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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken

>is am Abend des letztvergangnen siebzehnten Oktobers Hundert¬
tausende den Elbstrand zwischen Pillnitz und Dresden säumten,
um die Überführung der Leiche des Königs Georg von Sachsen
mit anzusehen, oder um, wie sich die Dresdner Polizeidirektion in
keiner die Sperrung des Fahr-, Reit- und Fußverkehrs regelnden
Bekanntmachung etwas geschraubt ausdrückte, "ihrer Mttrauer durch Anwesenheit
Ausdruck zu geben," waren aus dem Munde der zu dem einen oder dem andern
Zwecke versammelten Menge überaus ernst, leidenschaftslos und wohlüberlegt
klingende Urteile über den verstorbnen Monarchen zu hören. Der Entschlafne,
hieß es, sei "im Grunde doch" ein braver, gewissenhafter, unparteiischer, es
ohne Rücksicht auf die Person immer nur mit dem Recht und mit der Wahrheit
haltender, für das Wohl des Staats und des Volks unermüdlich tätiger Herr
gewesen, und der an ihm oft und fast immer wahrgenommne kalte Gesichts¬
ausdruck, der manchen Annäherungswunsch im Keim erstickte, habe nie als
Spiegel seiner Seele, sondern eher als eine Maske gelten können, hinter der
er viele Jahre lang jede von ihm noch nicht auf ihre Berechtigung geprüfte
Rührung und Teilnahme zu verbergen gewohnt gewesen sei. So sei es ge¬
kommen, daß er, ohne sich der Gefahr einer Verkennung seines Wesens je
bewußt zu werden, durch diese ihm zur Gewohnheit gewordne Annahme eines
eisigen Gesichtsausdrucks oftmals da abgestoßen und kältend berührt habe, wo
die ihn erfüllenden wohlwollenden, menschenfreundlichen Gefühle ihm, wenn
weniger vorsichtig verborgen, die Herzen von Tausenden gewonnen hätten. Im
täglichen Verkehr mit den Seinen und denen, die ihm sonst näher standen, habe
er sich als der rücksichtsvollste, umgänglichste Mensch gezeigt, und man habe
ihn nie mit einem Kinde sprechen sehen, ohne daß sich dabei seine Züge durch
ein vom Herzen kommendes und zum Herzen gehendes Lächeln verklärt hätten.
Er sei der zuverlässigste, treuste Freund, Gönner und Bundesgenosse gewesen,
und wie er nie die Wahrheit halb, sondern immer ganz gesagt habe, so habe
man auch auf sein Wort und Versprechen Häuser bauen können.

Das klang nun freilich ganz anders als das, was in den ersten Monaten
nach dem Regierungswechsel allerhand namentlich in den breitern Volksschichten
Dielgelesne Blätter, die wohlunterrichtet zu sein glaubten oder -- vorgaben,


Grenzboten I 1906 KL


Zum Andenken

>is am Abend des letztvergangnen siebzehnten Oktobers Hundert¬
tausende den Elbstrand zwischen Pillnitz und Dresden säumten,
um die Überführung der Leiche des Königs Georg von Sachsen
mit anzusehen, oder um, wie sich die Dresdner Polizeidirektion in
keiner die Sperrung des Fahr-, Reit- und Fußverkehrs regelnden
Bekanntmachung etwas geschraubt ausdrückte, „ihrer Mttrauer durch Anwesenheit
Ausdruck zu geben," waren aus dem Munde der zu dem einen oder dem andern
Zwecke versammelten Menge überaus ernst, leidenschaftslos und wohlüberlegt
klingende Urteile über den verstorbnen Monarchen zu hören. Der Entschlafne,
hieß es, sei „im Grunde doch" ein braver, gewissenhafter, unparteiischer, es
ohne Rücksicht auf die Person immer nur mit dem Recht und mit der Wahrheit
haltender, für das Wohl des Staats und des Volks unermüdlich tätiger Herr
gewesen, und der an ihm oft und fast immer wahrgenommne kalte Gesichts¬
ausdruck, der manchen Annäherungswunsch im Keim erstickte, habe nie als
Spiegel seiner Seele, sondern eher als eine Maske gelten können, hinter der
er viele Jahre lang jede von ihm noch nicht auf ihre Berechtigung geprüfte
Rührung und Teilnahme zu verbergen gewohnt gewesen sei. So sei es ge¬
kommen, daß er, ohne sich der Gefahr einer Verkennung seines Wesens je
bewußt zu werden, durch diese ihm zur Gewohnheit gewordne Annahme eines
eisigen Gesichtsausdrucks oftmals da abgestoßen und kältend berührt habe, wo
die ihn erfüllenden wohlwollenden, menschenfreundlichen Gefühle ihm, wenn
weniger vorsichtig verborgen, die Herzen von Tausenden gewonnen hätten. Im
täglichen Verkehr mit den Seinen und denen, die ihm sonst näher standen, habe
er sich als der rücksichtsvollste, umgänglichste Mensch gezeigt, und man habe
ihn nie mit einem Kinde sprechen sehen, ohne daß sich dabei seine Züge durch
ein vom Herzen kommendes und zum Herzen gehendes Lächeln verklärt hätten.
Er sei der zuverlässigste, treuste Freund, Gönner und Bundesgenosse gewesen,
und wie er nie die Wahrheit halb, sondern immer ganz gesagt habe, so habe
man auch auf sein Wort und Versprechen Häuser bauen können.

Das klang nun freilich ganz anders als das, was in den ersten Monaten
nach dem Regierungswechsel allerhand namentlich in den breitern Volksschichten
Dielgelesne Blätter, die wohlunterrichtet zu sein glaubten oder — vorgaben,


Grenzboten I 1906 KL
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[0477] [Abbildung] Zum Andenken >is am Abend des letztvergangnen siebzehnten Oktobers Hundert¬ tausende den Elbstrand zwischen Pillnitz und Dresden säumten, um die Überführung der Leiche des Königs Georg von Sachsen mit anzusehen, oder um, wie sich die Dresdner Polizeidirektion in keiner die Sperrung des Fahr-, Reit- und Fußverkehrs regelnden Bekanntmachung etwas geschraubt ausdrückte, „ihrer Mttrauer durch Anwesenheit Ausdruck zu geben," waren aus dem Munde der zu dem einen oder dem andern Zwecke versammelten Menge überaus ernst, leidenschaftslos und wohlüberlegt klingende Urteile über den verstorbnen Monarchen zu hören. Der Entschlafne, hieß es, sei „im Grunde doch" ein braver, gewissenhafter, unparteiischer, es ohne Rücksicht auf die Person immer nur mit dem Recht und mit der Wahrheit haltender, für das Wohl des Staats und des Volks unermüdlich tätiger Herr gewesen, und der an ihm oft und fast immer wahrgenommne kalte Gesichts¬ ausdruck, der manchen Annäherungswunsch im Keim erstickte, habe nie als Spiegel seiner Seele, sondern eher als eine Maske gelten können, hinter der er viele Jahre lang jede von ihm noch nicht auf ihre Berechtigung geprüfte Rührung und Teilnahme zu verbergen gewohnt gewesen sei. So sei es ge¬ kommen, daß er, ohne sich der Gefahr einer Verkennung seines Wesens je bewußt zu werden, durch diese ihm zur Gewohnheit gewordne Annahme eines eisigen Gesichtsausdrucks oftmals da abgestoßen und kältend berührt habe, wo die ihn erfüllenden wohlwollenden, menschenfreundlichen Gefühle ihm, wenn weniger vorsichtig verborgen, die Herzen von Tausenden gewonnen hätten. Im täglichen Verkehr mit den Seinen und denen, die ihm sonst näher standen, habe er sich als der rücksichtsvollste, umgänglichste Mensch gezeigt, und man habe ihn nie mit einem Kinde sprechen sehen, ohne daß sich dabei seine Züge durch ein vom Herzen kommendes und zum Herzen gehendes Lächeln verklärt hätten. Er sei der zuverlässigste, treuste Freund, Gönner und Bundesgenosse gewesen, und wie er nie die Wahrheit halb, sondern immer ganz gesagt habe, so habe man auch auf sein Wort und Versprechen Häuser bauen können. Das klang nun freilich ganz anders als das, was in den ersten Monaten nach dem Regierungswechsel allerhand namentlich in den breitern Volksschichten Dielgelesne Blätter, die wohlunterrichtet zu sein glaubten oder — vorgaben, Grenzboten I 1906 KL

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/477>, abgerufen am 23.07.2024.