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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die zweijährige Dienstzeit
in Deutschland, in Frankreich und in Österreich-Ungarn

l le Nation, die im Kriege das Höchste leisten will, muß dazu alle
Waffenfähigen in vollkommenster Schlagfertigkeit bereit haben.
Kulturvölker können das nicht, weil sie in friedlicher Arbeit ander,?
Zielen zustreben. Sie versuchten deshalb früher, nur einen be¬
istimmten Teil des Volks zum Kriege vorzubilden und in steter
Übung zu erhalten, aber die gewaltige Reibung zwischen dicht aneinander-
grenzenden starkbevölkerten Staaten führte zu dem Unternehmen, der ganzen
Zahl der streitbaren eine notdürftige Vorbildung für den Krieg durch die
dauernd unterhaltnen Berufskrieger zu geben und sie im Kriege von ihnen
führen zu lassen. Diese Einrichtung hat sich im heutigen Europa bewährt, und
man ist deshalb allgemein zu ihrer Ausbildung übergegangen, wo das nicht die
Natur der Landesgrenzen überflüssig machte oder andre Auskunftsmittel an die
Hand gab. Kleinere Staaten, die keine Vergrößerung erstreben, sondern sich
damit bescheiden, aus dein Lichte der Menschheitsgeschichte mehr und mehr
herauszurücken und nur im Schatten der mächtigern zu blühen, begnügen sich
mit wenig Berufssoldaten und einem sehr geringen Maß kriegerischer Schulung
ihrer Volksmasse; aber die Völker, die den Stolz haben, allein auch gegen eine
Welt von Feinden ihren Willen durchzusetzen, erwägen sorgfältig, ob sie mit
Rücksicht auf ihre Kulturarbeit durch die größere Zahl der lehrenden Berufs¬
soldaten oder durch eine längere Ausbildung der Volksmasse bessere Erfolge
erreichen könnten, da es ja klar ist, daß bei längerer Lernzeit gerade hier die
ältern Schüler die jüngern mit erziehn helfen.

Deutschland, das seit seinen letzten Kriegen vorbildlich für kriegerische Vor¬
bereitungen geworden ist, hat es gewagt, von einer dreijährigen zur zweijährigen
Dienstzeit überzugehn, Frankreich und Österreich-Ungarn schicken sich an, ihm
zu folgen; da lohnt es sich wohl, die Wirkungen abzuschätzen, die dadurch her¬
vorgebracht werden.

Abgesehen davon, daß Leute, die unentbehrliche Stützen ihrer Familie sind,
von jedem aktiven Militärdienst im Frieden befreit sind, zeigt sich in Deutsch¬
land nur in zwei Richtungen eine Ausnahme von der zweijährigen Dienstzeit.
Wer zu Pferde oder zu Schiffe dient, wird in der Regel drei Jahre ausge-


Gn'nzbolm I V 1904 17


Die zweijährige Dienstzeit
in Deutschland, in Frankreich und in Österreich-Ungarn

l le Nation, die im Kriege das Höchste leisten will, muß dazu alle
Waffenfähigen in vollkommenster Schlagfertigkeit bereit haben.
Kulturvölker können das nicht, weil sie in friedlicher Arbeit ander,?
Zielen zustreben. Sie versuchten deshalb früher, nur einen be¬
istimmten Teil des Volks zum Kriege vorzubilden und in steter
Übung zu erhalten, aber die gewaltige Reibung zwischen dicht aneinander-
grenzenden starkbevölkerten Staaten führte zu dem Unternehmen, der ganzen
Zahl der streitbaren eine notdürftige Vorbildung für den Krieg durch die
dauernd unterhaltnen Berufskrieger zu geben und sie im Kriege von ihnen
führen zu lassen. Diese Einrichtung hat sich im heutigen Europa bewährt, und
man ist deshalb allgemein zu ihrer Ausbildung übergegangen, wo das nicht die
Natur der Landesgrenzen überflüssig machte oder andre Auskunftsmittel an die
Hand gab. Kleinere Staaten, die keine Vergrößerung erstreben, sondern sich
damit bescheiden, aus dein Lichte der Menschheitsgeschichte mehr und mehr
herauszurücken und nur im Schatten der mächtigern zu blühen, begnügen sich
mit wenig Berufssoldaten und einem sehr geringen Maß kriegerischer Schulung
ihrer Volksmasse; aber die Völker, die den Stolz haben, allein auch gegen eine
Welt von Feinden ihren Willen durchzusetzen, erwägen sorgfältig, ob sie mit
Rücksicht auf ihre Kulturarbeit durch die größere Zahl der lehrenden Berufs¬
soldaten oder durch eine längere Ausbildung der Volksmasse bessere Erfolge
erreichen könnten, da es ja klar ist, daß bei längerer Lernzeit gerade hier die
ältern Schüler die jüngern mit erziehn helfen.

Deutschland, das seit seinen letzten Kriegen vorbildlich für kriegerische Vor¬
bereitungen geworden ist, hat es gewagt, von einer dreijährigen zur zweijährigen
Dienstzeit überzugehn, Frankreich und Österreich-Ungarn schicken sich an, ihm
zu folgen; da lohnt es sich wohl, die Wirkungen abzuschätzen, die dadurch her¬
vorgebracht werden.

Abgesehen davon, daß Leute, die unentbehrliche Stützen ihrer Familie sind,
von jedem aktiven Militärdienst im Frieden befreit sind, zeigt sich in Deutsch¬
land nur in zwei Richtungen eine Ausnahme von der zweijährigen Dienstzeit.
Wer zu Pferde oder zu Schiffe dient, wird in der Regel drei Jahre ausge-


Gn'nzbolm I V 1904 17
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[0127] [Abbildung] Die zweijährige Dienstzeit in Deutschland, in Frankreich und in Österreich-Ungarn l le Nation, die im Kriege das Höchste leisten will, muß dazu alle Waffenfähigen in vollkommenster Schlagfertigkeit bereit haben. Kulturvölker können das nicht, weil sie in friedlicher Arbeit ander,? Zielen zustreben. Sie versuchten deshalb früher, nur einen be¬ istimmten Teil des Volks zum Kriege vorzubilden und in steter Übung zu erhalten, aber die gewaltige Reibung zwischen dicht aneinander- grenzenden starkbevölkerten Staaten führte zu dem Unternehmen, der ganzen Zahl der streitbaren eine notdürftige Vorbildung für den Krieg durch die dauernd unterhaltnen Berufskrieger zu geben und sie im Kriege von ihnen führen zu lassen. Diese Einrichtung hat sich im heutigen Europa bewährt, und man ist deshalb allgemein zu ihrer Ausbildung übergegangen, wo das nicht die Natur der Landesgrenzen überflüssig machte oder andre Auskunftsmittel an die Hand gab. Kleinere Staaten, die keine Vergrößerung erstreben, sondern sich damit bescheiden, aus dein Lichte der Menschheitsgeschichte mehr und mehr herauszurücken und nur im Schatten der mächtigern zu blühen, begnügen sich mit wenig Berufssoldaten und einem sehr geringen Maß kriegerischer Schulung ihrer Volksmasse; aber die Völker, die den Stolz haben, allein auch gegen eine Welt von Feinden ihren Willen durchzusetzen, erwägen sorgfältig, ob sie mit Rücksicht auf ihre Kulturarbeit durch die größere Zahl der lehrenden Berufs¬ soldaten oder durch eine längere Ausbildung der Volksmasse bessere Erfolge erreichen könnten, da es ja klar ist, daß bei längerer Lernzeit gerade hier die ältern Schüler die jüngern mit erziehn helfen. Deutschland, das seit seinen letzten Kriegen vorbildlich für kriegerische Vor¬ bereitungen geworden ist, hat es gewagt, von einer dreijährigen zur zweijährigen Dienstzeit überzugehn, Frankreich und Österreich-Ungarn schicken sich an, ihm zu folgen; da lohnt es sich wohl, die Wirkungen abzuschätzen, die dadurch her¬ vorgebracht werden. Abgesehen davon, daß Leute, die unentbehrliche Stützen ihrer Familie sind, von jedem aktiven Militärdienst im Frieden befreit sind, zeigt sich in Deutsch¬ land nur in zwei Richtungen eine Ausnahme von der zweijährigen Dienstzeit. Wer zu Pferde oder zu Schiffe dient, wird in der Regel drei Jahre ausge- Gn'nzbolm I V 1904 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/127>, abgerufen am 23.07.2024.