Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Verfasser bespricht die Beiträge des großen Stürmers in der Aurora, der
Einsiedlerzeitung, der Eos und den Heidelbcrgischeu Jahrbüchern der Literatur,
untersucht die Entstehung der Werke, die Volkskunde und Sagengeschichte behandeln
(Die deutschen Volksbücher; Lohengrin; Altdeutsche Volks- und Meisterlieder; Mythen¬
geschichte der asiatischen Welt; Das Heldenbuch von Iran, aus dem Schahname des
Firdusi), charakterisiert und kritisiert seine Sageuforschung. Görres war alles eher
als ein exakter Forscher, aber er war groß im Erraten und im Erfassen des Kernes
einer Dichtung, sowie im Auffinden des Zusammenhangs der Dichtungen verschiedner
Zeiten und Völker. Wenn er vielfach danebengeschofsen hat, darf man nicht ver¬
gessen, daß er einer der ersten Bahnbrecher war und wenig Vorarbeiten benutzen
konnte. Die beiden Grimm schätzten seine Mitarbeit hoch und waren seine auf¬
richtigen Freunde. Die Geburtshelfer bei der Entbindung seiner romantisch-mittel¬
alterlich-katholischen Seele aus der revolutionären Hülle des Embryonenstadiums
sind Novalis, Tieck und die beiden Schlegel gewesen. Herder lehrte ihn das Ver¬
senken in ferne Zeiten und Völker, Klopstock zog ihn durch sein Pathos, Jean Paul
durch seine Phantastik und durch seine Liebe zum Kindlichen und zum einzelnen
Kleinen an. Schiller, der Mann der strengen Form und der kritischen Denkarbeit,
ist ihm, dem formlosen Schwärmer, nicht sympathisch. Er und Goethe stießen ein¬
ander gegenseitig ab. Wilhelm Meister ist als philiströses Buch deu beide" Ro¬
mantikern Novalis und Görres ein Greuel. Desto besser gefallen diesem Kleist und
Hölderlin. Von der Familie Schroffensteiu schreibt er u. a.: "Die Zeit, der solche
Erstlinge zum Opfer dargebracht werden, zeigt sich ihrer unwert, wenn sie sie nicht
dankbar aufnimmt und den jungen Genius auf ihren Flügeln trägt, bis er erstarkt
und sich auf eignen Fittichen über sie hinaufschwingt." Und wer "die Schlechtigkeit
des Jahrhunderts und die Verworfenheit der gezähmte" und dressierten Menschen-
nntur" tief empfinde, der werde "in Hyperion einen Bruder grüßen; erstaunt wird
er seine ganze Vergangenheit in ihm umarmen." Am nächsten standen ihm in der
romantischen Periode Clemens Brentano und Achin von Arnim, mit denen er 1806
bis 1308 in Heidelberg zum Ärger des alten Voß die Romantik auf den Thron
erhob. Er erhielt dort die Erlaubnis, Vorlesungen über Physiologie und Philo¬
sophie halten zu dürfen. Seine Physiologie kennt man aus seiner Mystik. Wie
seine Philosophie ausgesehen haben mag, kann man ungefähr aus dem durch Johannes
vou Müller überlieferten Satze schließen, mit dem er seine erste Vorlesung begann:
"Meine Herren, es gibt nur zwei Klassen von Menschen, 1. die mit poetischem
Geist gesalbt sind, 2. die Philister." Von seinem Stil schreibt Schultz: "Görres
Stil mit seiner wasserfallnrtigen Beredsamkeit und bestechenden Dialektik, die alle
Dinge wieder und wieder nach andern Seiten zu kehren verstand, mit dem Prunk
von Tausenden von Bildern scheint mir bei allem geistigen und seelischen Reichtum,
über den sein Urheber verfügt, nicht immer frei voll Manier. Die Menge von
Nachahmungen und Parodien, die ich aufzuweisen vermöchte, spricht nicht dagegen,
dafür jedoch die Tatsache, daß Görres hie und da -- meist in politischen, streng
sachlichen Aufsätzen -- über eine gedrungne, einzigartig präzise Sprache verfügt.
Im übrigen fällt Görres Stil ans der Entwicklung der deutschen Prosa eigentlich
heraus; er ist ebenso sui gonoris, wie es der ganze Mann nach einem Ausspruche
Hebbels war."


Himmel und Wolken.

In seinem vor kurzem in der Deutschen Rundschau
<1902, 10, S. 22 ff.) erschienenen feinsinnigen Aufsatz "Die Wolken in der Land¬
schaft" hat Friedrich Ratzel uuter andern: darauf hingewiesen, daß die Bewohner
des westlichen Tieflandes, die Niederländer, die große Bedeutung der Wolken für
die Landschaftsmalerei eigentlich erst entdeckt habe", während der slavische Osten sie
mit eindringendstem Verständnis und besondrer Vorliebe für die Dichtung ver¬
wandt hat. Mickiewicz und Turgenieff haben die schönsten Wolkenbilder geschaffen
und sind in dieser Hinsicht geradezu unübertroffen. Das kann -- sagt Ratzel -


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Der Verfasser bespricht die Beiträge des großen Stürmers in der Aurora, der
Einsiedlerzeitung, der Eos und den Heidelbcrgischeu Jahrbüchern der Literatur,
untersucht die Entstehung der Werke, die Volkskunde und Sagengeschichte behandeln
(Die deutschen Volksbücher; Lohengrin; Altdeutsche Volks- und Meisterlieder; Mythen¬
geschichte der asiatischen Welt; Das Heldenbuch von Iran, aus dem Schahname des
Firdusi), charakterisiert und kritisiert seine Sageuforschung. Görres war alles eher
als ein exakter Forscher, aber er war groß im Erraten und im Erfassen des Kernes
einer Dichtung, sowie im Auffinden des Zusammenhangs der Dichtungen verschiedner
Zeiten und Völker. Wenn er vielfach danebengeschofsen hat, darf man nicht ver¬
gessen, daß er einer der ersten Bahnbrecher war und wenig Vorarbeiten benutzen
konnte. Die beiden Grimm schätzten seine Mitarbeit hoch und waren seine auf¬
richtigen Freunde. Die Geburtshelfer bei der Entbindung seiner romantisch-mittel¬
alterlich-katholischen Seele aus der revolutionären Hülle des Embryonenstadiums
sind Novalis, Tieck und die beiden Schlegel gewesen. Herder lehrte ihn das Ver¬
senken in ferne Zeiten und Völker, Klopstock zog ihn durch sein Pathos, Jean Paul
durch seine Phantastik und durch seine Liebe zum Kindlichen und zum einzelnen
Kleinen an. Schiller, der Mann der strengen Form und der kritischen Denkarbeit,
ist ihm, dem formlosen Schwärmer, nicht sympathisch. Er und Goethe stießen ein¬
ander gegenseitig ab. Wilhelm Meister ist als philiströses Buch deu beide» Ro¬
mantikern Novalis und Görres ein Greuel. Desto besser gefallen diesem Kleist und
Hölderlin. Von der Familie Schroffensteiu schreibt er u. a.: „Die Zeit, der solche
Erstlinge zum Opfer dargebracht werden, zeigt sich ihrer unwert, wenn sie sie nicht
dankbar aufnimmt und den jungen Genius auf ihren Flügeln trägt, bis er erstarkt
und sich auf eignen Fittichen über sie hinaufschwingt." Und wer „die Schlechtigkeit
des Jahrhunderts und die Verworfenheit der gezähmte» und dressierten Menschen-
nntur" tief empfinde, der werde „in Hyperion einen Bruder grüßen; erstaunt wird
er seine ganze Vergangenheit in ihm umarmen." Am nächsten standen ihm in der
romantischen Periode Clemens Brentano und Achin von Arnim, mit denen er 1806
bis 1308 in Heidelberg zum Ärger des alten Voß die Romantik auf den Thron
erhob. Er erhielt dort die Erlaubnis, Vorlesungen über Physiologie und Philo¬
sophie halten zu dürfen. Seine Physiologie kennt man aus seiner Mystik. Wie
seine Philosophie ausgesehen haben mag, kann man ungefähr aus dem durch Johannes
vou Müller überlieferten Satze schließen, mit dem er seine erste Vorlesung begann:
„Meine Herren, es gibt nur zwei Klassen von Menschen, 1. die mit poetischem
Geist gesalbt sind, 2. die Philister." Von seinem Stil schreibt Schultz: „Görres
Stil mit seiner wasserfallnrtigen Beredsamkeit und bestechenden Dialektik, die alle
Dinge wieder und wieder nach andern Seiten zu kehren verstand, mit dem Prunk
von Tausenden von Bildern scheint mir bei allem geistigen und seelischen Reichtum,
über den sein Urheber verfügt, nicht immer frei voll Manier. Die Menge von
Nachahmungen und Parodien, die ich aufzuweisen vermöchte, spricht nicht dagegen,
dafür jedoch die Tatsache, daß Görres hie und da — meist in politischen, streng
sachlichen Aufsätzen — über eine gedrungne, einzigartig präzise Sprache verfügt.
Im übrigen fällt Görres Stil ans der Entwicklung der deutschen Prosa eigentlich
heraus; er ist ebenso sui gonoris, wie es der ganze Mann nach einem Ausspruche
Hebbels war."


Himmel und Wolken.

In seinem vor kurzem in der Deutschen Rundschau
<1902, 10, S. 22 ff.) erschienenen feinsinnigen Aufsatz „Die Wolken in der Land¬
schaft" hat Friedrich Ratzel uuter andern: darauf hingewiesen, daß die Bewohner
des westlichen Tieflandes, die Niederländer, die große Bedeutung der Wolken für
die Landschaftsmalerei eigentlich erst entdeckt habe», während der slavische Osten sie
mit eindringendstem Verständnis und besondrer Vorliebe für die Dichtung ver¬
wandt hat. Mickiewicz und Turgenieff haben die schönsten Wolkenbilder geschaffen
und sind in dieser Hinsicht geradezu unübertroffen. Das kann — sagt Ratzel -


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0758" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/240314"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_4086" prev="#ID_4085"> Der Verfasser bespricht die Beiträge des großen Stürmers in der Aurora, der<lb/>
Einsiedlerzeitung, der Eos und den Heidelbcrgischeu Jahrbüchern der Literatur,<lb/>
untersucht die Entstehung der Werke, die Volkskunde und Sagengeschichte behandeln<lb/>
(Die deutschen Volksbücher; Lohengrin; Altdeutsche Volks- und Meisterlieder; Mythen¬<lb/>
geschichte der asiatischen Welt; Das Heldenbuch von Iran, aus dem Schahname des<lb/>
Firdusi), charakterisiert und kritisiert seine Sageuforschung. Görres war alles eher<lb/>
als ein exakter Forscher, aber er war groß im Erraten und im Erfassen des Kernes<lb/>
einer Dichtung, sowie im Auffinden des Zusammenhangs der Dichtungen verschiedner<lb/>
Zeiten und Völker. Wenn er vielfach danebengeschofsen hat, darf man nicht ver¬<lb/>
gessen, daß er einer der ersten Bahnbrecher war und wenig Vorarbeiten benutzen<lb/>
konnte. Die beiden Grimm schätzten seine Mitarbeit hoch und waren seine auf¬<lb/>
richtigen Freunde. Die Geburtshelfer bei der Entbindung seiner romantisch-mittel¬<lb/>
alterlich-katholischen Seele aus der revolutionären Hülle des Embryonenstadiums<lb/>
sind Novalis, Tieck und die beiden Schlegel gewesen. Herder lehrte ihn das Ver¬<lb/>
senken in ferne Zeiten und Völker, Klopstock zog ihn durch sein Pathos, Jean Paul<lb/>
durch seine Phantastik und durch seine Liebe zum Kindlichen und zum einzelnen<lb/>
Kleinen an. Schiller, der Mann der strengen Form und der kritischen Denkarbeit,<lb/>
ist ihm, dem formlosen Schwärmer, nicht sympathisch. Er und Goethe stießen ein¬<lb/>
ander gegenseitig ab. Wilhelm Meister ist als philiströses Buch deu beide» Ro¬<lb/>
mantikern Novalis und Görres ein Greuel. Desto besser gefallen diesem Kleist und<lb/>
Hölderlin. Von der Familie Schroffensteiu schreibt er u. a.: &#x201E;Die Zeit, der solche<lb/>
Erstlinge zum Opfer dargebracht werden, zeigt sich ihrer unwert, wenn sie sie nicht<lb/>
dankbar aufnimmt und den jungen Genius auf ihren Flügeln trägt, bis er erstarkt<lb/>
und sich auf eignen Fittichen über sie hinaufschwingt." Und wer &#x201E;die Schlechtigkeit<lb/>
des Jahrhunderts und die Verworfenheit der gezähmte» und dressierten Menschen-<lb/>
nntur" tief empfinde, der werde &#x201E;in Hyperion einen Bruder grüßen; erstaunt wird<lb/>
er seine ganze Vergangenheit in ihm umarmen." Am nächsten standen ihm in der<lb/>
romantischen Periode Clemens Brentano und Achin von Arnim, mit denen er 1806<lb/>
bis 1308 in Heidelberg zum Ärger des alten Voß die Romantik auf den Thron<lb/>
erhob. Er erhielt dort die Erlaubnis, Vorlesungen über Physiologie und Philo¬<lb/>
sophie halten zu dürfen. Seine Physiologie kennt man aus seiner Mystik. Wie<lb/>
seine Philosophie ausgesehen haben mag, kann man ungefähr aus dem durch Johannes<lb/>
vou Müller überlieferten Satze schließen, mit dem er seine erste Vorlesung begann:<lb/>
&#x201E;Meine Herren, es gibt nur zwei Klassen von Menschen, 1. die mit poetischem<lb/>
Geist gesalbt sind, 2. die Philister." Von seinem Stil schreibt Schultz: &#x201E;Görres<lb/>
Stil mit seiner wasserfallnrtigen Beredsamkeit und bestechenden Dialektik, die alle<lb/>
Dinge wieder und wieder nach andern Seiten zu kehren verstand, mit dem Prunk<lb/>
von Tausenden von Bildern scheint mir bei allem geistigen und seelischen Reichtum,<lb/>
über den sein Urheber verfügt, nicht immer frei voll Manier. Die Menge von<lb/>
Nachahmungen und Parodien, die ich aufzuweisen vermöchte, spricht nicht dagegen,<lb/>
dafür jedoch die Tatsache, daß Görres hie und da &#x2014; meist in politischen, streng<lb/>
sachlichen Aufsätzen &#x2014; über eine gedrungne, einzigartig präzise Sprache verfügt.<lb/>
Im übrigen fällt Görres Stil ans der Entwicklung der deutschen Prosa eigentlich<lb/>
heraus; er ist ebenso sui gonoris, wie es der ganze Mann nach einem Ausspruche<lb/>
Hebbels war."</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Himmel und Wolken. </head>
            <p xml:id="ID_4087" next="#ID_4088"> In seinem vor kurzem in der Deutschen Rundschau<lb/>
&lt;1902, 10, S. 22 ff.) erschienenen feinsinnigen Aufsatz &#x201E;Die Wolken in der Land¬<lb/>
schaft" hat Friedrich Ratzel uuter andern: darauf hingewiesen, daß die Bewohner<lb/>
des westlichen Tieflandes, die Niederländer, die große Bedeutung der Wolken für<lb/>
die Landschaftsmalerei eigentlich erst entdeckt habe», während der slavische Osten sie<lb/>
mit eindringendstem Verständnis und besondrer Vorliebe für die Dichtung ver¬<lb/>
wandt hat. Mickiewicz und Turgenieff haben die schönsten Wolkenbilder geschaffen<lb/>
und sind in dieser Hinsicht geradezu unübertroffen.  Das kann &#x2014; sagt Ratzel -</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0758] Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Verfasser bespricht die Beiträge des großen Stürmers in der Aurora, der Einsiedlerzeitung, der Eos und den Heidelbcrgischeu Jahrbüchern der Literatur, untersucht die Entstehung der Werke, die Volkskunde und Sagengeschichte behandeln (Die deutschen Volksbücher; Lohengrin; Altdeutsche Volks- und Meisterlieder; Mythen¬ geschichte der asiatischen Welt; Das Heldenbuch von Iran, aus dem Schahname des Firdusi), charakterisiert und kritisiert seine Sageuforschung. Görres war alles eher als ein exakter Forscher, aber er war groß im Erraten und im Erfassen des Kernes einer Dichtung, sowie im Auffinden des Zusammenhangs der Dichtungen verschiedner Zeiten und Völker. Wenn er vielfach danebengeschofsen hat, darf man nicht ver¬ gessen, daß er einer der ersten Bahnbrecher war und wenig Vorarbeiten benutzen konnte. Die beiden Grimm schätzten seine Mitarbeit hoch und waren seine auf¬ richtigen Freunde. Die Geburtshelfer bei der Entbindung seiner romantisch-mittel¬ alterlich-katholischen Seele aus der revolutionären Hülle des Embryonenstadiums sind Novalis, Tieck und die beiden Schlegel gewesen. Herder lehrte ihn das Ver¬ senken in ferne Zeiten und Völker, Klopstock zog ihn durch sein Pathos, Jean Paul durch seine Phantastik und durch seine Liebe zum Kindlichen und zum einzelnen Kleinen an. Schiller, der Mann der strengen Form und der kritischen Denkarbeit, ist ihm, dem formlosen Schwärmer, nicht sympathisch. Er und Goethe stießen ein¬ ander gegenseitig ab. Wilhelm Meister ist als philiströses Buch deu beide» Ro¬ mantikern Novalis und Görres ein Greuel. Desto besser gefallen diesem Kleist und Hölderlin. Von der Familie Schroffensteiu schreibt er u. a.: „Die Zeit, der solche Erstlinge zum Opfer dargebracht werden, zeigt sich ihrer unwert, wenn sie sie nicht dankbar aufnimmt und den jungen Genius auf ihren Flügeln trägt, bis er erstarkt und sich auf eignen Fittichen über sie hinaufschwingt." Und wer „die Schlechtigkeit des Jahrhunderts und die Verworfenheit der gezähmte» und dressierten Menschen- nntur" tief empfinde, der werde „in Hyperion einen Bruder grüßen; erstaunt wird er seine ganze Vergangenheit in ihm umarmen." Am nächsten standen ihm in der romantischen Periode Clemens Brentano und Achin von Arnim, mit denen er 1806 bis 1308 in Heidelberg zum Ärger des alten Voß die Romantik auf den Thron erhob. Er erhielt dort die Erlaubnis, Vorlesungen über Physiologie und Philo¬ sophie halten zu dürfen. Seine Physiologie kennt man aus seiner Mystik. Wie seine Philosophie ausgesehen haben mag, kann man ungefähr aus dem durch Johannes vou Müller überlieferten Satze schließen, mit dem er seine erste Vorlesung begann: „Meine Herren, es gibt nur zwei Klassen von Menschen, 1. die mit poetischem Geist gesalbt sind, 2. die Philister." Von seinem Stil schreibt Schultz: „Görres Stil mit seiner wasserfallnrtigen Beredsamkeit und bestechenden Dialektik, die alle Dinge wieder und wieder nach andern Seiten zu kehren verstand, mit dem Prunk von Tausenden von Bildern scheint mir bei allem geistigen und seelischen Reichtum, über den sein Urheber verfügt, nicht immer frei voll Manier. Die Menge von Nachahmungen und Parodien, die ich aufzuweisen vermöchte, spricht nicht dagegen, dafür jedoch die Tatsache, daß Görres hie und da — meist in politischen, streng sachlichen Aufsätzen — über eine gedrungne, einzigartig präzise Sprache verfügt. Im übrigen fällt Görres Stil ans der Entwicklung der deutschen Prosa eigentlich heraus; er ist ebenso sui gonoris, wie es der ganze Mann nach einem Ausspruche Hebbels war." Himmel und Wolken. In seinem vor kurzem in der Deutschen Rundschau <1902, 10, S. 22 ff.) erschienenen feinsinnigen Aufsatz „Die Wolken in der Land¬ schaft" hat Friedrich Ratzel uuter andern: darauf hingewiesen, daß die Bewohner des westlichen Tieflandes, die Niederländer, die große Bedeutung der Wolken für die Landschaftsmalerei eigentlich erst entdeckt habe», während der slavische Osten sie mit eindringendstem Verständnis und besondrer Vorliebe für die Dichtung ver¬ wandt hat. Mickiewicz und Turgenieff haben die schönsten Wolkenbilder geschaffen und sind in dieser Hinsicht geradezu unübertroffen. Das kann — sagt Ratzel -

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/758
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_239555/758>, abgerufen am 23.11.2024.