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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

zollern" und ihre dauernde Jndiensthaltung angesehen, bei Repräsentationsreisen im
Auslande gehn gewisse Kosten für Geschenke usw. auf den Etat des Auswärtigen
Amtes über; in allein übrigen bestreitet der König von Preußen den gesamten
Aufwand des deutschen Kaisers. Sollte Elsaß-Lothringen später seine "bundes¬
staatliche Gleichberechtigung" durch einen angemessenen Beitrag zur Kaiserlichen
Zivilliste erhärten wollen, so könnte der Gehalt des Statthalters auf diese über¬
gehn. Der jetzigen "Souveränitätsbewegung" in Elsaß-Lothringen liegt wesentlich
ein "Los vou Berlin" zugrunde, dessen Entstehung bis weit in die Moellerschen
Zeiten zurückreicht. Die Antwort des Reiches kann nur lauten: "Nicht los vou
Berlin, sondern enger verbunden mit Berlin, enger verbunden mit der Kaiser¬
krone."



Russische Zustände.

Trotzdem daß die russische Regierung ihr Land vom
Auslande hermetisch abzusperren bemüht ist und in ihrem Machtbereich jede ihr
unbequeme Preßäußerung unterdrückt, ist uns kein fremdes Land so bekannt und
verständlich wie Rußland, weil, wie wir bei einer frühern Gelegenheit bemerkt
haben, alle russischen und nichtrussischen Berichterstatter aller politischen Parteien
im wesentlichen übereinstimmen, und weil die soziale wie die geistige Struktur
des Volks sehr einfach sind. Die Hauptzüge des Bildes, das uns alle Schilderer
entwerfen, sind: der indolente, willensschwache Volkscharakter, die Aufopferung der
wirtschaftlichen Kraft für die Eroberungspolitik und für das Interesse der Beamten¬
schaft, und alle die Übel, die der Absolutismus in einem Hundertmillionenvolke von
solcher Beschaffenheit erzeugen muß. Die speziellen Züge, die in den letzten zehn
Jahren hervorgetreten sind, brauchen wir nicht auszuführen, da sie allwöchentlich
von den Zeitungen besprochen werden. Kein neues Buch über Rußland ändert
das Bild, das wir uns vou dem Riesenreiche gemacht haben, und das gilt auch
von dem neusten: Vor der Katastrophe. Ein Blick ins Zarenreich. Skizzen
und Interviews aus den russischen Hauptstädten von Hugo Ganz. (Frankfurt am
Main, Rütten K Loening, 1904.) Der Verfasser hat Nußland im Januar, Februar
und März dieses Jahres bereist und die Skizzen, die in diesem Buche zusammen¬
gefaßt werden, in verschiednen Zeitungen veröffentlicht. Sie sind nicht ganz sin"
i'ra, se swclio geschrieben, denn der Verfasser ist Jude, und mit der Lage und den
Schicksalen der russischen Juden beschäftigt er sich vielfach. Es braucht deswegen
nicht alles falsch zu sein, was er darüber sagt. Sehr glaublich klingt zum Beispiel,
daß die polnische Schlachta und die katholische Geistlichkeit die elende polnische Juden¬
rasse gezüchtet haben, daß die Juden, die es zu etwas bringen, einer ganz andern
Rasse anzugehören scheinen, und daß sich die Beamtenschaft mit Händen und Füßen
gegen die Aufhebung oder die Milderung der Judengesetze sträuben würde, weil die
Umgehung dieser Gesetze, die sie erlaubt, eine Haupteinnahmequelle für sie ist, wie
denn überhaupt der Druck des herrschenden Willkürregiments durch die Bestechlichkeit
der Beamten einigermaßen erträglich gemacht wird. Juden, die zahlen können,
schreibt Ganz, leben gar nicht schlecht. Das interessanteste in seinem Buche ist der
Nachweis, daß die gesamte russische Intelligenz in der Verurteilung des herrschenden
"Systems" und seiner damaligen Inkarnation, die Plehwe hieß, einig sei. Alle
seine Gewährsmänner, darunter Beamte in den höchsten Stellungen, behauptet er,
haben ihm mit wunderbarer Übereinstimmung genau dasselbe gesagt. Alle aber,
mit alleiniger Ausnahme des Fürsten Uchtomski, haben ihn verpflichtet, ihre Namen
zu verschweigen. Obwohl nach diesen Schilderungen die Intelligenz größtenteils
liberal ist und es ausnahmslos sein wird, wenn die jetzige Studentengeneration im
Mannesalter stehn wird, war doch unter den von Ganz befragten auch ein "im
Staatsdienst stehender konservativer Aristokrat," der zu des Besuchers Verwunderung
alles, was diesem die Opposition gesagt hatte, bekräftigte. "Sie wundern sich, das;
ich als konservativer Staatsdiener so spreche; aber ich hoffe, Sie werden nicht
konservativ und infam für identisch halten, und wenn Sie das nicht tun, werden


Grenzboten IV 1904 40
Maßgebliches und Unmaßgebliches

zollern" und ihre dauernde Jndiensthaltung angesehen, bei Repräsentationsreisen im
Auslande gehn gewisse Kosten für Geschenke usw. auf den Etat des Auswärtigen
Amtes über; in allein übrigen bestreitet der König von Preußen den gesamten
Aufwand des deutschen Kaisers. Sollte Elsaß-Lothringen später seine „bundes¬
staatliche Gleichberechtigung" durch einen angemessenen Beitrag zur Kaiserlichen
Zivilliste erhärten wollen, so könnte der Gehalt des Statthalters auf diese über¬
gehn. Der jetzigen „Souveränitätsbewegung" in Elsaß-Lothringen liegt wesentlich
ein „Los vou Berlin" zugrunde, dessen Entstehung bis weit in die Moellerschen
Zeiten zurückreicht. Die Antwort des Reiches kann nur lauten: „Nicht los vou
Berlin, sondern enger verbunden mit Berlin, enger verbunden mit der Kaiser¬
krone."



Russische Zustände.

Trotzdem daß die russische Regierung ihr Land vom
Auslande hermetisch abzusperren bemüht ist und in ihrem Machtbereich jede ihr
unbequeme Preßäußerung unterdrückt, ist uns kein fremdes Land so bekannt und
verständlich wie Rußland, weil, wie wir bei einer frühern Gelegenheit bemerkt
haben, alle russischen und nichtrussischen Berichterstatter aller politischen Parteien
im wesentlichen übereinstimmen, und weil die soziale wie die geistige Struktur
des Volks sehr einfach sind. Die Hauptzüge des Bildes, das uns alle Schilderer
entwerfen, sind: der indolente, willensschwache Volkscharakter, die Aufopferung der
wirtschaftlichen Kraft für die Eroberungspolitik und für das Interesse der Beamten¬
schaft, und alle die Übel, die der Absolutismus in einem Hundertmillionenvolke von
solcher Beschaffenheit erzeugen muß. Die speziellen Züge, die in den letzten zehn
Jahren hervorgetreten sind, brauchen wir nicht auszuführen, da sie allwöchentlich
von den Zeitungen besprochen werden. Kein neues Buch über Rußland ändert
das Bild, das wir uns vou dem Riesenreiche gemacht haben, und das gilt auch
von dem neusten: Vor der Katastrophe. Ein Blick ins Zarenreich. Skizzen
und Interviews aus den russischen Hauptstädten von Hugo Ganz. (Frankfurt am
Main, Rütten K Loening, 1904.) Der Verfasser hat Nußland im Januar, Februar
und März dieses Jahres bereist und die Skizzen, die in diesem Buche zusammen¬
gefaßt werden, in verschiednen Zeitungen veröffentlicht. Sie sind nicht ganz sin«
i'ra, se swclio geschrieben, denn der Verfasser ist Jude, und mit der Lage und den
Schicksalen der russischen Juden beschäftigt er sich vielfach. Es braucht deswegen
nicht alles falsch zu sein, was er darüber sagt. Sehr glaublich klingt zum Beispiel,
daß die polnische Schlachta und die katholische Geistlichkeit die elende polnische Juden¬
rasse gezüchtet haben, daß die Juden, die es zu etwas bringen, einer ganz andern
Rasse anzugehören scheinen, und daß sich die Beamtenschaft mit Händen und Füßen
gegen die Aufhebung oder die Milderung der Judengesetze sträuben würde, weil die
Umgehung dieser Gesetze, die sie erlaubt, eine Haupteinnahmequelle für sie ist, wie
denn überhaupt der Druck des herrschenden Willkürregiments durch die Bestechlichkeit
der Beamten einigermaßen erträglich gemacht wird. Juden, die zahlen können,
schreibt Ganz, leben gar nicht schlecht. Das interessanteste in seinem Buche ist der
Nachweis, daß die gesamte russische Intelligenz in der Verurteilung des herrschenden
„Systems" und seiner damaligen Inkarnation, die Plehwe hieß, einig sei. Alle
seine Gewährsmänner, darunter Beamte in den höchsten Stellungen, behauptet er,
haben ihm mit wunderbarer Übereinstimmung genau dasselbe gesagt. Alle aber,
mit alleiniger Ausnahme des Fürsten Uchtomski, haben ihn verpflichtet, ihre Namen
zu verschweigen. Obwohl nach diesen Schilderungen die Intelligenz größtenteils
liberal ist und es ausnahmslos sein wird, wenn die jetzige Studentengeneration im
Mannesalter stehn wird, war doch unter den von Ganz befragten auch ein „im
Staatsdienst stehender konservativer Aristokrat," der zu des Besuchers Verwunderung
alles, was diesem die Opposition gesagt hatte, bekräftigte. „Sie wundern sich, das;
ich als konservativer Staatsdiener so spreche; aber ich hoffe, Sie werden nicht
konservativ und infam für identisch halten, und wenn Sie das nicht tun, werden


Grenzboten IV 1904 40
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[0301] Maßgebliches und Unmaßgebliches zollern" und ihre dauernde Jndiensthaltung angesehen, bei Repräsentationsreisen im Auslande gehn gewisse Kosten für Geschenke usw. auf den Etat des Auswärtigen Amtes über; in allein übrigen bestreitet der König von Preußen den gesamten Aufwand des deutschen Kaisers. Sollte Elsaß-Lothringen später seine „bundes¬ staatliche Gleichberechtigung" durch einen angemessenen Beitrag zur Kaiserlichen Zivilliste erhärten wollen, so könnte der Gehalt des Statthalters auf diese über¬ gehn. Der jetzigen „Souveränitätsbewegung" in Elsaß-Lothringen liegt wesentlich ein „Los vou Berlin" zugrunde, dessen Entstehung bis weit in die Moellerschen Zeiten zurückreicht. Die Antwort des Reiches kann nur lauten: „Nicht los vou Berlin, sondern enger verbunden mit Berlin, enger verbunden mit der Kaiser¬ krone." Russische Zustände. Trotzdem daß die russische Regierung ihr Land vom Auslande hermetisch abzusperren bemüht ist und in ihrem Machtbereich jede ihr unbequeme Preßäußerung unterdrückt, ist uns kein fremdes Land so bekannt und verständlich wie Rußland, weil, wie wir bei einer frühern Gelegenheit bemerkt haben, alle russischen und nichtrussischen Berichterstatter aller politischen Parteien im wesentlichen übereinstimmen, und weil die soziale wie die geistige Struktur des Volks sehr einfach sind. Die Hauptzüge des Bildes, das uns alle Schilderer entwerfen, sind: der indolente, willensschwache Volkscharakter, die Aufopferung der wirtschaftlichen Kraft für die Eroberungspolitik und für das Interesse der Beamten¬ schaft, und alle die Übel, die der Absolutismus in einem Hundertmillionenvolke von solcher Beschaffenheit erzeugen muß. Die speziellen Züge, die in den letzten zehn Jahren hervorgetreten sind, brauchen wir nicht auszuführen, da sie allwöchentlich von den Zeitungen besprochen werden. Kein neues Buch über Rußland ändert das Bild, das wir uns vou dem Riesenreiche gemacht haben, und das gilt auch von dem neusten: Vor der Katastrophe. Ein Blick ins Zarenreich. Skizzen und Interviews aus den russischen Hauptstädten von Hugo Ganz. (Frankfurt am Main, Rütten K Loening, 1904.) Der Verfasser hat Nußland im Januar, Februar und März dieses Jahres bereist und die Skizzen, die in diesem Buche zusammen¬ gefaßt werden, in verschiednen Zeitungen veröffentlicht. Sie sind nicht ganz sin« i'ra, se swclio geschrieben, denn der Verfasser ist Jude, und mit der Lage und den Schicksalen der russischen Juden beschäftigt er sich vielfach. Es braucht deswegen nicht alles falsch zu sein, was er darüber sagt. Sehr glaublich klingt zum Beispiel, daß die polnische Schlachta und die katholische Geistlichkeit die elende polnische Juden¬ rasse gezüchtet haben, daß die Juden, die es zu etwas bringen, einer ganz andern Rasse anzugehören scheinen, und daß sich die Beamtenschaft mit Händen und Füßen gegen die Aufhebung oder die Milderung der Judengesetze sträuben würde, weil die Umgehung dieser Gesetze, die sie erlaubt, eine Haupteinnahmequelle für sie ist, wie denn überhaupt der Druck des herrschenden Willkürregiments durch die Bestechlichkeit der Beamten einigermaßen erträglich gemacht wird. Juden, die zahlen können, schreibt Ganz, leben gar nicht schlecht. Das interessanteste in seinem Buche ist der Nachweis, daß die gesamte russische Intelligenz in der Verurteilung des herrschenden „Systems" und seiner damaligen Inkarnation, die Plehwe hieß, einig sei. Alle seine Gewährsmänner, darunter Beamte in den höchsten Stellungen, behauptet er, haben ihm mit wunderbarer Übereinstimmung genau dasselbe gesagt. Alle aber, mit alleiniger Ausnahme des Fürsten Uchtomski, haben ihn verpflichtet, ihre Namen zu verschweigen. Obwohl nach diesen Schilderungen die Intelligenz größtenteils liberal ist und es ausnahmslos sein wird, wenn die jetzige Studentengeneration im Mannesalter stehn wird, war doch unter den von Ganz befragten auch ein „im Staatsdienst stehender konservativer Aristokrat," der zu des Besuchers Verwunderung alles, was diesem die Opposition gesagt hatte, bekräftigte. „Sie wundern sich, das; ich als konservativer Staatsdiener so spreche; aber ich hoffe, Sie werden nicht konservativ und infam für identisch halten, und wenn Sie das nicht tun, werden Grenzboten IV 1904 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/301>, abgerufen am 23.07.2024.