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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Biologische Lchik und Politik

in 1. Januar 1900 haben die Professoren Haeckel in Jena,
Conrad in Halle und Fraas in Stuttgart bekannt gemacht, daß
ihnen 30000 Mark zur Verfügung gestellt worden seien, die für
die besten Bearbeitungen der folgenden Preisfrage gezahlt werden
sollten: "Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenz-"
theorie in Beziehung auf die innerpolitische Entwicklung und die Gesetzgebung
der Staaten?" Von den sechzig eingegangnen Arbeiten sind acht prämiiert
worden (die gestiftete Summe war mit Rücksicht auf die große Zahl der Be¬
werber erhöht wordeu). Den ersten Preis hat der Münchner Arzt or. Schall¬
mayer erhalten. Der Verfasser der unten genannten Philosophie der An¬
passung ist einer der mit dem zweiten Preise belohnten, und die im 28. Heft
besprochne Politische Anthropologie von or, Woltmann gehört zu den an
dritter Stelle prämiierten Schriften. Der zuletzt genannte hat sein Werk
selbst herausgegeben. Die übrigen sieben und drei der nicht prämiierten
Schriften werden als ein Sammelwerk veröffentlicht, dessen Redaktion Professor
Ziegler übernommen hat/')

Matzat entwickelt zuerst eine Ethik, aus dieser dann das Recht und den
Staat. Seine Ethik und Rechtslehre sind gut idealistisch, und seine Politik ist
idealistisch und praktisch zugleich. Er weist alle sozialistischen und anarchistischen
Phantastereien ab, stellt mit gesundem historischem Sinn in einen, kurzen Über¬
blick die Entwicklung der Staaten dar, zeigt, daß das, was wir heute Staat
nennen, keineswegs uralt, souderu ein ziemlich junges Gewächs ist, entwickelt
verständige Ansichten über das Verfassungsleben, hebt als wichtigste Funktion
des Staates den Schutz seiner Angehörigen hervor, verspottet Virchows Ab¬
rüstungsantrag, wie sichs gebührt, und spricht sehr vernünftig über den Vvlks-
willen, den er einen ganz phantastischen Begriff nennt. Weniger erbaut
werden manche Staaterhnltcnde sein von seiner Beurteilung des Erbrechts.



Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre, Eine
Sammlung von Preisschriften, herausgegeben von Professor 111', H. E. Ziegler in Ver¬
bindung mit Professor or. Conrad und Professor 1),', Haeckel. Erster Teil, enthaltend: Ein¬
leitung von Professor Dr. Ziegler; 2. Philosophie der Anpassung mit besondrer
Berücksichtigung des Rechtes und des Staates von Heinrich Matzat, Direktor der Landwirt¬
schaftsschule in Wcilburg an der Lahn. Jena, Gustav Fischer, 1903. -- Sittlichkeit und
Darwinismus. Drei Bücher Ethik von B. Carreri. Zweite, überarbeitete Auflage. Wien
und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1903. -- Aus zuverlässiger Quelle erfahren wir, daß sich
Professor Haeckel an der Begutachtung der Preisschriften nur wenig beteiligt hat und mit den
Entscheidungen der Mehrheit der Preisrichter nicht einverstanden ist, darum die Verantwortung
für diese ablehnt. Aus derselben Quelle erfahren wir, daß der Spender des Geldes Krupp ge¬
wesen ist.


Biologische Lchik und Politik

in 1. Januar 1900 haben die Professoren Haeckel in Jena,
Conrad in Halle und Fraas in Stuttgart bekannt gemacht, daß
ihnen 30000 Mark zur Verfügung gestellt worden seien, die für
die besten Bearbeitungen der folgenden Preisfrage gezahlt werden
sollten: „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenz-"
theorie in Beziehung auf die innerpolitische Entwicklung und die Gesetzgebung
der Staaten?" Von den sechzig eingegangnen Arbeiten sind acht prämiiert
worden (die gestiftete Summe war mit Rücksicht auf die große Zahl der Be¬
werber erhöht wordeu). Den ersten Preis hat der Münchner Arzt or. Schall¬
mayer erhalten. Der Verfasser der unten genannten Philosophie der An¬
passung ist einer der mit dem zweiten Preise belohnten, und die im 28. Heft
besprochne Politische Anthropologie von or, Woltmann gehört zu den an
dritter Stelle prämiierten Schriften. Der zuletzt genannte hat sein Werk
selbst herausgegeben. Die übrigen sieben und drei der nicht prämiierten
Schriften werden als ein Sammelwerk veröffentlicht, dessen Redaktion Professor
Ziegler übernommen hat/')

Matzat entwickelt zuerst eine Ethik, aus dieser dann das Recht und den
Staat. Seine Ethik und Rechtslehre sind gut idealistisch, und seine Politik ist
idealistisch und praktisch zugleich. Er weist alle sozialistischen und anarchistischen
Phantastereien ab, stellt mit gesundem historischem Sinn in einen, kurzen Über¬
blick die Entwicklung der Staaten dar, zeigt, daß das, was wir heute Staat
nennen, keineswegs uralt, souderu ein ziemlich junges Gewächs ist, entwickelt
verständige Ansichten über das Verfassungsleben, hebt als wichtigste Funktion
des Staates den Schutz seiner Angehörigen hervor, verspottet Virchows Ab¬
rüstungsantrag, wie sichs gebührt, und spricht sehr vernünftig über den Vvlks-
willen, den er einen ganz phantastischen Begriff nennt. Weniger erbaut
werden manche Staaterhnltcnde sein von seiner Beurteilung des Erbrechts.



Natur und Staat, Beiträge zur naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre, Eine
Sammlung von Preisschriften, herausgegeben von Professor 111', H. E. Ziegler in Ver¬
bindung mit Professor or. Conrad und Professor 1),', Haeckel. Erster Teil, enthaltend: Ein¬
leitung von Professor Dr. Ziegler; 2. Philosophie der Anpassung mit besondrer
Berücksichtigung des Rechtes und des Staates von Heinrich Matzat, Direktor der Landwirt¬
schaftsschule in Wcilburg an der Lahn. Jena, Gustav Fischer, 1903. — Sittlichkeit und
Darwinismus. Drei Bücher Ethik von B. Carreri. Zweite, überarbeitete Auflage. Wien
und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1903. — Aus zuverlässiger Quelle erfahren wir, daß sich
Professor Haeckel an der Begutachtung der Preisschriften nur wenig beteiligt hat und mit den
Entscheidungen der Mehrheit der Preisrichter nicht einverstanden ist, darum die Verantwortung
für diese ablehnt. Aus derselben Quelle erfahren wir, daß der Spender des Geldes Krupp ge¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/838>, abgerufen am 22.07.2024.