Volksparlament" sein
solle, daß mithin der städtische Kleinbürgerstand die Pflicht habe, die neuen
Männer nur aus seinem Kreise zu wählen. Was die Arbeiterschaft betrifft, so
werden sich ihre Jntelligenzkandidaturen auf einige Advokaten beschränken, die
Bauern werden Bauern wählen, und die bürgerliche Intelligenz wird nur dort
zu Worte kommen, wo sie durch demagogische Elemente repräsentiert wird, die
es versteht!, den „Makel" ihrer Bildung dadurch zu verdecken, daß sie sich den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/511>, abgerufen am 24.07.2024.