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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung
Gelo Hagen von(Schluß)
0

er Entwurf des Versicherungsgesetzes selbst, um endlich
eins seine Bestimmungen des nähern einzugehn, beschränkt die
zwingende Kraft seiner Vorschriften auf das Unumgängliche und
für beide Teile Nützliche. In einem der oben angeführten
Grenzbotenaufsätze ist gefordert worden, daß bei Abschluß der
Versicherungen die Vertragsfreiheit gänzlich oder doch im weitesten Umfange
beseitigt werde, daß Versicherungsverträge nur nach Maßgabe des Gesetzes ge¬
schlossen werden dürften, und daß nur das Gesetz selbst die ans dem Vertrage
erwachsenden Rechte und Pflichten regeln müsse. Dies schießt aber offenbar
übers Ziel hinaus und wird von dem EntWurfe mit Recht abgelehnt: "Die
Versicherung hat in stetigem Fortschritt ihre Technik vervollkommnet, ihre
Formen vermehrt und ausgebildet, ihr Anwendungsgebiet erweitert; sie hat
damit eine besondre Bedeutung für das gesamte Wirtschaftsleben gewonnen,
und diese Entwicklung ist noch gegenwärtig in vollem Flusse. Die
Gesetzgebung muß jede Maßnahme vermeiden, die hier hemmend und störend
eingreifen könnte; der Versuch, auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses
zwischen dem Versicherten und dem Verhinderer dnrch eine Häufung zwingender
Vorschriften einzuwirken, würde aber diese Gefahr mit sich bringen." Dem
muß zugestimmt werden. Es wäre aussichtslos und verderblich, schon heute
im Gesetze die verschiednen Formen der Versicherung festlegen zu wollen, die
von Tag zu Tag neu auftauche:,, Anklang finden oder verschwinden. Auch
die geläufigem und schon jetzt festgewurzelten Arten der Versicherung (die Ver¬
sicherung der Wohnungseinrichtung gegen Feuer oder Einbrnchdiebstahl, die
gewöhnliche Lebensversicherung, die Unfallversicherung in ihren verschiednen
Zweigen und dergleichen) werden sich schwer in einen ein für allemal verbind¬
lichen Rahmen fassen lassen. Das liegt auch gar nicht in dem Vorteil der
Versicherten; solange man die Versicherungen nicht gänzlich verstaatlicht, wird
weder dem Verhinderer noch dem Versicherten die Möglichkeit verschränkt werden
dürfen, den Gegenstand der Versicherung, das zu versichernde Interesse im
technischen Sinne, nach seinem eignen Vorteil und Willen festzusetzen und uicht
noch dem gesetzlich anerkannten Durchschnitt. Gefahr und Prämie hängen un¬
trennbar zusammen, die Höhe der Prämien bestimmt sich nach dem Umfange
der Gefahr -- wie oft wird es gerade in dem Vorteile des Versicherten liegen,
sich gegen eine Gefahr in geringerm Umfang als gemeinhin zu versichern, um
dafür auch die höhere Prämie zu sparen!




Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung
Gelo Hagen von(Schluß)
0

er Entwurf des Versicherungsgesetzes selbst, um endlich
eins seine Bestimmungen des nähern einzugehn, beschränkt die
zwingende Kraft seiner Vorschriften auf das Unumgängliche und
für beide Teile Nützliche. In einem der oben angeführten
Grenzbotenaufsätze ist gefordert worden, daß bei Abschluß der
Versicherungen die Vertragsfreiheit gänzlich oder doch im weitesten Umfange
beseitigt werde, daß Versicherungsverträge nur nach Maßgabe des Gesetzes ge¬
schlossen werden dürften, und daß nur das Gesetz selbst die ans dem Vertrage
erwachsenden Rechte und Pflichten regeln müsse. Dies schießt aber offenbar
übers Ziel hinaus und wird von dem EntWurfe mit Recht abgelehnt: „Die
Versicherung hat in stetigem Fortschritt ihre Technik vervollkommnet, ihre
Formen vermehrt und ausgebildet, ihr Anwendungsgebiet erweitert; sie hat
damit eine besondre Bedeutung für das gesamte Wirtschaftsleben gewonnen,
und diese Entwicklung ist noch gegenwärtig in vollem Flusse. Die
Gesetzgebung muß jede Maßnahme vermeiden, die hier hemmend und störend
eingreifen könnte; der Versuch, auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses
zwischen dem Versicherten und dem Verhinderer dnrch eine Häufung zwingender
Vorschriften einzuwirken, würde aber diese Gefahr mit sich bringen." Dem
muß zugestimmt werden. Es wäre aussichtslos und verderblich, schon heute
im Gesetze die verschiednen Formen der Versicherung festlegen zu wollen, die
von Tag zu Tag neu auftauche:,, Anklang finden oder verschwinden. Auch
die geläufigem und schon jetzt festgewurzelten Arten der Versicherung (die Ver¬
sicherung der Wohnungseinrichtung gegen Feuer oder Einbrnchdiebstahl, die
gewöhnliche Lebensversicherung, die Unfallversicherung in ihren verschiednen
Zweigen und dergleichen) werden sich schwer in einen ein für allemal verbind¬
lichen Rahmen fassen lassen. Das liegt auch gar nicht in dem Vorteil der
Versicherten; solange man die Versicherungen nicht gänzlich verstaatlicht, wird
weder dem Verhinderer noch dem Versicherten die Möglichkeit verschränkt werden
dürfen, den Gegenstand der Versicherung, das zu versichernde Interesse im
technischen Sinne, nach seinem eignen Vorteil und Willen festzusetzen und uicht
noch dem gesetzlich anerkannten Durchschnitt. Gefahr und Prämie hängen un¬
trennbar zusammen, die Höhe der Prämien bestimmt sich nach dem Umfange
der Gefahr — wie oft wird es gerade in dem Vorteile des Versicherten liegen,
sich gegen eine Gefahr in geringerm Umfang als gemeinhin zu versichern, um
dafür auch die höhere Prämie zu sparen!


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[0733] [Abbildung] Versicherungsschutz und Schutz gegen Versicherung Gelo Hagen von(Schluß) 0 er Entwurf des Versicherungsgesetzes selbst, um endlich eins seine Bestimmungen des nähern einzugehn, beschränkt die zwingende Kraft seiner Vorschriften auf das Unumgängliche und für beide Teile Nützliche. In einem der oben angeführten Grenzbotenaufsätze ist gefordert worden, daß bei Abschluß der Versicherungen die Vertragsfreiheit gänzlich oder doch im weitesten Umfange beseitigt werde, daß Versicherungsverträge nur nach Maßgabe des Gesetzes ge¬ schlossen werden dürften, und daß nur das Gesetz selbst die ans dem Vertrage erwachsenden Rechte und Pflichten regeln müsse. Dies schießt aber offenbar übers Ziel hinaus und wird von dem EntWurfe mit Recht abgelehnt: „Die Versicherung hat in stetigem Fortschritt ihre Technik vervollkommnet, ihre Formen vermehrt und ausgebildet, ihr Anwendungsgebiet erweitert; sie hat damit eine besondre Bedeutung für das gesamte Wirtschaftsleben gewonnen, und diese Entwicklung ist noch gegenwärtig in vollem Flusse. Die Gesetzgebung muß jede Maßnahme vermeiden, die hier hemmend und störend eingreifen könnte; der Versuch, auf die Gestaltung des Rechtsverhältnisses zwischen dem Versicherten und dem Verhinderer dnrch eine Häufung zwingender Vorschriften einzuwirken, würde aber diese Gefahr mit sich bringen." Dem muß zugestimmt werden. Es wäre aussichtslos und verderblich, schon heute im Gesetze die verschiednen Formen der Versicherung festlegen zu wollen, die von Tag zu Tag neu auftauche:,, Anklang finden oder verschwinden. Auch die geläufigem und schon jetzt festgewurzelten Arten der Versicherung (die Ver¬ sicherung der Wohnungseinrichtung gegen Feuer oder Einbrnchdiebstahl, die gewöhnliche Lebensversicherung, die Unfallversicherung in ihren verschiednen Zweigen und dergleichen) werden sich schwer in einen ein für allemal verbind¬ lichen Rahmen fassen lassen. Das liegt auch gar nicht in dem Vorteil der Versicherten; solange man die Versicherungen nicht gänzlich verstaatlicht, wird weder dem Verhinderer noch dem Versicherten die Möglichkeit verschränkt werden dürfen, den Gegenstand der Versicherung, das zu versichernde Interesse im technischen Sinne, nach seinem eignen Vorteil und Willen festzusetzen und uicht noch dem gesetzlich anerkannten Durchschnitt. Gefahr und Prämie hängen un¬ trennbar zusammen, die Höhe der Prämien bestimmt sich nach dem Umfange der Gefahr — wie oft wird es gerade in dem Vorteile des Versicherten liegen, sich gegen eine Gefahr in geringerm Umfang als gemeinhin zu versichern, um dafür auch die höhere Prämie zu sparen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/733>, abgerufen am 27.07.2024.