Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Glucksinseln und Träume zum Geburtstag einmal ein Aräometer schenkten, das in einer Kanne voll Seifen¬ 3 Grübeln und Spielen gingen wie blauer und roter Farbenschimmer auf einem Glucksinseln und Träume zum Geburtstag einmal ein Aräometer schenkten, das in einer Kanne voll Seifen¬ 3 Grübeln und Spielen gingen wie blauer und roter Farbenschimmer auf einem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295328"/> <fw type="header" place="top"> Glucksinseln und Träume</fw><lb/> <p xml:id="ID_452" prev="#ID_451"> zum Geburtstag einmal ein Aräometer schenkten, das in einer Kanne voll Seifen¬<lb/> siederlauge schwamm, die der Sohn eines Seifensieders beisteuerte. So sehr hatte<lb/> uns seine Darstellung der Seifenfabrikation gefallen, die er in der griechischen<lb/> Stunde an die Frage geknüpft hatte: Womit mögen die homerischen Helden den<lb/> Staub des Kampfes gründlich abgewaschen haben? Wie aus einem dürren Stamm<lb/> an unerwarteter Stelle ein grüner Schoß entspringt, so weckten diese Schilderungen<lb/> und Besprechungen, die andern als Allotria vorkamen, in mir die Lernlust, und<lb/> ich empfing von ihnen den Anstoß zu der Richtung des Denkens und Arbeitens,<lb/> der ich mein Leben lang gefolgt bin. Plötzlich stürzte ich mich mit Leidenschaft<lb/> ans die Naturgeschichte, und da ich mich darin von diesem Lehrer eifrig gefördert<lb/> sah, tat ich ihm zuliebe auch in den andern Fächern das nötige, im deutschen Auf¬<lb/> satz sogar mehr als dieses. Als ich an einem Sonnabend Vormittag meinen Aufsatz<lb/> „Jonathan und Pcitroklus" abgeliefert hatte und am Sonntag von meinem Vater<lb/> vernahm, ein mit meinem Direktor befreundeter Geistlicher habe ihn gelesen und<lb/> mit großem Lob davon gesprochen, mag sich wohl der allererste Keim der Be¬<lb/> friedigung über einen literarischen Erfolg in mir geregt haben. Doch machte mich<lb/> diese Anerkennung gewiß nicht eitel, denn ein sicherer Instinkt ließ mich fühlen,<lb/> daß es sich in einem solchen Aufsatze doch nur um die Handhabung von Worten<lb/> handle. Ja, wenn das Thema gewesen wäre, eine blühende Wiese oder die Ver¬<lb/> wandlungen des Oleanderschwärmers zu schildern, dn hätten sich Tatsachen darstellen<lb/> lassen, das wäre etwas gewesen! Da hätten sich auch Gefühle nussprechen lassen,<lb/> die man wirklich gehabt hatte. Ich versuchte einmal, als ich von einem Aufenthalt<lb/> in dem Heimatsdorfe meines Vaters zurückgekehrt war, zu beschreibe», wie schön<lb/> es sei, ans dem Fenster auf den Apfelbaum zu steigen und aus dessen Krone das<lb/> Rauschen des Baches von drunten her zu hören oder seine Wellen im Sonnenlicht<lb/> blitzen zu sehen. Ich hatte die Kühnheit, den kleinen Versuch meinem Direktor zu<lb/> zeigen, der mit besonderm Lob die Wendung bedachte: die Äpfel waren so groß,<lb/> daß die Augen, die sie anschauten, unwillkürlich wuchsen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_453" next="#ID_454"> Grübeln und Spielen gingen wie blauer und roter Farbenschimmer auf einem<lb/> Käferflügel beständig ineinander über. Auch meine Gedanken über Religion glichen<lb/> Seifenblasen mehr als irgend etwas anderm. So vergänglich waren sie auch im<lb/> einzelnen, bleibend war nur das Dankgefühl gegen Gott den Schöpfer und die<lb/> ahnungsvolle Ehrfurcht vor Gott dem ewigen Richter. Viel tiefern Eindruck als<lb/> der heimische trockne Gottesdienst machte es, wenn man an einem sonnigen Sonntage<lb/> „hinter" die Kirche ging und im weiten Feld unter Lerchengesang hinschritt, mit<lb/> dem sich die Glockentöne ferner Dörfer mischten. Da fühlte man das Wehen eines<lb/> Geistes, von dem in unsrer kalten, grauen Kirche kein Atem war. Der Religions¬<lb/> unterricht blieb vollkommen unfruchtbar im Dogmatischen, brachte uns dagegen in<lb/> der biblischen Geschichte Kunde von großen Typen und Vorbildern menschlicher<lb/> Entwicklung zum Guten und zum Bösen. Bisher hatte ich allsonntäglich die Grau<lb/> in Grau, trüb und poesielos gezeichneten Bilder ans dem Alten Testament, die in<lb/> die Galeriebrüstung der Kirche eingesetzt waren, ohne Gedanken und Gefühl ange¬<lb/> schaut; sie sprachen so wenig verständlich zu niir wie das Knäufgeschlinge der<lb/> korinthischen Säulen, in das ich vergebens Leben oder Sinn zu bringen suchte.<lb/> Das änderte sich nunmehr, und zwar nicht bloß äußerlich. Ich hatte Gedanken,<lb/> mit denen diese Gestalten zu beleben waren. Freilich nur eben, soweit sie Menschen<lb/> waren. Gerade so erging es mir mit der Kirchengeschichte. Da gefiel mir, lange<lb/> vor Decbr, natürlich das Heldenhafte an den Arianern, wie ich denn selbst an<lb/> Christenverfolgungen und Ketzerverbrennungen nicht ohne ein geheimes Wohlgefallen<lb/> vorüberging. Aber alle diese Religionsgeschichten interessierten mich doch nur so<lb/> oder kaum'so wie Romulus und Remus. Es war zwar stark, daß ein Bruder<lb/> den andern erschlug, bloß weil er sein Mäuerlein übersprang, aber man konnte sich<lb/> immerhin hineinleben. Jeder hatte Beispiele von dem unbegründeten Zorn des</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
Glucksinseln und Träume
zum Geburtstag einmal ein Aräometer schenkten, das in einer Kanne voll Seifen¬
siederlauge schwamm, die der Sohn eines Seifensieders beisteuerte. So sehr hatte
uns seine Darstellung der Seifenfabrikation gefallen, die er in der griechischen
Stunde an die Frage geknüpft hatte: Womit mögen die homerischen Helden den
Staub des Kampfes gründlich abgewaschen haben? Wie aus einem dürren Stamm
an unerwarteter Stelle ein grüner Schoß entspringt, so weckten diese Schilderungen
und Besprechungen, die andern als Allotria vorkamen, in mir die Lernlust, und
ich empfing von ihnen den Anstoß zu der Richtung des Denkens und Arbeitens,
der ich mein Leben lang gefolgt bin. Plötzlich stürzte ich mich mit Leidenschaft
ans die Naturgeschichte, und da ich mich darin von diesem Lehrer eifrig gefördert
sah, tat ich ihm zuliebe auch in den andern Fächern das nötige, im deutschen Auf¬
satz sogar mehr als dieses. Als ich an einem Sonnabend Vormittag meinen Aufsatz
„Jonathan und Pcitroklus" abgeliefert hatte und am Sonntag von meinem Vater
vernahm, ein mit meinem Direktor befreundeter Geistlicher habe ihn gelesen und
mit großem Lob davon gesprochen, mag sich wohl der allererste Keim der Be¬
friedigung über einen literarischen Erfolg in mir geregt haben. Doch machte mich
diese Anerkennung gewiß nicht eitel, denn ein sicherer Instinkt ließ mich fühlen,
daß es sich in einem solchen Aufsatze doch nur um die Handhabung von Worten
handle. Ja, wenn das Thema gewesen wäre, eine blühende Wiese oder die Ver¬
wandlungen des Oleanderschwärmers zu schildern, dn hätten sich Tatsachen darstellen
lassen, das wäre etwas gewesen! Da hätten sich auch Gefühle nussprechen lassen,
die man wirklich gehabt hatte. Ich versuchte einmal, als ich von einem Aufenthalt
in dem Heimatsdorfe meines Vaters zurückgekehrt war, zu beschreibe», wie schön
es sei, ans dem Fenster auf den Apfelbaum zu steigen und aus dessen Krone das
Rauschen des Baches von drunten her zu hören oder seine Wellen im Sonnenlicht
blitzen zu sehen. Ich hatte die Kühnheit, den kleinen Versuch meinem Direktor zu
zeigen, der mit besonderm Lob die Wendung bedachte: die Äpfel waren so groß,
daß die Augen, die sie anschauten, unwillkürlich wuchsen.
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Grübeln und Spielen gingen wie blauer und roter Farbenschimmer auf einem
Käferflügel beständig ineinander über. Auch meine Gedanken über Religion glichen
Seifenblasen mehr als irgend etwas anderm. So vergänglich waren sie auch im
einzelnen, bleibend war nur das Dankgefühl gegen Gott den Schöpfer und die
ahnungsvolle Ehrfurcht vor Gott dem ewigen Richter. Viel tiefern Eindruck als
der heimische trockne Gottesdienst machte es, wenn man an einem sonnigen Sonntage
„hinter" die Kirche ging und im weiten Feld unter Lerchengesang hinschritt, mit
dem sich die Glockentöne ferner Dörfer mischten. Da fühlte man das Wehen eines
Geistes, von dem in unsrer kalten, grauen Kirche kein Atem war. Der Religions¬
unterricht blieb vollkommen unfruchtbar im Dogmatischen, brachte uns dagegen in
der biblischen Geschichte Kunde von großen Typen und Vorbildern menschlicher
Entwicklung zum Guten und zum Bösen. Bisher hatte ich allsonntäglich die Grau
in Grau, trüb und poesielos gezeichneten Bilder ans dem Alten Testament, die in
die Galeriebrüstung der Kirche eingesetzt waren, ohne Gedanken und Gefühl ange¬
schaut; sie sprachen so wenig verständlich zu niir wie das Knäufgeschlinge der
korinthischen Säulen, in das ich vergebens Leben oder Sinn zu bringen suchte.
Das änderte sich nunmehr, und zwar nicht bloß äußerlich. Ich hatte Gedanken,
mit denen diese Gestalten zu beleben waren. Freilich nur eben, soweit sie Menschen
waren. Gerade so erging es mir mit der Kirchengeschichte. Da gefiel mir, lange
vor Decbr, natürlich das Heldenhafte an den Arianern, wie ich denn selbst an
Christenverfolgungen und Ketzerverbrennungen nicht ohne ein geheimes Wohlgefallen
vorüberging. Aber alle diese Religionsgeschichten interessierten mich doch nur so
oder kaum'so wie Romulus und Remus. Es war zwar stark, daß ein Bruder
den andern erschlug, bloß weil er sein Mäuerlein übersprang, aber man konnte sich
immerhin hineinleben. Jeder hatte Beispiele von dem unbegründeten Zorn des
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