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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen

Jüngling auffordert, alles, was er besitze, zu verkaufen und es den Armen zu
geben, so wollte er damit nicht eine allgemeine Forderung aufstellen, wie man
in der römischen Kirche die Stelle auslegt. Dem Jüngling fehlte der rechte
innere und äußere Lebenszweck. Haben, als hätte man nicht, soweit war er
noch nicht fortgeschritten. Als die Armen, aber die doch viele reich machen;
als die nichts inne haben und doch alles haben -- dieses Triumphlied Pauli
war ihm fremd.

Ihm allein? Hat die Kirche vou heute diese innere Freiheit errungen? Wird
sie es jemals dahin bringen? Ist nicht vielleicht ihr ganzer Entwicklungsgang
ein verfehlter, ein Jrrgang? Hat Christus nicht vielleicht doch etwas ganz
andres im Auge gehabt, als was die Folgezeit hervorgebracht und entfaltet hat?

Dreydorff sagt: "Die Behauptung, daß wir in der Kirche eine Stiftung
Jesu zu achten haben, ist unhaltbar. Das Wort Kirche, im geschichtlichen
Sinne des Worts, kommt in Jesu Reden nicht ein einzigesmal vor. Dagegen
haben wir von ihm mehr als eins, das den Begriff der Kirche ausschließt
und deshalb von keiner Kirche befolgt wird. Seine Jünger sollten nicht, wie
die weltlichen Könige, herrschen, sondern dienen, und keiner sollte sich Rabbi
Meister) nennen lassen. Ist wohl anzunehmen, daß er statt des jüdischen
Rabbititels die hochtrabenden "Heiligkeit, Eminenz, Hochwürden" und der¬
gleichen mehr gebilligt haben würde? Nimmermehr. In der Kirche als einem
dem Staat nachgebildeten, mit ihm verquickten, von ihm abhängigen Orga¬
nismus mögen diese Rangstufen guten Sinn haben: in dem Reiche Gottes,
das Jesus aufrichten wollte, haben sie keinen. Aus seinem hohepriesterlichen
Gebet und andern Stellen geht hervor, daß er für die Entwicklung seines
Werkes auf ferne Zeiten hinausgeschaut hat. Aber in engherzigen Prälaten-
und Pastorenkirchen seine Stiftung zu erkennen, das wird ihm nicht leicht
gemacht. Vollends mit ansehen zu müssen, wie eine Kirche die andre be¬
drängt, befehdet, verfolgt und haßt, das würde seine ganze Entrüstung her¬
vorrufen." (Schluß folgt)




Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen
über die dortigen Aufruhre ^830

lnseln Traugott Krug, der, wie er selbst mitgeteilt hat,") sein
erstes Rektorat an der Universität Leipzig unter dem Donner
der Kanonen während der großen viertägiger Völkerschlacht
niedergelegt hatte und bald darauf, durch die allgemeine Be-
! geisterung für Deutschlands gänzliche Befreiung vom französischen
Joch in den Strudel der großen Weltbegebenheiten fortgerissen, selbst mit zu
den Waffen griff, um an einem Feldzuge gegen Frankreich teilzunehmen,>MW
5N^U
HMK



*) In Usrceujs. d. i. Krugs, "Leipziger Freuden und Leiden im Jahre 1330," Leipzig,
1831, man vergleiche auch dessen "Worte zur Beruhigung in unruhiger Zeit," erschienen im
September 1830.
Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen

Jüngling auffordert, alles, was er besitze, zu verkaufen und es den Armen zu
geben, so wollte er damit nicht eine allgemeine Forderung aufstellen, wie man
in der römischen Kirche die Stelle auslegt. Dem Jüngling fehlte der rechte
innere und äußere Lebenszweck. Haben, als hätte man nicht, soweit war er
noch nicht fortgeschritten. Als die Armen, aber die doch viele reich machen;
als die nichts inne haben und doch alles haben — dieses Triumphlied Pauli
war ihm fremd.

Ihm allein? Hat die Kirche vou heute diese innere Freiheit errungen? Wird
sie es jemals dahin bringen? Ist nicht vielleicht ihr ganzer Entwicklungsgang
ein verfehlter, ein Jrrgang? Hat Christus nicht vielleicht doch etwas ganz
andres im Auge gehabt, als was die Folgezeit hervorgebracht und entfaltet hat?

Dreydorff sagt: „Die Behauptung, daß wir in der Kirche eine Stiftung
Jesu zu achten haben, ist unhaltbar. Das Wort Kirche, im geschichtlichen
Sinne des Worts, kommt in Jesu Reden nicht ein einzigesmal vor. Dagegen
haben wir von ihm mehr als eins, das den Begriff der Kirche ausschließt
und deshalb von keiner Kirche befolgt wird. Seine Jünger sollten nicht, wie
die weltlichen Könige, herrschen, sondern dienen, und keiner sollte sich Rabbi
Meister) nennen lassen. Ist wohl anzunehmen, daß er statt des jüdischen
Rabbititels die hochtrabenden »Heiligkeit, Eminenz, Hochwürden« und der¬
gleichen mehr gebilligt haben würde? Nimmermehr. In der Kirche als einem
dem Staat nachgebildeten, mit ihm verquickten, von ihm abhängigen Orga¬
nismus mögen diese Rangstufen guten Sinn haben: in dem Reiche Gottes,
das Jesus aufrichten wollte, haben sie keinen. Aus seinem hohepriesterlichen
Gebet und andern Stellen geht hervor, daß er für die Entwicklung seines
Werkes auf ferne Zeiten hinausgeschaut hat. Aber in engherzigen Prälaten-
und Pastorenkirchen seine Stiftung zu erkennen, das wird ihm nicht leicht
gemacht. Vollends mit ansehen zu müssen, wie eine Kirche die andre be¬
drängt, befehdet, verfolgt und haßt, das würde seine ganze Entrüstung her¬
vorrufen." (Schluß folgt)




Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen
über die dortigen Aufruhre ^830

lnseln Traugott Krug, der, wie er selbst mitgeteilt hat,") sein
erstes Rektorat an der Universität Leipzig unter dem Donner
der Kanonen während der großen viertägiger Völkerschlacht
niedergelegt hatte und bald darauf, durch die allgemeine Be-
! geisterung für Deutschlands gänzliche Befreiung vom französischen
Joch in den Strudel der großen Weltbegebenheiten fortgerissen, selbst mit zu
den Waffen griff, um an einem Feldzuge gegen Frankreich teilzunehmen,>MW
5N^U
HMK



*) In Usrceujs. d. i. Krugs, „Leipziger Freuden und Leiden im Jahre 1330," Leipzig,
1831, man vergleiche auch dessen „Worte zur Beruhigung in unruhiger Zeit," erschienen im
September 1830.
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[0270] Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen Jüngling auffordert, alles, was er besitze, zu verkaufen und es den Armen zu geben, so wollte er damit nicht eine allgemeine Forderung aufstellen, wie man in der römischen Kirche die Stelle auslegt. Dem Jüngling fehlte der rechte innere und äußere Lebenszweck. Haben, als hätte man nicht, soweit war er noch nicht fortgeschritten. Als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts inne haben und doch alles haben — dieses Triumphlied Pauli war ihm fremd. Ihm allein? Hat die Kirche vou heute diese innere Freiheit errungen? Wird sie es jemals dahin bringen? Ist nicht vielleicht ihr ganzer Entwicklungsgang ein verfehlter, ein Jrrgang? Hat Christus nicht vielleicht doch etwas ganz andres im Auge gehabt, als was die Folgezeit hervorgebracht und entfaltet hat? Dreydorff sagt: „Die Behauptung, daß wir in der Kirche eine Stiftung Jesu zu achten haben, ist unhaltbar. Das Wort Kirche, im geschichtlichen Sinne des Worts, kommt in Jesu Reden nicht ein einzigesmal vor. Dagegen haben wir von ihm mehr als eins, das den Begriff der Kirche ausschließt und deshalb von keiner Kirche befolgt wird. Seine Jünger sollten nicht, wie die weltlichen Könige, herrschen, sondern dienen, und keiner sollte sich Rabbi Meister) nennen lassen. Ist wohl anzunehmen, daß er statt des jüdischen Rabbititels die hochtrabenden »Heiligkeit, Eminenz, Hochwürden« und der¬ gleichen mehr gebilligt haben würde? Nimmermehr. In der Kirche als einem dem Staat nachgebildeten, mit ihm verquickten, von ihm abhängigen Orga¬ nismus mögen diese Rangstufen guten Sinn haben: in dem Reiche Gottes, das Jesus aufrichten wollte, haben sie keinen. Aus seinem hohepriesterlichen Gebet und andern Stellen geht hervor, daß er für die Entwicklung seines Werkes auf ferne Zeiten hinausgeschaut hat. Aber in engherzigen Prälaten- und Pastorenkirchen seine Stiftung zu erkennen, das wird ihm nicht leicht gemacht. Vollends mit ansehen zu müssen, wie eine Kirche die andre be¬ drängt, befehdet, verfolgt und haßt, das würde seine ganze Entrüstung her¬ vorrufen." (Schluß folgt) Der Universitätsrektor zu Leipzig in Privatbriefen über die dortigen Aufruhre ^830 lnseln Traugott Krug, der, wie er selbst mitgeteilt hat,") sein erstes Rektorat an der Universität Leipzig unter dem Donner der Kanonen während der großen viertägiger Völkerschlacht niedergelegt hatte und bald darauf, durch die allgemeine Be- ! geisterung für Deutschlands gänzliche Befreiung vom französischen Joch in den Strudel der großen Weltbegebenheiten fortgerissen, selbst mit zu den Waffen griff, um an einem Feldzuge gegen Frankreich teilzunehmen,>MW 5N^U HMK *) In Usrceujs. d. i. Krugs, „Leipziger Freuden und Leiden im Jahre 1330," Leipzig, 1831, man vergleiche auch dessen „Worte zur Beruhigung in unruhiger Zeit," erschienen im September 1830.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/270>, abgerufen am 13.11.2024.