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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Umnaßgel'liebes

ebensowenig damit einverstanden sein, da der Nuntius zugleich der oberste Beamte
der?roMg-Älläg. nah für Deutschland wäre. Da überdem der Preußische Episkopat
schon zwei Kardinäle in seinen Reihen zählt (Breslau und Köln), so würde die
Stellung des Nuntius in Berlin, der dabei selbst Kardinal sein müßte, auch in
dieser Richtung nicht ganz leicht sein. Hierzu kommt, daß ein Nuntius nach den
Traditionen unsers Hofes völlig nusgeschlosseu ist; es hat auch noch nie einen
solchen an einem protestantischen Hofe gegeben, denn einem Vertreter des Papstes
kann dort unmöglich der Vorrang vor den Botschaftern gewährt werden. In München
scheint man sich für die Errichtung einer wirklichen Nuutiatur aus verschiednen
Gründen zu interessieren. Der in der Presse angegebne Grund, es sei dies not¬
wendig, um den häufigen Wechsel zu vermeiden, die jetzigen Vertreter der Kurie
w München seien zu kurze Zeit dort, als daß sie die Verhältnisse in Deutschland
kennen lernen könnten, trifft nicht zu. Wenigstens für das außerbayrische Deutsch¬
land nicht, für das der Fürstbischof von Breslau der langjährige und sehr erfolg¬
reiche Vermittler zwischen Rom und Berlin ist. Im August 1786 haben sich die
deutschen Erzbischöfe in den Emser Punktationen, auf dem in Ems abgehaltnen
Kongreß, für das gänzliche Aufhören der Nuntiaturen in Deutschland, allerdings
bergeblich, ausgesprochen. Der deutsche Episkopat dürfte heute kaum andrer Ansicht
sein. In dem Punkte der Nichtzulassung eines Nuntills in Berlin stimmen Katholiken
und P "Z* rotestanten auffallend überein.




Gesetzgebung und Richteramt.

Mehr als je zuvor nimmt die Öffentlichkeit,
insbesondre die Presse, für sich das Recht in Anspruch, die Urteile der Gerichte,
bor allem die Straferkenntnisse, unter die Lupe ihrer Kritik zu nehmen. Dabei
erfreuen sich gerade solche Entscheidungen besondrer Aufmerksamkeit, die angeblich
°der wirklich mit der öffentlichen Meinung nicht in Übereinstimmung zu bringen
sind, die die Volksseele zum Sieden bringen. Auch ohne das Vorhandensein einer
öffentlichen Meinung überhaupt leugnen zu wollen, wie es ein seinerzeit vielgenannter
Gerichtsvorsitzender getan hat, wird man doch behaupten dürfen, daß diese öffentliche
Meinung gewöhnlich erst kurz zuvor das Licht der Welt in den Spalten des
glattes erblickt hat, das nun ihr Dolmetscher zu sein vorgibt. Wir müssen eine
solche wenn auch nicht bewußt übelwollende, doch tatsächlich äußerst scharfe und oft
durch keine Sachkenntnis getrübte und ungerechte Beurteilung für schädlich halten.
I^e but Staatswesen gegeben, wo von oben her so sehr wie in unserm
Deutschen Reiche das Bestreben geherrscht hat, es allen, besonders der großen Menge
der Kleinen und Schwachen, recht zu machen, das demi Ideal des Rechtsstaates in
demselben Umfang nahe gekommen wäre; und selten anch ist der Staat, sind seine
Gesetze und Einrichtungen in so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der
^leichgiltigkeit. ja der Mißachtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen wie
gegenwärtig bei uus. Deu Gründen dieser betrübenden Erscheinung nachzuspüren
würde hier zu weit führen; unter den obwaltenden politischen Verhältnissen ist auch
orläufig auf keine Besserung zu rechnen. Man sollte aber doch wenigstens ver¬
meiden, das Staatsleben in einer seiner wichtigsten Äußerungen, der Rechtsprechung,
pile Not abfällig zu beurteilen, wie es leider öfters auch durch die wohlgesinnte
presse geschieht. Die Gerichte spielen dabei meist die Rolle des Sündenbocks für
^"Gesetzgeber, an den der Laie nicht denkt, weil er von der Unabhängigkeit
oentscher Richter eine zu hohe Meinung hegt. Der "gute Richter" Magneaud in
"rankreich schlägt unter dem Beifallsjubel der Presse tagtäglich dem Gesetz ein
^chmppHen; er verdrängt den Gesetzgeber von seinem Stuhl und bleibt, da ihn
nur??^ Politische Persönlichkeiten offenbar unter ihre Fittiche nehmen, tatsächlich
Nu^ r ^' Ebenso erlauben sich die französischen Geschwornen eine durch keine
auf das geschriebn Recht beengte Gefühlsjudikatur; lange schon auf die
°ustumlichkeit der Geschwornen neidisch haben schließlich die Berufsrichter einen


Maßgebliches und Umnaßgel'liebes

ebensowenig damit einverstanden sein, da der Nuntius zugleich der oberste Beamte
der?roMg-Älläg. nah für Deutschland wäre. Da überdem der Preußische Episkopat
schon zwei Kardinäle in seinen Reihen zählt (Breslau und Köln), so würde die
Stellung des Nuntius in Berlin, der dabei selbst Kardinal sein müßte, auch in
dieser Richtung nicht ganz leicht sein. Hierzu kommt, daß ein Nuntius nach den
Traditionen unsers Hofes völlig nusgeschlosseu ist; es hat auch noch nie einen
solchen an einem protestantischen Hofe gegeben, denn einem Vertreter des Papstes
kann dort unmöglich der Vorrang vor den Botschaftern gewährt werden. In München
scheint man sich für die Errichtung einer wirklichen Nuutiatur aus verschiednen
Gründen zu interessieren. Der in der Presse angegebne Grund, es sei dies not¬
wendig, um den häufigen Wechsel zu vermeiden, die jetzigen Vertreter der Kurie
w München seien zu kurze Zeit dort, als daß sie die Verhältnisse in Deutschland
kennen lernen könnten, trifft nicht zu. Wenigstens für das außerbayrische Deutsch¬
land nicht, für das der Fürstbischof von Breslau der langjährige und sehr erfolg¬
reiche Vermittler zwischen Rom und Berlin ist. Im August 1786 haben sich die
deutschen Erzbischöfe in den Emser Punktationen, auf dem in Ems abgehaltnen
Kongreß, für das gänzliche Aufhören der Nuntiaturen in Deutschland, allerdings
bergeblich, ausgesprochen. Der deutsche Episkopat dürfte heute kaum andrer Ansicht
sein. In dem Punkte der Nichtzulassung eines Nuntills in Berlin stimmen Katholiken
und P »Z* rotestanten auffallend überein.




Gesetzgebung und Richteramt.

Mehr als je zuvor nimmt die Öffentlichkeit,
insbesondre die Presse, für sich das Recht in Anspruch, die Urteile der Gerichte,
bor allem die Straferkenntnisse, unter die Lupe ihrer Kritik zu nehmen. Dabei
erfreuen sich gerade solche Entscheidungen besondrer Aufmerksamkeit, die angeblich
°der wirklich mit der öffentlichen Meinung nicht in Übereinstimmung zu bringen
sind, die die Volksseele zum Sieden bringen. Auch ohne das Vorhandensein einer
öffentlichen Meinung überhaupt leugnen zu wollen, wie es ein seinerzeit vielgenannter
Gerichtsvorsitzender getan hat, wird man doch behaupten dürfen, daß diese öffentliche
Meinung gewöhnlich erst kurz zuvor das Licht der Welt in den Spalten des
glattes erblickt hat, das nun ihr Dolmetscher zu sein vorgibt. Wir müssen eine
solche wenn auch nicht bewußt übelwollende, doch tatsächlich äußerst scharfe und oft
durch keine Sachkenntnis getrübte und ungerechte Beurteilung für schädlich halten.
I^e but Staatswesen gegeben, wo von oben her so sehr wie in unserm
Deutschen Reiche das Bestreben geherrscht hat, es allen, besonders der großen Menge
der Kleinen und Schwachen, recht zu machen, das demi Ideal des Rechtsstaates in
demselben Umfang nahe gekommen wäre; und selten anch ist der Staat, sind seine
Gesetze und Einrichtungen in so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der
^leichgiltigkeit. ja der Mißachtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen wie
gegenwärtig bei uus. Deu Gründen dieser betrübenden Erscheinung nachzuspüren
würde hier zu weit führen; unter den obwaltenden politischen Verhältnissen ist auch
orläufig auf keine Besserung zu rechnen. Man sollte aber doch wenigstens ver¬
meiden, das Staatsleben in einer seiner wichtigsten Äußerungen, der Rechtsprechung,
pile Not abfällig zu beurteilen, wie es leider öfters auch durch die wohlgesinnte
presse geschieht. Die Gerichte spielen dabei meist die Rolle des Sündenbocks für
^"Gesetzgeber, an den der Laie nicht denkt, weil er von der Unabhängigkeit
oentscher Richter eine zu hohe Meinung hegt. Der „gute Richter" Magneaud in
»rankreich schlägt unter dem Beifallsjubel der Presse tagtäglich dem Gesetz ein
^chmppHen; er verdrängt den Gesetzgeber von seinem Stuhl und bleibt, da ihn
nur??^ Politische Persönlichkeiten offenbar unter ihre Fittiche nehmen, tatsächlich
Nu^ r ^' Ebenso erlauben sich die französischen Geschwornen eine durch keine
auf das geschriebn Recht beengte Gefühlsjudikatur; lange schon auf die
°ustumlichkeit der Geschwornen neidisch haben schließlich die Berufsrichter einen


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[0061] Maßgebliches und Umnaßgel'liebes ebensowenig damit einverstanden sein, da der Nuntius zugleich der oberste Beamte der?roMg-Älläg. nah für Deutschland wäre. Da überdem der Preußische Episkopat schon zwei Kardinäle in seinen Reihen zählt (Breslau und Köln), so würde die Stellung des Nuntius in Berlin, der dabei selbst Kardinal sein müßte, auch in dieser Richtung nicht ganz leicht sein. Hierzu kommt, daß ein Nuntius nach den Traditionen unsers Hofes völlig nusgeschlosseu ist; es hat auch noch nie einen solchen an einem protestantischen Hofe gegeben, denn einem Vertreter des Papstes kann dort unmöglich der Vorrang vor den Botschaftern gewährt werden. In München scheint man sich für die Errichtung einer wirklichen Nuutiatur aus verschiednen Gründen zu interessieren. Der in der Presse angegebne Grund, es sei dies not¬ wendig, um den häufigen Wechsel zu vermeiden, die jetzigen Vertreter der Kurie w München seien zu kurze Zeit dort, als daß sie die Verhältnisse in Deutschland kennen lernen könnten, trifft nicht zu. Wenigstens für das außerbayrische Deutsch¬ land nicht, für das der Fürstbischof von Breslau der langjährige und sehr erfolg¬ reiche Vermittler zwischen Rom und Berlin ist. Im August 1786 haben sich die deutschen Erzbischöfe in den Emser Punktationen, auf dem in Ems abgehaltnen Kongreß, für das gänzliche Aufhören der Nuntiaturen in Deutschland, allerdings bergeblich, ausgesprochen. Der deutsche Episkopat dürfte heute kaum andrer Ansicht sein. In dem Punkte der Nichtzulassung eines Nuntills in Berlin stimmen Katholiken und P »Z* rotestanten auffallend überein. Gesetzgebung und Richteramt. Mehr als je zuvor nimmt die Öffentlichkeit, insbesondre die Presse, für sich das Recht in Anspruch, die Urteile der Gerichte, bor allem die Straferkenntnisse, unter die Lupe ihrer Kritik zu nehmen. Dabei erfreuen sich gerade solche Entscheidungen besondrer Aufmerksamkeit, die angeblich °der wirklich mit der öffentlichen Meinung nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, die die Volksseele zum Sieden bringen. Auch ohne das Vorhandensein einer öffentlichen Meinung überhaupt leugnen zu wollen, wie es ein seinerzeit vielgenannter Gerichtsvorsitzender getan hat, wird man doch behaupten dürfen, daß diese öffentliche Meinung gewöhnlich erst kurz zuvor das Licht der Welt in den Spalten des glattes erblickt hat, das nun ihr Dolmetscher zu sein vorgibt. Wir müssen eine solche wenn auch nicht bewußt übelwollende, doch tatsächlich äußerst scharfe und oft durch keine Sachkenntnis getrübte und ungerechte Beurteilung für schädlich halten. I^e but Staatswesen gegeben, wo von oben her so sehr wie in unserm Deutschen Reiche das Bestreben geherrscht hat, es allen, besonders der großen Menge der Kleinen und Schwachen, recht zu machen, das demi Ideal des Rechtsstaates in demselben Umfang nahe gekommen wäre; und selten anch ist der Staat, sind seine Gesetze und Einrichtungen in so hohem Maße ein Gegenstand des Mißtrauens, der ^leichgiltigkeit. ja der Mißachtung und des Hasses breiter Volksschichten gewesen wie gegenwärtig bei uus. Deu Gründen dieser betrübenden Erscheinung nachzuspüren würde hier zu weit führen; unter den obwaltenden politischen Verhältnissen ist auch orläufig auf keine Besserung zu rechnen. Man sollte aber doch wenigstens ver¬ meiden, das Staatsleben in einer seiner wichtigsten Äußerungen, der Rechtsprechung, pile Not abfällig zu beurteilen, wie es leider öfters auch durch die wohlgesinnte presse geschieht. Die Gerichte spielen dabei meist die Rolle des Sündenbocks für ^"Gesetzgeber, an den der Laie nicht denkt, weil er von der Unabhängigkeit oentscher Richter eine zu hohe Meinung hegt. Der „gute Richter" Magneaud in »rankreich schlägt unter dem Beifallsjubel der Presse tagtäglich dem Gesetz ein ^chmppHen; er verdrängt den Gesetzgeber von seinem Stuhl und bleibt, da ihn nur??^ Politische Persönlichkeiten offenbar unter ihre Fittiche nehmen, tatsächlich Nu^ r ^' Ebenso erlauben sich die französischen Geschwornen eine durch keine auf das geschriebn Recht beengte Gefühlsjudikatur; lange schon auf die °ustumlichkeit der Geschwornen neidisch haben schließlich die Berufsrichter einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/61>, abgerufen am 13.11.2024.