Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Wo ist die Gefahr? n dem äußern Gebaren der deutsche," Sozialdemokratie hat sich Und so ist es seitdem geblieben. Als Surrogat für die erträumten revo¬ Nrmzbotcn It 1900 1
Wo ist die Gefahr? n dem äußern Gebaren der deutsche,« Sozialdemokratie hat sich Und so ist es seitdem geblieben. Als Surrogat für die erträumten revo¬ Nrmzbotcn It 1900 1
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299052"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341883_299040/figures/grenzboten_341883_299040_299052_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Wo ist die Gefahr?</head><lb/> <p xml:id="ID_11"> n dem äußern Gebaren der deutsche,« Sozialdemokratie hat sich<lb/> im letzten halben Jahr eine offenbare Wandlung vollzogen. Als<lb/> im Herbst der russische Eisenbahnerstreik das Zarenreich aus den<lb/> Angeln zu heben schien, ging auch durch ihre Reihen ein starker<lb/> Drang zu unmittelbarer revolutionärer Beendigung. In ihrer<lb/> Presse wurde Tag für Tag der Anbruch der großen Weltwende verkündet.<lb/> IZx orisnts lux! Von Nußland her sollte mit aller auf dem europäischen<lb/> Kontinent noch bestehenden monarchischen Ordnung aufgeräumt und der Boden<lb/> für die menschheitbeglückende Kultur einer neuen Zeit geebnet werden. Stolz<lb/> und unumwunden erklärte der Vorwärts, die deutsche Sozialdemokratie werde<lb/> es sich nicht nehmen lassen, in dieser Entwicklung die Avantgarde zu bilden.<lb/> Der Anfang sollte am Jahrestage des „roten Sonntags" von Petersburg<lb/> gemacht werden. Daß man in den führenden Kreisen unsrer theoretischen Revo¬<lb/> lutionäre auch nur eine halbwegs klare Vorstellung davon gehabt Hütte, was<lb/> eigentlich geschehen sollte, ist zu bezweifeln. Wozu sollte man auch? Es galt<lb/> nur, eine Gelegenheit zu schaffen, das andre überließ man der „wuchtigen<lb/> Logik der Tatsachen." Aber der Plan war tot, ehe der 21. Januar herankam;<lb/> mit der Niederwerfung des Moskaner Dezemberaufstandes hatte ein eisiger<lb/> Nordwind alle Blütenkeime der großen Weltwende zerstört. Der ungewöhnliche<lb/> Machtaufwand, den die Staatsgewalt am 21. Januar entfaltete, mag gut ge¬<lb/> wesen sein, auch die Unbesonnensten vor einer Ausschreitung zu bewahren; daß<lb/> die Führer für diesen Tag auch nicht den Schatten eiuer gewaltsamen Aktion<lb/> beabsichtigten, kann man ihnen aufs Wort glauben. Die Lage war eben von<lb/> Grund aus verändert.</p><lb/> <p xml:id="ID_12" next="#ID_13"> Und so ist es seitdem geblieben. Als Surrogat für die erträumten revo¬<lb/> lutionären Taten hat man die Wahlrechtsproteste auf die Tagesordnung gestellt.<lb/> Aber die Lenker der Sozialdemokratie können sich nicht darüber täuschen, daß<lb/> dies ein Schlag ins Wasser war. Sie haben mit der Wiederholung dieser Art<lb/> Demonstration am 18. März schlechterdings gar keinen Eindruck gemacht, bei<lb/> den Regierungen sowohl wie beim Bürgertum und vor allem bei ihrer eignen<lb/> Gefolgschaft. Diese ist zweifellos die am meisten enttäuschte. Nicht daß sie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Nrmzbotcn It 1900 1</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
[Abbildung]
Wo ist die Gefahr?
n dem äußern Gebaren der deutsche,« Sozialdemokratie hat sich
im letzten halben Jahr eine offenbare Wandlung vollzogen. Als
im Herbst der russische Eisenbahnerstreik das Zarenreich aus den
Angeln zu heben schien, ging auch durch ihre Reihen ein starker
Drang zu unmittelbarer revolutionärer Beendigung. In ihrer
Presse wurde Tag für Tag der Anbruch der großen Weltwende verkündet.
IZx orisnts lux! Von Nußland her sollte mit aller auf dem europäischen
Kontinent noch bestehenden monarchischen Ordnung aufgeräumt und der Boden
für die menschheitbeglückende Kultur einer neuen Zeit geebnet werden. Stolz
und unumwunden erklärte der Vorwärts, die deutsche Sozialdemokratie werde
es sich nicht nehmen lassen, in dieser Entwicklung die Avantgarde zu bilden.
Der Anfang sollte am Jahrestage des „roten Sonntags" von Petersburg
gemacht werden. Daß man in den führenden Kreisen unsrer theoretischen Revo¬
lutionäre auch nur eine halbwegs klare Vorstellung davon gehabt Hütte, was
eigentlich geschehen sollte, ist zu bezweifeln. Wozu sollte man auch? Es galt
nur, eine Gelegenheit zu schaffen, das andre überließ man der „wuchtigen
Logik der Tatsachen." Aber der Plan war tot, ehe der 21. Januar herankam;
mit der Niederwerfung des Moskaner Dezemberaufstandes hatte ein eisiger
Nordwind alle Blütenkeime der großen Weltwende zerstört. Der ungewöhnliche
Machtaufwand, den die Staatsgewalt am 21. Januar entfaltete, mag gut ge¬
wesen sein, auch die Unbesonnensten vor einer Ausschreitung zu bewahren; daß
die Führer für diesen Tag auch nicht den Schatten eiuer gewaltsamen Aktion
beabsichtigten, kann man ihnen aufs Wort glauben. Die Lage war eben von
Grund aus verändert.
Und so ist es seitdem geblieben. Als Surrogat für die erträumten revo¬
lutionären Taten hat man die Wahlrechtsproteste auf die Tagesordnung gestellt.
Aber die Lenker der Sozialdemokratie können sich nicht darüber täuschen, daß
dies ein Schlag ins Wasser war. Sie haben mit der Wiederholung dieser Art
Demonstration am 18. März schlechterdings gar keinen Eindruck gemacht, bei
den Regierungen sowohl wie beim Bürgertum und vor allem bei ihrer eignen
Gefolgschaft. Diese ist zweifellos die am meisten enttäuschte. Nicht daß sie
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