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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Afrika, in Ostasien und in der Südsee die unmittelbaren Nachbarn von England,
Frankreich, Portugal, Nordamerika, China und Japan, und alles was da draußen
geschieht, wirkt auf uns günstig oder ungünstig ein. Die alte Ansicht, weltpolitische
Fragen würden zuletzt immer in Europa entschieden, ist nicht mehr haltbar; im
Gegenteil, europäische Gegensätze können heute auch außerhalb Europas zum Austrag
gebracht werden. Zugleich werden wir von allen Seiten mißtrauisch und argwöhnisch
beobachtet. Unsre Einzelstaaten aber verbieten sich bundesfreundlich gegenseitig ihre
Staatslotterien, suchen die angebliche Selbständigkeit ihrer Eisenbahnen um jeden
Preis zu wahren und können sich nicht einmal über die gleichmäßige Zulassung der
Realgymnasialabiturienten zum juristischen Studium einigen; daneben brennt der
konfessionelle Hader wieder auf. Und in einem solchen Volke, das noch so wenig
innern Zusammenhalt hat, das aus seiner Geschichte so gar nichts gelernt hat und sich
in seiner Masse so unfähig zeigt, eine große Politik auch mir zu begreifen, geschweige
denn zu führen, wird die Neichsregierung fortwährend mit Vorwürfen überschüttet
,
^ weil sie keine zugreifende und ausgreifende überseeische Politik treibe!


Servet und Calvin.

Die durch Denifles Buch hervorgernfne Polemik hat
rasch eine heilsame Frucht gezeitigt. In der Kölnischen Volkszeitung haben wir
dieser Tage gelesen: es sei ein Irrtum vieler Katholiken, daß sie den Protestan¬
tismus ernstlich zu schädigen glaubten, wenn sie die Reformatoren möglichst schwarz
malten; der Protestantismus stehe und falle keineswegs mit der Verehrung, die
deren Personen bis jetzt genossen hatten. Daß die protestantische Welt nicht gern
auf unbedingte Verehrung verzichtet, ist ja begreiflich, aber vor dem durch die
heutige Geschichtsforschung verbreiteten Lichte gibt es kein Entrinnen, weder für
die eine noch für die andre Partei. Das haben sich die Reformierten der Schweiz
und Frankreichs gesagt und dem Michael Servet am Orte seines Martyriums ein
Sühnedeukmal gesetzt, das für Calvin jedoch nicht eine Schande, sondern eine
Ehrenrettung ist. Sie haben darauf geschrieben: 27. Ootobrs 1553 mouint
sur Is bÜLiisr 5 vlmmxsl nimst Servet as Villsneuvo ä'^raxon, ne 1s 29. Lex-
temdrs 1511. Fils respectueux et reoonllg.isss.ues alö Oalviu, llvtrs Al'lock r^tor-
roatsur, eng.is eouä^Milane uns virsur <mi tut ostio cle son sisole, et termsment
g-ttÄLLss d. ig, libsrte as oonsoisllos hölen Iss vrais xriueixss as la. rÄormation et
Ah I',EvMKiIö, nous g,vovs elovs es mounmont sxxis.tolle lo 27. Oetoors 1963.
Die deutschen Protestanten haben sich zu diesem Grade von Unbefangenheit nicht
aufgeschwungen und sich nicht durch Beiträge an der Errichtung beteiligt. Das
bedauert der Oberlehrer Theodor Schneider in Wiesbaden, der bei der dortigen
Gedächtnisfeier, der einzigen auf deutschem Boden abgehaltnen, das Leben Servets
erzählt und seinen Vortrag herausgegeben hat. (Michael Servet. Ein Vortrag,
gehalten am 28. Oktober 1903 zum 350 jährigen Gedächtnis seiner Verbrennung.
Wiesbaden. Moritz und Münzel, 1904. Preis 70 Pf.) Schneider hat Recht mit
seiner Ansicht, daß man es gerade dem Andenken der Reformatoren schuldig sei,
ihre Verirrungen offen anzuerkennen, und daß Calvin hente so denken würde, wie
wir alle denken. Wenn wir Heutigen -- mit dem "wir" sind neun Zehntel aller
Deutschen ohne Unterschied der Konfession gemeint -- bloß nach unserm Geschmack
urteilen dürften, so würden wir Calvin und seine Freunde, wie sie in dieser nach
unanfechtbaren Urkunden entworfnen Skizze erscheinen, für abscheuliche Menschen
erklären, und würden den Servet, der, wenn er die Macht gehabt hätte, seine
Gegner ebenfalls verbrannt haben würde, nicht besser finden als diese. Rücksichts¬
los grausam find alle diese Männer gewesen und dabei arge Jesuiten, was man
heute unter diesem Worte versteht. Aber sie sind auch alle Heroen gewesen: jeder
bereit, sich für seine Überzeugung lebendig verbrennen zu lassen, und sie waren
gerade so beschaffen, wie sie Gott als Werkzeuge für die große Umwälzung brauchte.
Schriften wie die vorliegende, die einen weiten Leserkreis mit kleinen aber echten
Proben der Denkungsart und des Lebeus im Reformationszeitalter bekannt machen,
räumen unhaltbar gewordne Vorurteile hinweg und sind darum äußerst nützlich. --


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Afrika, in Ostasien und in der Südsee die unmittelbaren Nachbarn von England,
Frankreich, Portugal, Nordamerika, China und Japan, und alles was da draußen
geschieht, wirkt auf uns günstig oder ungünstig ein. Die alte Ansicht, weltpolitische
Fragen würden zuletzt immer in Europa entschieden, ist nicht mehr haltbar; im
Gegenteil, europäische Gegensätze können heute auch außerhalb Europas zum Austrag
gebracht werden. Zugleich werden wir von allen Seiten mißtrauisch und argwöhnisch
beobachtet. Unsre Einzelstaaten aber verbieten sich bundesfreundlich gegenseitig ihre
Staatslotterien, suchen die angebliche Selbständigkeit ihrer Eisenbahnen um jeden
Preis zu wahren und können sich nicht einmal über die gleichmäßige Zulassung der
Realgymnasialabiturienten zum juristischen Studium einigen; daneben brennt der
konfessionelle Hader wieder auf. Und in einem solchen Volke, das noch so wenig
innern Zusammenhalt hat, das aus seiner Geschichte so gar nichts gelernt hat und sich
in seiner Masse so unfähig zeigt, eine große Politik auch mir zu begreifen, geschweige
denn zu führen, wird die Neichsregierung fortwährend mit Vorwürfen überschüttet
,
^ weil sie keine zugreifende und ausgreifende überseeische Politik treibe!


Servet und Calvin.

Die durch Denifles Buch hervorgernfne Polemik hat
rasch eine heilsame Frucht gezeitigt. In der Kölnischen Volkszeitung haben wir
dieser Tage gelesen: es sei ein Irrtum vieler Katholiken, daß sie den Protestan¬
tismus ernstlich zu schädigen glaubten, wenn sie die Reformatoren möglichst schwarz
malten; der Protestantismus stehe und falle keineswegs mit der Verehrung, die
deren Personen bis jetzt genossen hatten. Daß die protestantische Welt nicht gern
auf unbedingte Verehrung verzichtet, ist ja begreiflich, aber vor dem durch die
heutige Geschichtsforschung verbreiteten Lichte gibt es kein Entrinnen, weder für
die eine noch für die andre Partei. Das haben sich die Reformierten der Schweiz
und Frankreichs gesagt und dem Michael Servet am Orte seines Martyriums ein
Sühnedeukmal gesetzt, das für Calvin jedoch nicht eine Schande, sondern eine
Ehrenrettung ist. Sie haben darauf geschrieben: 27. Ootobrs 1553 mouint
sur Is bÜLiisr 5 vlmmxsl nimst Servet as Villsneuvo ä'^raxon, ne 1s 29. Lex-
temdrs 1511. Fils respectueux et reoonllg.isss.ues alö Oalviu, llvtrs Al'lock r^tor-
roatsur, eng.is eouä^Milane uns virsur <mi tut ostio cle son sisole, et termsment
g-ttÄLLss d. ig, libsrte as oonsoisllos hölen Iss vrais xriueixss as la. rÄormation et
Ah I',EvMKiIö, nous g,vovs elovs es mounmont sxxis.tolle lo 27. Oetoors 1963.
Die deutschen Protestanten haben sich zu diesem Grade von Unbefangenheit nicht
aufgeschwungen und sich nicht durch Beiträge an der Errichtung beteiligt. Das
bedauert der Oberlehrer Theodor Schneider in Wiesbaden, der bei der dortigen
Gedächtnisfeier, der einzigen auf deutschem Boden abgehaltnen, das Leben Servets
erzählt und seinen Vortrag herausgegeben hat. (Michael Servet. Ein Vortrag,
gehalten am 28. Oktober 1903 zum 350 jährigen Gedächtnis seiner Verbrennung.
Wiesbaden. Moritz und Münzel, 1904. Preis 70 Pf.) Schneider hat Recht mit
seiner Ansicht, daß man es gerade dem Andenken der Reformatoren schuldig sei,
ihre Verirrungen offen anzuerkennen, und daß Calvin hente so denken würde, wie
wir alle denken. Wenn wir Heutigen — mit dem „wir" sind neun Zehntel aller
Deutschen ohne Unterschied der Konfession gemeint — bloß nach unserm Geschmack
urteilen dürften, so würden wir Calvin und seine Freunde, wie sie in dieser nach
unanfechtbaren Urkunden entworfnen Skizze erscheinen, für abscheuliche Menschen
erklären, und würden den Servet, der, wenn er die Macht gehabt hätte, seine
Gegner ebenfalls verbrannt haben würde, nicht besser finden als diese. Rücksichts¬
los grausam find alle diese Männer gewesen und dabei arge Jesuiten, was man
heute unter diesem Worte versteht. Aber sie sind auch alle Heroen gewesen: jeder
bereit, sich für seine Überzeugung lebendig verbrennen zu lassen, und sie waren
gerade so beschaffen, wie sie Gott als Werkzeuge für die große Umwälzung brauchte.
Schriften wie die vorliegende, die einen weiten Leserkreis mit kleinen aber echten
Proben der Denkungsart und des Lebeus im Reformationszeitalter bekannt machen,
räumen unhaltbar gewordne Vorurteile hinweg und sind darum äußerst nützlich. —


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[0187] Maßgebliches und Unmaßgebliches Afrika, in Ostasien und in der Südsee die unmittelbaren Nachbarn von England, Frankreich, Portugal, Nordamerika, China und Japan, und alles was da draußen geschieht, wirkt auf uns günstig oder ungünstig ein. Die alte Ansicht, weltpolitische Fragen würden zuletzt immer in Europa entschieden, ist nicht mehr haltbar; im Gegenteil, europäische Gegensätze können heute auch außerhalb Europas zum Austrag gebracht werden. Zugleich werden wir von allen Seiten mißtrauisch und argwöhnisch beobachtet. Unsre Einzelstaaten aber verbieten sich bundesfreundlich gegenseitig ihre Staatslotterien, suchen die angebliche Selbständigkeit ihrer Eisenbahnen um jeden Preis zu wahren und können sich nicht einmal über die gleichmäßige Zulassung der Realgymnasialabiturienten zum juristischen Studium einigen; daneben brennt der konfessionelle Hader wieder auf. Und in einem solchen Volke, das noch so wenig innern Zusammenhalt hat, das aus seiner Geschichte so gar nichts gelernt hat und sich in seiner Masse so unfähig zeigt, eine große Politik auch mir zu begreifen, geschweige denn zu führen, wird die Neichsregierung fortwährend mit Vorwürfen überschüttet , ^ weil sie keine zugreifende und ausgreifende überseeische Politik treibe! Servet und Calvin. Die durch Denifles Buch hervorgernfne Polemik hat rasch eine heilsame Frucht gezeitigt. In der Kölnischen Volkszeitung haben wir dieser Tage gelesen: es sei ein Irrtum vieler Katholiken, daß sie den Protestan¬ tismus ernstlich zu schädigen glaubten, wenn sie die Reformatoren möglichst schwarz malten; der Protestantismus stehe und falle keineswegs mit der Verehrung, die deren Personen bis jetzt genossen hatten. Daß die protestantische Welt nicht gern auf unbedingte Verehrung verzichtet, ist ja begreiflich, aber vor dem durch die heutige Geschichtsforschung verbreiteten Lichte gibt es kein Entrinnen, weder für die eine noch für die andre Partei. Das haben sich die Reformierten der Schweiz und Frankreichs gesagt und dem Michael Servet am Orte seines Martyriums ein Sühnedeukmal gesetzt, das für Calvin jedoch nicht eine Schande, sondern eine Ehrenrettung ist. Sie haben darauf geschrieben: 27. Ootobrs 1553 mouint sur Is bÜLiisr 5 vlmmxsl nimst Servet as Villsneuvo ä'^raxon, ne 1s 29. Lex- temdrs 1511. Fils respectueux et reoonllg.isss.ues alö Oalviu, llvtrs Al'lock r^tor- roatsur, eng.is eouä^Milane uns virsur <mi tut ostio cle son sisole, et termsment g-ttÄLLss d. ig, libsrte as oonsoisllos hölen Iss vrais xriueixss as la. rÄormation et Ah I',EvMKiIö, nous g,vovs elovs es mounmont sxxis.tolle lo 27. Oetoors 1963. Die deutschen Protestanten haben sich zu diesem Grade von Unbefangenheit nicht aufgeschwungen und sich nicht durch Beiträge an der Errichtung beteiligt. Das bedauert der Oberlehrer Theodor Schneider in Wiesbaden, der bei der dortigen Gedächtnisfeier, der einzigen auf deutschem Boden abgehaltnen, das Leben Servets erzählt und seinen Vortrag herausgegeben hat. (Michael Servet. Ein Vortrag, gehalten am 28. Oktober 1903 zum 350 jährigen Gedächtnis seiner Verbrennung. Wiesbaden. Moritz und Münzel, 1904. Preis 70 Pf.) Schneider hat Recht mit seiner Ansicht, daß man es gerade dem Andenken der Reformatoren schuldig sei, ihre Verirrungen offen anzuerkennen, und daß Calvin hente so denken würde, wie wir alle denken. Wenn wir Heutigen — mit dem „wir" sind neun Zehntel aller Deutschen ohne Unterschied der Konfession gemeint — bloß nach unserm Geschmack urteilen dürften, so würden wir Calvin und seine Freunde, wie sie in dieser nach unanfechtbaren Urkunden entworfnen Skizze erscheinen, für abscheuliche Menschen erklären, und würden den Servet, der, wenn er die Macht gehabt hätte, seine Gegner ebenfalls verbrannt haben würde, nicht besser finden als diese. Rücksichts¬ los grausam find alle diese Männer gewesen und dabei arge Jesuiten, was man heute unter diesem Worte versteht. Aber sie sind auch alle Heroen gewesen: jeder bereit, sich für seine Überzeugung lebendig verbrennen zu lassen, und sie waren gerade so beschaffen, wie sie Gott als Werkzeuge für die große Umwälzung brauchte. Schriften wie die vorliegende, die einen weiten Leserkreis mit kleinen aber echten Proben der Denkungsart und des Lebeus im Reformationszeitalter bekannt machen, räumen unhaltbar gewordne Vorurteile hinweg und sind darum äußerst nützlich. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/187>, abgerufen am 13.11.2024.