Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches (Die deutsche publizistische Invasion in England. Der Ober¬ Reichsspiegel. hausgedanke für Deutschland. Der Staatssekretär des Reichsmariueamts und der weitere Ausbau der Flotte.) Wenn die Leser der Grenzboten diesesmal in den Reichsspiegel schauen, wird Der Erfolg dieser guten Absicht wird um so größer sein, je weniger hoch wir Maßgebliches und Unmaßgebliches Maßgebliches und Unmaßgebliches (Die deutsche publizistische Invasion in England. Der Ober¬ Reichsspiegel. hausgedanke für Deutschland. Der Staatssekretär des Reichsmariueamts und der weitere Ausbau der Flotte.) Wenn die Leser der Grenzboten diesesmal in den Reichsspiegel schauen, wird Der Erfolg dieser guten Absicht wird um so größer sein, je weniger hoch wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0675" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299716"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <note type="argument"> (Die deutsche publizistische Invasion in England. Der Ober¬</note><lb/> <div n="2"> <head> Reichsspiegel.</head><lb/> <note type="argument"> hausgedanke für Deutschland. Der Staatssekretär des Reichsmariueamts und der<lb/> weitere Ausbau der Flotte.)</note><lb/> <p xml:id="ID_3008"> Wenn die Leser der Grenzboten diesesmal in den Reichsspiegel schauen, wird<lb/> die deutsche Invasion in England zur Tatsache geworden sein. Allerdings nicht<lb/> jene unglaubliche, die William Le Queux auf den 4. September 1910 angesetzt hat,<lb/> wobei Admiral H. W. Wilson die Liebenswürdigkeit hatte, die Vernichtung der<lb/> englischen Flotte durch die deutsche mit Aufwand von vieler Anerkennung für diese<lb/> zu schildern, sondern ein harmloser und durchaus unkriegerisch gesinnter Schwarm<lb/> deutscher Publizisten ist in Southampton ans Land gestiegen, mit Extrazug und<lb/> ohne Zollrevision nach London befördert worden, um dort vierzehn Tage lang eine<lb/> Reihe von Festlichkeiten, Ausflügen, Empfängen, ja sogar die Ehre eines königlichen<lb/> Frühstücks über sich ergehn zu lassen. Den deutschen Gästen, soweit sie England<lb/> noch nicht kennen, wird drüben vieles imponieren. Sie werden sich in London in<lb/> ein wirkliches Weltzentrum hineinversetzt fühlen, wo täglich und stündlich der Puls¬<lb/> schlag aller fünf Weltteile vernehmbar ist; ehrwürdige Zeugen einer großen, viel¬<lb/> hundertjährigen, überreich mit Blut geschriebn», Geschichte werden sie umfangen,<lb/> Bilder der Weltherrschaft werden sich ihnen bieten, wie sie Deutschland und seine<lb/> verhältnismäßig junge Reichshauptstadt nicht aufzuweisen haben. Dazu kommt, daß<lb/> die Engländer mit einer gewissen Überlegenheit uns als alte, einheitlich geschlossene<lb/> Nation gegenübertreten, während den meisten Deutschen das partikularistische, einzel¬<lb/> staatliche Hemd immer noch näher bleibt als der Reichsrock. Die Engländer stellen<lb/> wirklich ein Volk dar, wir Deutschen wollen es erst werden oder vielmehr: wir<lb/> werden es im gleichen Sinne niemals werden, weil in unsrer Vielheit zwar manche<lb/> Schwäche, schließlich aber doch unsre Stärke beruht. Diese geschichtlich begründete<lb/> Vielheit, die andre Völker nicht recht versteh« können, trägt wesentlich dazu bei,<lb/> daß sie uns als einen Staat von gestern betrachten, dessen Auftauchen auf den<lb/> Meeren, an fernen Küsten, dessen maritime Entwicklung lange Zeit gar nicht ernst<lb/> genommen, sondern als eine Spielerei angesehen wurde, die auf persönlichen Nei¬<lb/> gungen, nicht auf einer nationalen Notwendigkeit, einem vitalen Bedürfnis beruhe.<lb/> Als dann aber die Betätigung dieses Bedürfnisses mit wachsender Kraft einsetzte,<lb/> verfiel man in das Gegenteil, es in seinen Absichten und Zielen wie in den Mitteln<lb/> zu deren Erreichung zu übertreiben und mißgünstig zu beargwöhnen. Auf diesem<lb/> Boden sind dann die meisten der Differenzen erwachsen, zu deren Beseitigung die an<lb/> eine Anzahl deutscher Publizisten ergangne Einladung mitwirken soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_3009" next="#ID_3010"> Der Erfolg dieser guten Absicht wird um so größer sein, je weniger hoch wir<lb/> die darauf gesetzten Erwartungen spannen. Die Presse beider Länder wird nach<lb/> wie vor deren Interessen zu vertreten haben, und in der Wahrnehmung dieser<lb/> Interessen werden Polemiken unvermeidlich sein. Es braucht nur an die Art er¬<lb/> innert zu werden, mit der neuerdings eine Anzahl englischer Blätter die Frage<lb/> der Bagdadbahn ohne jeden Anlaß wieder aufgegriffen hat. Gerade in den deutsch¬<lb/> englischen Beziehungen hat die Publizistik wie selten vergiftend gewirkt, indem die<lb/> Presse nicht selten Schlachten lieferte in Fragen, die von der Diplomatie noch nicht<lb/> einmal aufgeworfen waren. Wo immer außerhalb Europas ein deutsches Unter¬<lb/> nehmen auftauchte, flugs war die englische Presse, zumal die asiatische, bei der<lb/> Hand, die deutschen Absichten mit mißgünstigem Argwohn zu entstellen und der<lb/> öffentlichen Meinung Englands zu denunzieren. Wenn die publizistische Invasion<lb/> Großbritanniens auch nur in dieser Methode Wandel schafft, wird sie viel erreicht<lb/> haben. In Deutschland berührt das allemal um so unangenehmer, als uns die<lb/> Mittel zur Abwehr nicht in dem Maße zu Gebote stehn wie drüben die Mittel des<lb/> Angriffs. Insbesondre den Unliebenswürdigkeiten englischer Blätter in andern Welt-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0675]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Maßgebliches und Unmaßgebliches
(Die deutsche publizistische Invasion in England. Der Ober¬
Reichsspiegel.
hausgedanke für Deutschland. Der Staatssekretär des Reichsmariueamts und der
weitere Ausbau der Flotte.)
Wenn die Leser der Grenzboten diesesmal in den Reichsspiegel schauen, wird
die deutsche Invasion in England zur Tatsache geworden sein. Allerdings nicht
jene unglaubliche, die William Le Queux auf den 4. September 1910 angesetzt hat,
wobei Admiral H. W. Wilson die Liebenswürdigkeit hatte, die Vernichtung der
englischen Flotte durch die deutsche mit Aufwand von vieler Anerkennung für diese
zu schildern, sondern ein harmloser und durchaus unkriegerisch gesinnter Schwarm
deutscher Publizisten ist in Southampton ans Land gestiegen, mit Extrazug und
ohne Zollrevision nach London befördert worden, um dort vierzehn Tage lang eine
Reihe von Festlichkeiten, Ausflügen, Empfängen, ja sogar die Ehre eines königlichen
Frühstücks über sich ergehn zu lassen. Den deutschen Gästen, soweit sie England
noch nicht kennen, wird drüben vieles imponieren. Sie werden sich in London in
ein wirkliches Weltzentrum hineinversetzt fühlen, wo täglich und stündlich der Puls¬
schlag aller fünf Weltteile vernehmbar ist; ehrwürdige Zeugen einer großen, viel¬
hundertjährigen, überreich mit Blut geschriebn», Geschichte werden sie umfangen,
Bilder der Weltherrschaft werden sich ihnen bieten, wie sie Deutschland und seine
verhältnismäßig junge Reichshauptstadt nicht aufzuweisen haben. Dazu kommt, daß
die Engländer mit einer gewissen Überlegenheit uns als alte, einheitlich geschlossene
Nation gegenübertreten, während den meisten Deutschen das partikularistische, einzel¬
staatliche Hemd immer noch näher bleibt als der Reichsrock. Die Engländer stellen
wirklich ein Volk dar, wir Deutschen wollen es erst werden oder vielmehr: wir
werden es im gleichen Sinne niemals werden, weil in unsrer Vielheit zwar manche
Schwäche, schließlich aber doch unsre Stärke beruht. Diese geschichtlich begründete
Vielheit, die andre Völker nicht recht versteh« können, trägt wesentlich dazu bei,
daß sie uns als einen Staat von gestern betrachten, dessen Auftauchen auf den
Meeren, an fernen Küsten, dessen maritime Entwicklung lange Zeit gar nicht ernst
genommen, sondern als eine Spielerei angesehen wurde, die auf persönlichen Nei¬
gungen, nicht auf einer nationalen Notwendigkeit, einem vitalen Bedürfnis beruhe.
Als dann aber die Betätigung dieses Bedürfnisses mit wachsender Kraft einsetzte,
verfiel man in das Gegenteil, es in seinen Absichten und Zielen wie in den Mitteln
zu deren Erreichung zu übertreiben und mißgünstig zu beargwöhnen. Auf diesem
Boden sind dann die meisten der Differenzen erwachsen, zu deren Beseitigung die an
eine Anzahl deutscher Publizisten ergangne Einladung mitwirken soll.
Der Erfolg dieser guten Absicht wird um so größer sein, je weniger hoch wir
die darauf gesetzten Erwartungen spannen. Die Presse beider Länder wird nach
wie vor deren Interessen zu vertreten haben, und in der Wahrnehmung dieser
Interessen werden Polemiken unvermeidlich sein. Es braucht nur an die Art er¬
innert zu werden, mit der neuerdings eine Anzahl englischer Blätter die Frage
der Bagdadbahn ohne jeden Anlaß wieder aufgegriffen hat. Gerade in den deutsch¬
englischen Beziehungen hat die Publizistik wie selten vergiftend gewirkt, indem die
Presse nicht selten Schlachten lieferte in Fragen, die von der Diplomatie noch nicht
einmal aufgeworfen waren. Wo immer außerhalb Europas ein deutsches Unter¬
nehmen auftauchte, flugs war die englische Presse, zumal die asiatische, bei der
Hand, die deutschen Absichten mit mißgünstigem Argwohn zu entstellen und der
öffentlichen Meinung Englands zu denunzieren. Wenn die publizistische Invasion
Großbritanniens auch nur in dieser Methode Wandel schafft, wird sie viel erreicht
haben. In Deutschland berührt das allemal um so unangenehmer, als uns die
Mittel zur Abwehr nicht in dem Maße zu Gebote stehn wie drüben die Mittel des
Angriffs. Insbesondre den Unliebenswürdigkeiten englischer Blätter in andern Welt-
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