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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Reichsanleihen und preußische Konsols
Adolph von Flöckher von

eit Jahresfrist etwa ist durch die wiederholten Debatten in den
Parlamenten die Aufmerksamkeit weiterer Kreise nachdrücklich auf
die ungünstigen und schwankenden Kurse unsrer Reichs- und
Staatsanleihen gelenkt worden, die in einem scheinbar so schroffen
Gegensatze zu dem von der ganzen Welt mit Staunen betrachteten
wirtschaftlichen Aufschwung unsers Vaterlandes stehn. Wenn auch ich als Nicht-
fachmann zu Neformvorschlägen meine Stimme zu erheben wage, so geschieht
es deshalb, weil ich in meiner diplomatischen Laufbahn in Ländern der ver¬
schiedensten Währung als Kaiserlicher Geschäftsträger selbständig über die inter¬
nationalen Kredit- und Geldverhültnisse zu berichten Gelegenheit hatte, nachdem
ich im Jahre 1896 technisch auf der Norddeutschen Bank in Hamburg geschult
worden war.

Es ist klar, daß hauptsächlich die Kapitalbildung sowie die Nachfrage nach
Kapital und mithin der Leihwert des Geldes in einem Lande für die Kurse
der von seiner Negierung ausgegebnen Papiere in Betracht kommen, daß da¬
gegen alle andern Mittel -- so wenig man sie auch unterschätzen oder gar
vernachlässigen darf -- nur von nebensächlicher Wirkung sein können.

An und für sich werden also die britische und die französische Rente so
lange im Verhältnis zu den unsrigen höhere Kurse ausweisen, als der
Nationalreichtum dieser Länder im Vergleich zum Kapitalbedarf größer als bei
uns bleibt.

An diesen Tatsachen, die sich allerdings von Jahr zu Jahr zu unserm
Vorteil etwas gemildert haben, können wir mit künstlichen Maßnahmen nichts
wesentliches ändern. Alle Bemühungen können vielmehr nur darauf gerichtet
sein, die sekundären Umstände, die die Kurse unsrer Staatsanleihen beeinflussen,
so günstig zu gestalten, wie das nur irgend in unsern Kräften steht, und uns
diese Politik der "kleinen Mittel" nicht verdrießen zu lassen. Ist doch jede
Politik im Grunde ein Rechnen mit gegebnen Größen, und hat doch gerade
darin unsre Unterlassungssünde bestanden, daß wir bisher nicht einmal die Mittel,
die wir in der Hand haben, für uns erschöpfend auszunützen verstanden.


Grenzboten 1906 8


Deutsche Reichsanleihen und preußische Konsols
Adolph von Flöckher von

eit Jahresfrist etwa ist durch die wiederholten Debatten in den
Parlamenten die Aufmerksamkeit weiterer Kreise nachdrücklich auf
die ungünstigen und schwankenden Kurse unsrer Reichs- und
Staatsanleihen gelenkt worden, die in einem scheinbar so schroffen
Gegensatze zu dem von der ganzen Welt mit Staunen betrachteten
wirtschaftlichen Aufschwung unsers Vaterlandes stehn. Wenn auch ich als Nicht-
fachmann zu Neformvorschlägen meine Stimme zu erheben wage, so geschieht
es deshalb, weil ich in meiner diplomatischen Laufbahn in Ländern der ver¬
schiedensten Währung als Kaiserlicher Geschäftsträger selbständig über die inter¬
nationalen Kredit- und Geldverhültnisse zu berichten Gelegenheit hatte, nachdem
ich im Jahre 1896 technisch auf der Norddeutschen Bank in Hamburg geschult
worden war.

Es ist klar, daß hauptsächlich die Kapitalbildung sowie die Nachfrage nach
Kapital und mithin der Leihwert des Geldes in einem Lande für die Kurse
der von seiner Negierung ausgegebnen Papiere in Betracht kommen, daß da¬
gegen alle andern Mittel — so wenig man sie auch unterschätzen oder gar
vernachlässigen darf — nur von nebensächlicher Wirkung sein können.

An und für sich werden also die britische und die französische Rente so
lange im Verhältnis zu den unsrigen höhere Kurse ausweisen, als der
Nationalreichtum dieser Länder im Vergleich zum Kapitalbedarf größer als bei
uns bleibt.

An diesen Tatsachen, die sich allerdings von Jahr zu Jahr zu unserm
Vorteil etwas gemildert haben, können wir mit künstlichen Maßnahmen nichts
wesentliches ändern. Alle Bemühungen können vielmehr nur darauf gerichtet
sein, die sekundären Umstände, die die Kurse unsrer Staatsanleihen beeinflussen,
so günstig zu gestalten, wie das nur irgend in unsern Kräften steht, und uns
diese Politik der „kleinen Mittel" nicht verdrießen zu lassen. Ist doch jede
Politik im Grunde ein Rechnen mit gegebnen Größen, und hat doch gerade
darin unsre Unterlassungssünde bestanden, daß wir bisher nicht einmal die Mittel,
die wir in der Hand haben, für uns erschöpfend auszunützen verstanden.


Grenzboten 1906 8
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[0067] [Abbildung] Deutsche Reichsanleihen und preußische Konsols Adolph von Flöckher von eit Jahresfrist etwa ist durch die wiederholten Debatten in den Parlamenten die Aufmerksamkeit weiterer Kreise nachdrücklich auf die ungünstigen und schwankenden Kurse unsrer Reichs- und Staatsanleihen gelenkt worden, die in einem scheinbar so schroffen Gegensatze zu dem von der ganzen Welt mit Staunen betrachteten wirtschaftlichen Aufschwung unsers Vaterlandes stehn. Wenn auch ich als Nicht- fachmann zu Neformvorschlägen meine Stimme zu erheben wage, so geschieht es deshalb, weil ich in meiner diplomatischen Laufbahn in Ländern der ver¬ schiedensten Währung als Kaiserlicher Geschäftsträger selbständig über die inter¬ nationalen Kredit- und Geldverhültnisse zu berichten Gelegenheit hatte, nachdem ich im Jahre 1896 technisch auf der Norddeutschen Bank in Hamburg geschult worden war. Es ist klar, daß hauptsächlich die Kapitalbildung sowie die Nachfrage nach Kapital und mithin der Leihwert des Geldes in einem Lande für die Kurse der von seiner Negierung ausgegebnen Papiere in Betracht kommen, daß da¬ gegen alle andern Mittel — so wenig man sie auch unterschätzen oder gar vernachlässigen darf — nur von nebensächlicher Wirkung sein können. An und für sich werden also die britische und die französische Rente so lange im Verhältnis zu den unsrigen höhere Kurse ausweisen, als der Nationalreichtum dieser Länder im Vergleich zum Kapitalbedarf größer als bei uns bleibt. An diesen Tatsachen, die sich allerdings von Jahr zu Jahr zu unserm Vorteil etwas gemildert haben, können wir mit künstlichen Maßnahmen nichts wesentliches ändern. Alle Bemühungen können vielmehr nur darauf gerichtet sein, die sekundären Umstände, die die Kurse unsrer Staatsanleihen beeinflussen, so günstig zu gestalten, wie das nur irgend in unsern Kräften steht, und uns diese Politik der „kleinen Mittel" nicht verdrießen zu lassen. Ist doch jede Politik im Grunde ein Rechnen mit gegebnen Größen, und hat doch gerade darin unsre Unterlassungssünde bestanden, daß wir bisher nicht einmal die Mittel, die wir in der Hand haben, für uns erschöpfend auszunützen verstanden. Grenzboten 1906 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/67>, abgerufen am 26.12.2024.