Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Kredit
Oaul Büchner von

aß unser Wirtschnftsgefüge auf dem Kreditwesen beruht, kann
man in allen nationalökonomischen und handelswissenschaftlichen
Handbüchern lesen. Die Begründung dieses Satzes, der zum
Gemeinplatz geworden ist, pflegt aber dürftig und mangelhaft
zu sein, wenn sie überhaupt versucht wird, da den Verfassern,
die dem praktischen Geschäftsleben fernstehn, der Einblick in unser Wirtschafts¬
getriebe fehlt. Unsre Aufgabe soll es sein, zu untersuchen, ob der Satz be¬
gründet ist, und auf welchen Wegen der Kredit wandelt.

Wenn eine Wirtschaftsordnung gesund sein soll, so muß es jedem einzelnen
Menschen die Möglichkeit gewähren, materielle Fortschritte zu machen. Die
meisten begnügen sich damit, nach der Besserung ihrer äußern Lage zu streben,
nur wenige wollen eine gewisse Unabhängigkeit mit Hilfe des erworbnen Ver¬
mögens erlangen, und sehr selten sind die, für die ihr Kapital das Mittel ist,
höhere Zwecke zu erreichen.

Unsre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Institution
der Familie. Für die Erhaltung und die Vermehrung der Produktionsmittel
ist es von Wichtigkeit, daß sie sich in derselben Familie von einer Generation
auf die andre vererben, da große Unternehmungen, die bedeutende Kapitalien
verlangen, nicht ausführbar wären, wenn alle Menschen mit der Aufspeicherung
von Vermögen immer wieder von vorn anfangen müßten. Unter den heutigen
Wirtschaftsverhältnissen in Deutschland gelingt es nur ausnahmsweise, große
Kapitalien in einem Menschenalter anzuhäufen; Leute, die ihre Laufbahn
ohne Mittel beginnen und nur über Ersparnisse verfügen, können nur kleine
Unternehmungen ausführen.

Aber auch Ersparnisse zu machen ist nicht jedem beschieden, da die meisten
Anstellungsverhältnisse höchstens erlauben, einen Notgroschen zu erübrigen.
Wie zu allen menschlichen Unternehmungen gehört auch zur Erlangung einer
gut dotierten Stellung Glück. Trotz allen Bemühungen, die man aufgewandt
hat zur Bekämpfung der Überzeugung, daß der Mensch zunächst durch Glück
vorwärts komme, und daß Tüchtigkeit und Intelligenz weniger förderlich seien


Grenzboten I 1906 25


Kredit
Oaul Büchner von

aß unser Wirtschnftsgefüge auf dem Kreditwesen beruht, kann
man in allen nationalökonomischen und handelswissenschaftlichen
Handbüchern lesen. Die Begründung dieses Satzes, der zum
Gemeinplatz geworden ist, pflegt aber dürftig und mangelhaft
zu sein, wenn sie überhaupt versucht wird, da den Verfassern,
die dem praktischen Geschäftsleben fernstehn, der Einblick in unser Wirtschafts¬
getriebe fehlt. Unsre Aufgabe soll es sein, zu untersuchen, ob der Satz be¬
gründet ist, und auf welchen Wegen der Kredit wandelt.

Wenn eine Wirtschaftsordnung gesund sein soll, so muß es jedem einzelnen
Menschen die Möglichkeit gewähren, materielle Fortschritte zu machen. Die
meisten begnügen sich damit, nach der Besserung ihrer äußern Lage zu streben,
nur wenige wollen eine gewisse Unabhängigkeit mit Hilfe des erworbnen Ver¬
mögens erlangen, und sehr selten sind die, für die ihr Kapital das Mittel ist,
höhere Zwecke zu erreichen.

Unsre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Institution
der Familie. Für die Erhaltung und die Vermehrung der Produktionsmittel
ist es von Wichtigkeit, daß sie sich in derselben Familie von einer Generation
auf die andre vererben, da große Unternehmungen, die bedeutende Kapitalien
verlangen, nicht ausführbar wären, wenn alle Menschen mit der Aufspeicherung
von Vermögen immer wieder von vorn anfangen müßten. Unter den heutigen
Wirtschaftsverhältnissen in Deutschland gelingt es nur ausnahmsweise, große
Kapitalien in einem Menschenalter anzuhäufen; Leute, die ihre Laufbahn
ohne Mittel beginnen und nur über Ersparnisse verfügen, können nur kleine
Unternehmungen ausführen.

Aber auch Ersparnisse zu machen ist nicht jedem beschieden, da die meisten
Anstellungsverhältnisse höchstens erlauben, einen Notgroschen zu erübrigen.
Wie zu allen menschlichen Unternehmungen gehört auch zur Erlangung einer
gut dotierten Stellung Glück. Trotz allen Bemühungen, die man aufgewandt
hat zur Bekämpfung der Überzeugung, daß der Mensch zunächst durch Glück
vorwärts komme, und daß Tüchtigkeit und Intelligenz weniger förderlich seien


Grenzboten I 1906 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87667"/>
        <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341881_87477/figures/grenzboten_341881_87477_87667_000.jpg"/><lb/>
        <div n="1">
          <head> Kredit<lb/><note type="byline"> Oaul Büchner</note> von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_764"> aß unser Wirtschnftsgefüge auf dem Kreditwesen beruht, kann<lb/>
man in allen nationalökonomischen und handelswissenschaftlichen<lb/>
Handbüchern lesen. Die Begründung dieses Satzes, der zum<lb/>
Gemeinplatz geworden ist, pflegt aber dürftig und mangelhaft<lb/>
zu sein, wenn sie überhaupt versucht wird, da den Verfassern,<lb/>
die dem praktischen Geschäftsleben fernstehn, der Einblick in unser Wirtschafts¬<lb/>
getriebe fehlt. Unsre Aufgabe soll es sein, zu untersuchen, ob der Satz be¬<lb/>
gründet ist, und auf welchen Wegen der Kredit wandelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> Wenn eine Wirtschaftsordnung gesund sein soll, so muß es jedem einzelnen<lb/>
Menschen die Möglichkeit gewähren, materielle Fortschritte zu machen. Die<lb/>
meisten begnügen sich damit, nach der Besserung ihrer äußern Lage zu streben,<lb/>
nur wenige wollen eine gewisse Unabhängigkeit mit Hilfe des erworbnen Ver¬<lb/>
mögens erlangen, und sehr selten sind die, für die ihr Kapital das Mittel ist,<lb/>
höhere Zwecke zu erreichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> Unsre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Institution<lb/>
der Familie. Für die Erhaltung und die Vermehrung der Produktionsmittel<lb/>
ist es von Wichtigkeit, daß sie sich in derselben Familie von einer Generation<lb/>
auf die andre vererben, da große Unternehmungen, die bedeutende Kapitalien<lb/>
verlangen, nicht ausführbar wären, wenn alle Menschen mit der Aufspeicherung<lb/>
von Vermögen immer wieder von vorn anfangen müßten. Unter den heutigen<lb/>
Wirtschaftsverhältnissen in Deutschland gelingt es nur ausnahmsweise, große<lb/>
Kapitalien in einem Menschenalter anzuhäufen; Leute, die ihre Laufbahn<lb/>
ohne Mittel beginnen und nur über Ersparnisse verfügen, können nur kleine<lb/>
Unternehmungen ausführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_767" next="#ID_768"> Aber auch Ersparnisse zu machen ist nicht jedem beschieden, da die meisten<lb/>
Anstellungsverhältnisse höchstens erlauben, einen Notgroschen zu erübrigen.<lb/>
Wie zu allen menschlichen Unternehmungen gehört auch zur Erlangung einer<lb/>
gut dotierten Stellung Glück. Trotz allen Bemühungen, die man aufgewandt<lb/>
hat zur Bekämpfung der Überzeugung, daß der Mensch zunächst durch Glück<lb/>
vorwärts komme, und daß Tüchtigkeit und Intelligenz weniger förderlich seien</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1906 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] [Abbildung] Kredit Oaul Büchner von aß unser Wirtschnftsgefüge auf dem Kreditwesen beruht, kann man in allen nationalökonomischen und handelswissenschaftlichen Handbüchern lesen. Die Begründung dieses Satzes, der zum Gemeinplatz geworden ist, pflegt aber dürftig und mangelhaft zu sein, wenn sie überhaupt versucht wird, da den Verfassern, die dem praktischen Geschäftsleben fernstehn, der Einblick in unser Wirtschafts¬ getriebe fehlt. Unsre Aufgabe soll es sein, zu untersuchen, ob der Satz be¬ gründet ist, und auf welchen Wegen der Kredit wandelt. Wenn eine Wirtschaftsordnung gesund sein soll, so muß es jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit gewähren, materielle Fortschritte zu machen. Die meisten begnügen sich damit, nach der Besserung ihrer äußern Lage zu streben, nur wenige wollen eine gewisse Unabhängigkeit mit Hilfe des erworbnen Ver¬ mögens erlangen, und sehr selten sind die, für die ihr Kapital das Mittel ist, höhere Zwecke zu erreichen. Unsre Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Institution der Familie. Für die Erhaltung und die Vermehrung der Produktionsmittel ist es von Wichtigkeit, daß sie sich in derselben Familie von einer Generation auf die andre vererben, da große Unternehmungen, die bedeutende Kapitalien verlangen, nicht ausführbar wären, wenn alle Menschen mit der Aufspeicherung von Vermögen immer wieder von vorn anfangen müßten. Unter den heutigen Wirtschaftsverhältnissen in Deutschland gelingt es nur ausnahmsweise, große Kapitalien in einem Menschenalter anzuhäufen; Leute, die ihre Laufbahn ohne Mittel beginnen und nur über Ersparnisse verfügen, können nur kleine Unternehmungen ausführen. Aber auch Ersparnisse zu machen ist nicht jedem beschieden, da die meisten Anstellungsverhältnisse höchstens erlauben, einen Notgroschen zu erübrigen. Wie zu allen menschlichen Unternehmungen gehört auch zur Erlangung einer gut dotierten Stellung Glück. Trotz allen Bemühungen, die man aufgewandt hat zur Bekämpfung der Überzeugung, daß der Mensch zunächst durch Glück vorwärts komme, und daß Tüchtigkeit und Intelligenz weniger förderlich seien Grenzboten I 1906 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/189>, abgerufen am 22.12.2024.