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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutscheu Sprache

Geheimrat Struck war eine vornehme, reservierte Natur, etwas pedantisch,
herb in seinen Anschauungen und von vornherein wenig entgegenkommend, weil
ihn die Erfahrungen eines langen Lebens mißtrauisch gemacht hatten; wer aber
das Glück hatte, dem alten Herrn näher treten zu dürfen, der fand unter der
rauhen Schale bald den weichen Kern und einen liebenswürdige" Gesellschafter
von so anregender UuterlMuugsgabe, daß ein Plauderstündchen bei ihm zum
Genuß wurde. Bewuuderuswert erschien mir die Art und Weise seines Um¬
ganges mit Kranken; er war ihnen mehr als Arzt, und es herrschte noch das
patriarchalische Verhältnis, wie man es wohl in alten Geschichten ans der
Zeit unsrer Großeltern lesen, aber nnr selten bei modernen Ärzten finden kann.
Galt es Unglückliche zu trösten, dann fand er Worte aus höher" Sphären,
seine sonst so freundliche Stimmung konnte aber auch in fürchterliche Grobheit
umschlagen Patienten gegenüber, die sich seinen Anordnungen nicht peinlich
gemini fügen wollten. Sein Leben ist Mühe und Arbeit gewesen, und als er
sich endlich im Alter von 74 Jahren zurückzog, um in der stärkenden Harzluft
Blankenburgs Genesung zu suchen, da konnte ihm das Leben nichts mehr bieten,
denn er war durch einen Schlaganfall an den Fahrstuhl gefesselt. "Ich bin
dem Fürsten Bismarck -- so lauteten einst seine schwermütigen Worte -- nicht
dankbar, daß er tief in mein Leben eingegriffen hat, das brachte mir zwar
einige Titel und Orden, aber keine Befriedigung: mein Ideal war, mich nach
Ablauf meiner Militärzeit in einer kleine" Stadt niederzulassen, und als einfacher
Wald- und Wiescndoktvr wäre ich vielleicht ein glücklicher Mensch geworden."


Wilhelm Gittermann


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen
deutschen Sprache
L. Günther vonin
(Fortsetzung)
4. Strafrecht (Die Lehre vom Verbrechen)

> le deutsche Sprache hat übrigens noch eine andre Redensart auf-
> zuweisen, in der sich der Vergleich mit einem roten Hahn findet,
^nämlich die bekannte Umschreibung "einem den roten Hahn
^aufs Dach setzen" (oder "stecken," "aufs Dach fliegen lassen,"
Rauch wohl "den roten Hahn krähen lassen" oder fälterj ihn
"-"zum Giebel aufjagen") für: jemandes Haus in Brand setzen.
Qcmnt betreten wir das Gebiet der aus dem ältern deutschen Strafrecht ent¬
lehnten Bestandteile unsrer Sprache, das an Umfang fast noch das der aus
dem Privatrecht herübergenommnen übertrifft. Auch in der vorliegenden Rede¬
wendung ist der Zusammenhang mit dem Verbrechertum älterer Zeiten viel
enger, als man bis vor kurzem noch angenommen hat. Während mau nämlich
msher darin vorwiegend ein poetisches Bild sah, das sich aus den Nachklängen
älterer mythologischer Vorstellungen von dem Feuer als eines lebendigen Wesens
"icht allzu gesucht erklären lasse,'hat jetzt Friedrich Kluge bei seineu verdienst¬
vollen Forschungen über die deutsche Gaunersprache oder das sog. Rotwelsch


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutscheu Sprache

Geheimrat Struck war eine vornehme, reservierte Natur, etwas pedantisch,
herb in seinen Anschauungen und von vornherein wenig entgegenkommend, weil
ihn die Erfahrungen eines langen Lebens mißtrauisch gemacht hatten; wer aber
das Glück hatte, dem alten Herrn näher treten zu dürfen, der fand unter der
rauhen Schale bald den weichen Kern und einen liebenswürdige« Gesellschafter
von so anregender UuterlMuugsgabe, daß ein Plauderstündchen bei ihm zum
Genuß wurde. Bewuuderuswert erschien mir die Art und Weise seines Um¬
ganges mit Kranken; er war ihnen mehr als Arzt, und es herrschte noch das
patriarchalische Verhältnis, wie man es wohl in alten Geschichten ans der
Zeit unsrer Großeltern lesen, aber nnr selten bei modernen Ärzten finden kann.
Galt es Unglückliche zu trösten, dann fand er Worte aus höher» Sphären,
seine sonst so freundliche Stimmung konnte aber auch in fürchterliche Grobheit
umschlagen Patienten gegenüber, die sich seinen Anordnungen nicht peinlich
gemini fügen wollten. Sein Leben ist Mühe und Arbeit gewesen, und als er
sich endlich im Alter von 74 Jahren zurückzog, um in der stärkenden Harzluft
Blankenburgs Genesung zu suchen, da konnte ihm das Leben nichts mehr bieten,
denn er war durch einen Schlaganfall an den Fahrstuhl gefesselt. „Ich bin
dem Fürsten Bismarck — so lauteten einst seine schwermütigen Worte — nicht
dankbar, daß er tief in mein Leben eingegriffen hat, das brachte mir zwar
einige Titel und Orden, aber keine Befriedigung: mein Ideal war, mich nach
Ablauf meiner Militärzeit in einer kleine» Stadt niederzulassen, und als einfacher
Wald- und Wiescndoktvr wäre ich vielleicht ein glücklicher Mensch geworden."


Wilhelm Gittermann


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen
deutschen Sprache
L. Günther vonin
(Fortsetzung)
4. Strafrecht (Die Lehre vom Verbrechen)

> le deutsche Sprache hat übrigens noch eine andre Redensart auf-
> zuweisen, in der sich der Vergleich mit einem roten Hahn findet,
^nämlich die bekannte Umschreibung „einem den roten Hahn
^aufs Dach setzen" (oder „stecken," „aufs Dach fliegen lassen,"
Rauch wohl „den roten Hahn krähen lassen" oder fälterj ihn
»-„zum Giebel aufjagen") für: jemandes Haus in Brand setzen.
Qcmnt betreten wir das Gebiet der aus dem ältern deutschen Strafrecht ent¬
lehnten Bestandteile unsrer Sprache, das an Umfang fast noch das der aus
dem Privatrecht herübergenommnen übertrifft. Auch in der vorliegenden Rede¬
wendung ist der Zusammenhang mit dem Verbrechertum älterer Zeiten viel
enger, als man bis vor kurzem noch angenommen hat. Während mau nämlich
msher darin vorwiegend ein poetisches Bild sah, das sich aus den Nachklängen
älterer mythologischer Vorstellungen von dem Feuer als eines lebendigen Wesens
"icht allzu gesucht erklären lasse,'hat jetzt Friedrich Kluge bei seineu verdienst¬
vollen Forschungen über die deutsche Gaunersprache oder das sog. Rotwelsch


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[0365] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutscheu Sprache Geheimrat Struck war eine vornehme, reservierte Natur, etwas pedantisch, herb in seinen Anschauungen und von vornherein wenig entgegenkommend, weil ihn die Erfahrungen eines langen Lebens mißtrauisch gemacht hatten; wer aber das Glück hatte, dem alten Herrn näher treten zu dürfen, der fand unter der rauhen Schale bald den weichen Kern und einen liebenswürdige« Gesellschafter von so anregender UuterlMuugsgabe, daß ein Plauderstündchen bei ihm zum Genuß wurde. Bewuuderuswert erschien mir die Art und Weise seines Um¬ ganges mit Kranken; er war ihnen mehr als Arzt, und es herrschte noch das patriarchalische Verhältnis, wie man es wohl in alten Geschichten ans der Zeit unsrer Großeltern lesen, aber nnr selten bei modernen Ärzten finden kann. Galt es Unglückliche zu trösten, dann fand er Worte aus höher» Sphären, seine sonst so freundliche Stimmung konnte aber auch in fürchterliche Grobheit umschlagen Patienten gegenüber, die sich seinen Anordnungen nicht peinlich gemini fügen wollten. Sein Leben ist Mühe und Arbeit gewesen, und als er sich endlich im Alter von 74 Jahren zurückzog, um in der stärkenden Harzluft Blankenburgs Genesung zu suchen, da konnte ihm das Leben nichts mehr bieten, denn er war durch einen Schlaganfall an den Fahrstuhl gefesselt. „Ich bin dem Fürsten Bismarck — so lauteten einst seine schwermütigen Worte — nicht dankbar, daß er tief in mein Leben eingegriffen hat, das brachte mir zwar einige Titel und Orden, aber keine Befriedigung: mein Ideal war, mich nach Ablauf meiner Militärzeit in einer kleine» Stadt niederzulassen, und als einfacher Wald- und Wiescndoktvr wäre ich vielleicht ein glücklicher Mensch geworden." Wilhelm Gittermann Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache L. Günther vonin (Fortsetzung) 4. Strafrecht (Die Lehre vom Verbrechen) > le deutsche Sprache hat übrigens noch eine andre Redensart auf- > zuweisen, in der sich der Vergleich mit einem roten Hahn findet, ^nämlich die bekannte Umschreibung „einem den roten Hahn ^aufs Dach setzen" (oder „stecken," „aufs Dach fliegen lassen," Rauch wohl „den roten Hahn krähen lassen" oder fälterj ihn »-„zum Giebel aufjagen") für: jemandes Haus in Brand setzen. Qcmnt betreten wir das Gebiet der aus dem ältern deutschen Strafrecht ent¬ lehnten Bestandteile unsrer Sprache, das an Umfang fast noch das der aus dem Privatrecht herübergenommnen übertrifft. Auch in der vorliegenden Rede¬ wendung ist der Zusammenhang mit dem Verbrechertum älterer Zeiten viel enger, als man bis vor kurzem noch angenommen hat. Während mau nämlich msher darin vorwiegend ein poetisches Bild sah, das sich aus den Nachklängen älterer mythologischer Vorstellungen von dem Feuer als eines lebendigen Wesens "icht allzu gesucht erklären lasse,'hat jetzt Friedrich Kluge bei seineu verdienst¬ vollen Forschungen über die deutsche Gaunersprache oder das sog. Rotwelsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/365>, abgerufen am 24.11.2024.