Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen an Johannes Grunow

Auf und Ab seiner Tätigkeit hat er selbst einigemal Rechenschaft gegeben, am
nachdrücklichsten im ersten Heft des vierten Quartals von 1891 ("Fünfzig Jahre!").
Da werden Personen (Gustav Freytag, Julian Schmidt usw.) und Dinge be¬
rührt, namentlich Zustände der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf¬
geklärt, die jetzt nur noch wenigen bekannt sind, und die in der legendarischen
Beleuchtung von heute wesentlich anders erscheinen, und man kaun auch zwischen
den Zeilen lesen, was Grunow aus seiner Zeitschrift gemacht hat. Vielleicht
nimmt der eine oder der andre, der über die spätern Grenzboten Urteile hörte
und weitergab, ohne die frühern zu kennen, einmal das höchst interessante Heft
in die Hand. Ich wollte nur von Grunow reden und nicht von den Grenz¬
boten, deren Weg fest vorgezeichnet ist, aber dieser Hinweis schien mir not¬
wendig, nachdem sich das Grab über ihm geschlossen hat. Ich wollte um den
Freund klagen, den mir unersetzlichen, der nun vor mir hingegangen ist.
Adolf Philipp!



Erinnerungen an Johannes Grunow

IM März 1889 schickte ich eine kurze pädagogische Betrachtung an
die Redaktion der Grenzboten. Nach ein paar Tagen kam die
Korrektur und eine Karte von Grunow: Ich sei der geborne
Grenzbotenmitarbeiter und möge nur mehr schicken. Was er mir
! von da an gewesen ist, habe ich im zweiten Teile meiner Lebens¬
erinnerungen (S. 171) kurz angedeutet; jetzt wo er uns verlassen hat, verpflichtet
mich die Dankbarkeit und drängt mich das Herz, es etwas ausführlicher zu sagen.

Die erste Karte habe ich oft und lange angeschaut, nicht bloß, weil sie mir
eine hoffnungschwere frohe Botschaft brachte, sondern auch, weil mich die Schrift-
zttge erfreuten: langgezogne feine Haarstriche, kräftige, kurze steile Grundstriche,
ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester, zuverlässiger Mann,
und dabei ein Mann, der das Schöne liebt. Der lebhafte Verkehr, der sich
zwischen uns entspann, hat diesen ersten Eindruck vollauf bestätigt. Häufige
Persönliche Berührung war leider ausgeschlossen, weniger durch die Entfernung,
denn ich hätte, oft und freundlich eingeladen, jedes Jahr wochenlang in seinem
gastlichen Hause weilen können, als durch meine Schwerhörigkeit. Diese hinderte,
daß es zu einer fließenden Unterhaltung kam, und da ein schwerhöriger über¬
haupt nur mit einer unmittelbar neben ihm sitzenden Person sprechen, nie in das
Gespräch einer Tafelrunde eingreifen kann, so konnte auch die Teilnahme an
den Mittwochssitzuugen der Leipziger Grenzbotenmänner im Thüringer Hof, so
interessant sie für mich war, weder mir noch den andern eine Frucht bringen.
Darum habe ich nur sechs kurze Besuche, den letzten 1902, gemacht, Grunow
von Angesicht zu Angesicht als den kennen gelernt, den mir schon seine Briefe
gemalt hatten, und mich seiner vortrefflichen Gattin, seiner liebenswürdigen Kinder,
seines gemütlichen Heims erfreut, auch seine Schwiegereltern kennen gelernt und
die Bekanntschaft mit ihnen, namentlich mit der gemütvollen, dichterisch schaffenden
Frau Kraus bis zu ihrem Tode brieflich gepflegt.


Erinnerungen an Johannes Grunow

Auf und Ab seiner Tätigkeit hat er selbst einigemal Rechenschaft gegeben, am
nachdrücklichsten im ersten Heft des vierten Quartals von 1891 („Fünfzig Jahre!").
Da werden Personen (Gustav Freytag, Julian Schmidt usw.) und Dinge be¬
rührt, namentlich Zustände der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf¬
geklärt, die jetzt nur noch wenigen bekannt sind, und die in der legendarischen
Beleuchtung von heute wesentlich anders erscheinen, und man kaun auch zwischen
den Zeilen lesen, was Grunow aus seiner Zeitschrift gemacht hat. Vielleicht
nimmt der eine oder der andre, der über die spätern Grenzboten Urteile hörte
und weitergab, ohne die frühern zu kennen, einmal das höchst interessante Heft
in die Hand. Ich wollte nur von Grunow reden und nicht von den Grenz¬
boten, deren Weg fest vorgezeichnet ist, aber dieser Hinweis schien mir not¬
wendig, nachdem sich das Grab über ihm geschlossen hat. Ich wollte um den
Freund klagen, den mir unersetzlichen, der nun vor mir hingegangen ist.
Adolf Philipp!



Erinnerungen an Johannes Grunow

IM März 1889 schickte ich eine kurze pädagogische Betrachtung an
die Redaktion der Grenzboten. Nach ein paar Tagen kam die
Korrektur und eine Karte von Grunow: Ich sei der geborne
Grenzbotenmitarbeiter und möge nur mehr schicken. Was er mir
! von da an gewesen ist, habe ich im zweiten Teile meiner Lebens¬
erinnerungen (S. 171) kurz angedeutet; jetzt wo er uns verlassen hat, verpflichtet
mich die Dankbarkeit und drängt mich das Herz, es etwas ausführlicher zu sagen.

Die erste Karte habe ich oft und lange angeschaut, nicht bloß, weil sie mir
eine hoffnungschwere frohe Botschaft brachte, sondern auch, weil mich die Schrift-
zttge erfreuten: langgezogne feine Haarstriche, kräftige, kurze steile Grundstriche,
ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester, zuverlässiger Mann,
und dabei ein Mann, der das Schöne liebt. Der lebhafte Verkehr, der sich
zwischen uns entspann, hat diesen ersten Eindruck vollauf bestätigt. Häufige
Persönliche Berührung war leider ausgeschlossen, weniger durch die Entfernung,
denn ich hätte, oft und freundlich eingeladen, jedes Jahr wochenlang in seinem
gastlichen Hause weilen können, als durch meine Schwerhörigkeit. Diese hinderte,
daß es zu einer fließenden Unterhaltung kam, und da ein schwerhöriger über¬
haupt nur mit einer unmittelbar neben ihm sitzenden Person sprechen, nie in das
Gespräch einer Tafelrunde eingreifen kann, so konnte auch die Teilnahme an
den Mittwochssitzuugen der Leipziger Grenzbotenmänner im Thüringer Hof, so
interessant sie für mich war, weder mir noch den andern eine Frucht bringen.
Darum habe ich nur sechs kurze Besuche, den letzten 1902, gemacht, Grunow
von Angesicht zu Angesicht als den kennen gelernt, den mir schon seine Briefe
gemalt hatten, und mich seiner vortrefflichen Gattin, seiner liebenswürdigen Kinder,
seines gemütlichen Heims erfreut, auch seine Schwiegereltern kennen gelernt und
die Bekanntschaft mit ihnen, namentlich mit der gemütvollen, dichterisch schaffenden
Frau Kraus bis zu ihrem Tode brieflich gepflegt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299284"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an Johannes Grunow</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1091" prev="#ID_1090"> Auf und Ab seiner Tätigkeit hat er selbst einigemal Rechenschaft gegeben, am<lb/>
nachdrücklichsten im ersten Heft des vierten Quartals von 1891 (&#x201E;Fünfzig Jahre!").<lb/>
Da werden Personen (Gustav Freytag, Julian Schmidt usw.) und Dinge be¬<lb/>
rührt, namentlich Zustände der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf¬<lb/>
geklärt, die jetzt nur noch wenigen bekannt sind, und die in der legendarischen<lb/>
Beleuchtung von heute wesentlich anders erscheinen, und man kaun auch zwischen<lb/>
den Zeilen lesen, was Grunow aus seiner Zeitschrift gemacht hat. Vielleicht<lb/>
nimmt der eine oder der andre, der über die spätern Grenzboten Urteile hörte<lb/>
und weitergab, ohne die frühern zu kennen, einmal das höchst interessante Heft<lb/>
in die Hand. Ich wollte nur von Grunow reden und nicht von den Grenz¬<lb/>
boten, deren Weg fest vorgezeichnet ist, aber dieser Hinweis schien mir not¬<lb/>
wendig, nachdem sich das Grab über ihm geschlossen hat. Ich wollte um den<lb/>
Freund klagen, den mir unersetzlichen, der nun vor mir hingegangen ist.<lb/><note type="byline"> Adolf Philipp!</note><lb/></p>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Erinnerungen an Johannes Grunow</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1092"> IM März 1889 schickte ich eine kurze pädagogische Betrachtung an<lb/>
die Redaktion der Grenzboten. Nach ein paar Tagen kam die<lb/>
Korrektur und eine Karte von Grunow: Ich sei der geborne<lb/>
Grenzbotenmitarbeiter und möge nur mehr schicken. Was er mir<lb/>
! von da an gewesen ist, habe ich im zweiten Teile meiner Lebens¬<lb/>
erinnerungen (S. 171) kurz angedeutet; jetzt wo er uns verlassen hat, verpflichtet<lb/>
mich die Dankbarkeit und drängt mich das Herz, es etwas ausführlicher zu sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1093"> Die erste Karte habe ich oft und lange angeschaut, nicht bloß, weil sie mir<lb/>
eine hoffnungschwere frohe Botschaft brachte, sondern auch, weil mich die Schrift-<lb/>
zttge erfreuten: langgezogne feine Haarstriche, kräftige, kurze steile Grundstriche,<lb/>
ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester, zuverlässiger Mann,<lb/>
und dabei ein Mann, der das Schöne liebt. Der lebhafte Verkehr, der sich<lb/>
zwischen uns entspann, hat diesen ersten Eindruck vollauf bestätigt. Häufige<lb/>
Persönliche Berührung war leider ausgeschlossen, weniger durch die Entfernung,<lb/>
denn ich hätte, oft und freundlich eingeladen, jedes Jahr wochenlang in seinem<lb/>
gastlichen Hause weilen können, als durch meine Schwerhörigkeit. Diese hinderte,<lb/>
daß es zu einer fließenden Unterhaltung kam, und da ein schwerhöriger über¬<lb/>
haupt nur mit einer unmittelbar neben ihm sitzenden Person sprechen, nie in das<lb/>
Gespräch einer Tafelrunde eingreifen kann, so konnte auch die Teilnahme an<lb/>
den Mittwochssitzuugen der Leipziger Grenzbotenmänner im Thüringer Hof, so<lb/>
interessant sie für mich war, weder mir noch den andern eine Frucht bringen.<lb/>
Darum habe ich nur sechs kurze Besuche, den letzten 1902, gemacht, Grunow<lb/>
von Angesicht zu Angesicht als den kennen gelernt, den mir schon seine Briefe<lb/>
gemalt hatten, und mich seiner vortrefflichen Gattin, seiner liebenswürdigen Kinder,<lb/>
seines gemütlichen Heims erfreut, auch seine Schwiegereltern kennen gelernt und<lb/>
die Bekanntschaft mit ihnen, namentlich mit der gemütvollen, dichterisch schaffenden<lb/>
Frau Kraus bis zu ihrem Tode brieflich gepflegt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Erinnerungen an Johannes Grunow Auf und Ab seiner Tätigkeit hat er selbst einigemal Rechenschaft gegeben, am nachdrücklichsten im ersten Heft des vierten Quartals von 1891 („Fünfzig Jahre!"). Da werden Personen (Gustav Freytag, Julian Schmidt usw.) und Dinge be¬ rührt, namentlich Zustände der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf¬ geklärt, die jetzt nur noch wenigen bekannt sind, und die in der legendarischen Beleuchtung von heute wesentlich anders erscheinen, und man kaun auch zwischen den Zeilen lesen, was Grunow aus seiner Zeitschrift gemacht hat. Vielleicht nimmt der eine oder der andre, der über die spätern Grenzboten Urteile hörte und weitergab, ohne die frühern zu kennen, einmal das höchst interessante Heft in die Hand. Ich wollte nur von Grunow reden und nicht von den Grenz¬ boten, deren Weg fest vorgezeichnet ist, aber dieser Hinweis schien mir not¬ wendig, nachdem sich das Grab über ihm geschlossen hat. Ich wollte um den Freund klagen, den mir unersetzlichen, der nun vor mir hingegangen ist. Adolf Philipp! Erinnerungen an Johannes Grunow IM März 1889 schickte ich eine kurze pädagogische Betrachtung an die Redaktion der Grenzboten. Nach ein paar Tagen kam die Korrektur und eine Karte von Grunow: Ich sei der geborne Grenzbotenmitarbeiter und möge nur mehr schicken. Was er mir ! von da an gewesen ist, habe ich im zweiten Teile meiner Lebens¬ erinnerungen (S. 171) kurz angedeutet; jetzt wo er uns verlassen hat, verpflichtet mich die Dankbarkeit und drängt mich das Herz, es etwas ausführlicher zu sagen. Die erste Karte habe ich oft und lange angeschaut, nicht bloß, weil sie mir eine hoffnungschwere frohe Botschaft brachte, sondern auch, weil mich die Schrift- zttge erfreuten: langgezogne feine Haarstriche, kräftige, kurze steile Grundstriche, ein edler Schwung sagten mir: das ist ein klarer, fester, zuverlässiger Mann, und dabei ein Mann, der das Schöne liebt. Der lebhafte Verkehr, der sich zwischen uns entspann, hat diesen ersten Eindruck vollauf bestätigt. Häufige Persönliche Berührung war leider ausgeschlossen, weniger durch die Entfernung, denn ich hätte, oft und freundlich eingeladen, jedes Jahr wochenlang in seinem gastlichen Hause weilen können, als durch meine Schwerhörigkeit. Diese hinderte, daß es zu einer fließenden Unterhaltung kam, und da ein schwerhöriger über¬ haupt nur mit einer unmittelbar neben ihm sitzenden Person sprechen, nie in das Gespräch einer Tafelrunde eingreifen kann, so konnte auch die Teilnahme an den Mittwochssitzuugen der Leipziger Grenzbotenmänner im Thüringer Hof, so interessant sie für mich war, weder mir noch den andern eine Frucht bringen. Darum habe ich nur sechs kurze Besuche, den letzten 1902, gemacht, Grunow von Angesicht zu Angesicht als den kennen gelernt, den mir schon seine Briefe gemalt hatten, und mich seiner vortrefflichen Gattin, seiner liebenswürdigen Kinder, seines gemütlichen Heims erfreut, auch seine Schwiegereltern kennen gelernt und die Bekanntschaft mit ihnen, namentlich mit der gemütvollen, dichterisch schaffenden Frau Kraus bis zu ihrem Tode brieflich gepflegt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/243>, abgerufen am 26.12.2024.