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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Zunge Herzen

Mtw, ergänzte Stine in so drolliger Weise, daß Helene lächeln mußte.

Als Stine verschwunden war, sagte Frau Lönberg wütend: Ich möchte es
mir doch sehr verbitten, daß man sich in Gegenwart von Dienstboten lustig über
mich macht.

Hierauf konnte Helene nichts entgegnen, verstimmt ging sie in die Kirche.

Als sie dort saß, flogen ihre Gedanken zu der Schwester hinüber. Denn zu
derselben Zeit saßen die Mutter und Katrine in der Kopenhagner Kirche, und ihre
Blicke verfolgten Betty, die in der langen Reihe festlich gekleideter Konfirmandinnen
verschwand.

Nach der Konfirmation in Nakkerup sunt in der Apotheke ein cMuuör cUruitoirs
statt, zu dem außer der gräflichen Familie nur der Propst und seine Frau ge¬
laden waren.

Der Graf und die Gräfin erschienen mit kostbaren Geschenken. Der Stamm¬
herr, der jetzt Student war, überreichte der Konfirmandin eine hübsche goldne
Brosche von der Art, wie sie eigens zu Konfirmationsgeschenken geschaffen zu sein
scheinen.

Dann gab er Helene ein schimmerndes Rubinenarmband, indem er verlegen
äußerte, daß sie ja Desiderias Erziehung vollendet habe.

Der Graf und die Gräfin sahen einander ganz erstaunt an, Großmutter
lächelte, und die Augen der Kanzleirätin und Desiderias blitzten mit den Rubinen
um die Wette



Einige Tage später erhielt Helene einen Brief von Betty.

Der Konfirmationstag war in aller Stille gefeiert worden und hatte mit
einem Besuch vou des Vaters Grabe geendet, das mit Blumen geschmückt worden
war. Der Brief schloß mit den Worten: Der Pastor sprach wirklich schön. Und
es dauerte gar nicht so lange wie gewöhnlich. Er entwickelte namentlich die Be¬
deutung der Gnade. Und dann sagte er, die Sonne der Gnade mache alle
Menschen froh und demütig. Und wenn wir es am allerwenigsten erwarteten, so
scheine sie auf uns herab.

Als wir später um Vaters Grabe saßen, schien die Sonne auf einmal so warm
darauf herab.

Da stand Mutter auf und sah nach dem Abendhimmel und sagte: Ob die
Sonne Helene jetzt auch Wohl bescheint?


20. Dunkle Tage

Der Herbst ging in den Winter über.

Plötzlich meldete sich der Nachtfrost.

Eines Morgens hing das rote Weinlaub verblichen und zerzaust da, und
die prachtvollen Tollenkragen der Georginen waren in einer Nacht zerknittert
und welk.

Dann kam man in den November hinein; die Bäume hatten das letzte Laub
abgeschüttelt, heulend fuhr der Sturm über das Land, und es knackte und krachte
in den Wäldern. Alte morsche Stämme fielen, da wurde Platz für die Jugend.

Die Sonne war ins Winterquartier gegangen. Die Menschen machten es
sich in den vier Wänden behaglich. Es knisterte in den Kaminen, es schimmerte
von den Lampen und von den Kronleuchtern herab. Die Musik ertönte, und der
Tanz glitt über die blanken Dielen.




In der Provinzstadt sollte Schulball gehalten werden.

Eines Nachmittags, gerade als Helene die Lampe in ihrem Zimmer angezündet
hatte, trat Nielsine ein. Sie sah verweint ans, sagte aber nichts.

Helene bat sie, sich zu setzen.


Zunge Herzen

Mtw, ergänzte Stine in so drolliger Weise, daß Helene lächeln mußte.

Als Stine verschwunden war, sagte Frau Lönberg wütend: Ich möchte es
mir doch sehr verbitten, daß man sich in Gegenwart von Dienstboten lustig über
mich macht.

Hierauf konnte Helene nichts entgegnen, verstimmt ging sie in die Kirche.

Als sie dort saß, flogen ihre Gedanken zu der Schwester hinüber. Denn zu
derselben Zeit saßen die Mutter und Katrine in der Kopenhagner Kirche, und ihre
Blicke verfolgten Betty, die in der langen Reihe festlich gekleideter Konfirmandinnen
verschwand.

Nach der Konfirmation in Nakkerup sunt in der Apotheke ein cMuuör cUruitoirs
statt, zu dem außer der gräflichen Familie nur der Propst und seine Frau ge¬
laden waren.

Der Graf und die Gräfin erschienen mit kostbaren Geschenken. Der Stamm¬
herr, der jetzt Student war, überreichte der Konfirmandin eine hübsche goldne
Brosche von der Art, wie sie eigens zu Konfirmationsgeschenken geschaffen zu sein
scheinen.

Dann gab er Helene ein schimmerndes Rubinenarmband, indem er verlegen
äußerte, daß sie ja Desiderias Erziehung vollendet habe.

Der Graf und die Gräfin sahen einander ganz erstaunt an, Großmutter
lächelte, und die Augen der Kanzleirätin und Desiderias blitzten mit den Rubinen
um die Wette



Einige Tage später erhielt Helene einen Brief von Betty.

Der Konfirmationstag war in aller Stille gefeiert worden und hatte mit
einem Besuch vou des Vaters Grabe geendet, das mit Blumen geschmückt worden
war. Der Brief schloß mit den Worten: Der Pastor sprach wirklich schön. Und
es dauerte gar nicht so lange wie gewöhnlich. Er entwickelte namentlich die Be¬
deutung der Gnade. Und dann sagte er, die Sonne der Gnade mache alle
Menschen froh und demütig. Und wenn wir es am allerwenigsten erwarteten, so
scheine sie auf uns herab.

Als wir später um Vaters Grabe saßen, schien die Sonne auf einmal so warm
darauf herab.

Da stand Mutter auf und sah nach dem Abendhimmel und sagte: Ob die
Sonne Helene jetzt auch Wohl bescheint?


20. Dunkle Tage

Der Herbst ging in den Winter über.

Plötzlich meldete sich der Nachtfrost.

Eines Morgens hing das rote Weinlaub verblichen und zerzaust da, und
die prachtvollen Tollenkragen der Georginen waren in einer Nacht zerknittert
und welk.

Dann kam man in den November hinein; die Bäume hatten das letzte Laub
abgeschüttelt, heulend fuhr der Sturm über das Land, und es knackte und krachte
in den Wäldern. Alte morsche Stämme fielen, da wurde Platz für die Jugend.

Die Sonne war ins Winterquartier gegangen. Die Menschen machten es
sich in den vier Wänden behaglich. Es knisterte in den Kaminen, es schimmerte
von den Lampen und von den Kronleuchtern herab. Die Musik ertönte, und der
Tanz glitt über die blanken Dielen.




In der Provinzstadt sollte Schulball gehalten werden.

Eines Nachmittags, gerade als Helene die Lampe in ihrem Zimmer angezündet
hatte, trat Nielsine ein. Sie sah verweint ans, sagte aber nichts.

Helene bat sie, sich zu setzen.


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[0053] Zunge Herzen Mtw, ergänzte Stine in so drolliger Weise, daß Helene lächeln mußte. Als Stine verschwunden war, sagte Frau Lönberg wütend: Ich möchte es mir doch sehr verbitten, daß man sich in Gegenwart von Dienstboten lustig über mich macht. Hierauf konnte Helene nichts entgegnen, verstimmt ging sie in die Kirche. Als sie dort saß, flogen ihre Gedanken zu der Schwester hinüber. Denn zu derselben Zeit saßen die Mutter und Katrine in der Kopenhagner Kirche, und ihre Blicke verfolgten Betty, die in der langen Reihe festlich gekleideter Konfirmandinnen verschwand. Nach der Konfirmation in Nakkerup sunt in der Apotheke ein cMuuör cUruitoirs statt, zu dem außer der gräflichen Familie nur der Propst und seine Frau ge¬ laden waren. Der Graf und die Gräfin erschienen mit kostbaren Geschenken. Der Stamm¬ herr, der jetzt Student war, überreichte der Konfirmandin eine hübsche goldne Brosche von der Art, wie sie eigens zu Konfirmationsgeschenken geschaffen zu sein scheinen. Dann gab er Helene ein schimmerndes Rubinenarmband, indem er verlegen äußerte, daß sie ja Desiderias Erziehung vollendet habe. Der Graf und die Gräfin sahen einander ganz erstaunt an, Großmutter lächelte, und die Augen der Kanzleirätin und Desiderias blitzten mit den Rubinen um die Wette Einige Tage später erhielt Helene einen Brief von Betty. Der Konfirmationstag war in aller Stille gefeiert worden und hatte mit einem Besuch vou des Vaters Grabe geendet, das mit Blumen geschmückt worden war. Der Brief schloß mit den Worten: Der Pastor sprach wirklich schön. Und es dauerte gar nicht so lange wie gewöhnlich. Er entwickelte namentlich die Be¬ deutung der Gnade. Und dann sagte er, die Sonne der Gnade mache alle Menschen froh und demütig. Und wenn wir es am allerwenigsten erwarteten, so scheine sie auf uns herab. Als wir später um Vaters Grabe saßen, schien die Sonne auf einmal so warm darauf herab. Da stand Mutter auf und sah nach dem Abendhimmel und sagte: Ob die Sonne Helene jetzt auch Wohl bescheint? 20. Dunkle Tage Der Herbst ging in den Winter über. Plötzlich meldete sich der Nachtfrost. Eines Morgens hing das rote Weinlaub verblichen und zerzaust da, und die prachtvollen Tollenkragen der Georginen waren in einer Nacht zerknittert und welk. Dann kam man in den November hinein; die Bäume hatten das letzte Laub abgeschüttelt, heulend fuhr der Sturm über das Land, und es knackte und krachte in den Wäldern. Alte morsche Stämme fielen, da wurde Platz für die Jugend. Die Sonne war ins Winterquartier gegangen. Die Menschen machten es sich in den vier Wänden behaglich. Es knisterte in den Kaminen, es schimmerte von den Lampen und von den Kronleuchtern herab. Die Musik ertönte, und der Tanz glitt über die blanken Dielen. In der Provinzstadt sollte Schulball gehalten werden. Eines Nachmittags, gerade als Helene die Lampe in ihrem Zimmer angezündet hatte, trat Nielsine ein. Sie sah verweint ans, sagte aber nichts. Helene bat sie, sich zu setzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/53>, abgerufen am 15.01.2025.