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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Der Professor, Gillet Zinnober, Rosamunde
und Ärmchen
Eine ZVeihiiachtsgeschichte

s wcir das letzte Konzert vor Weihnachten. Der jüngste ordentliche
Professor der Universität -- es wcir noch gar nicht so sehr lange
her, daß er in seiner Heimatstadt einfach Geheimrath Waldemar ge¬
nannt wurde -- hatte seinen Platz eingenommen und wartete gespannt.
Weniger ans den Beginn der Musik, obgleich es ein Programm war,
das ganz seiner Liebhaberei entsprach, als auf die Inhaberinnen der
beiden noch leeren Plätze jenseits des Mittelgangs ihm gegenüber. Es waren die
Witwe eines berühmten Gelehrten und ihre Tochter, und diese Tochter entsprach
ganz der Idee, die er sich von weiblicher Vollkommenheit machte. Das war ihm
nach jedem Ball klarer geworden -- eine vornehme, edle Gestalt, eine wahre Diana
mit dunkelm Haar, klassischem Gesichtsschnitt und vollendetem Weltschliff. Reich mich,
aber das war Nebensache, denn er konnte ihr eine Stellung bieten, die auf derselben
Höhe war wie die ihres verstorbnen Vaters, und einen Namen, der an und für sich
einen ebenso guten Klang hatte, und den er selbst uoch klangvoller machen wollte, das
durfte er sich zutrauen.

Seit Anfang des Semesters war er hier in der Musenstadt. Der Ruf an die
Universität hatte ihn ereilt, wahrend er in Italien war, wo er die letzten Jahre
Riegen seiner Kunststudien zugebracht hatte, denn er war Archäologe und Kunsthistoriker.
Er hatte sich natürlich nicht einen Augenblick besonnen, denn der Ruf war höchst
ehrenvoll. Und schließlich war er, da sich der Abschluß von Studien, die er be¬
gonnen hatte, hinauszog, ohne den Umweg über seine Heimat hierhergekommen und
hatte seiue Lehrthätigkeit begonnen. Es war nicht anders möglich gewesen; die
Mutter hatte allerdings geschmollt, aber sein alter Herr war einverstanden gewesen.
Er war ja selbst Professor der Architektur am Polytechnikum daheim.

Und dann war das geschehn, was sehr häufig alsbald zu geschehen pflegt, wenn
man ledigerweise ordentlicher Professor wird, er war seinem "Ideal" begegnet.
Er hatte auch nicht die Absicht, lange zu fackeln. Zeichen davon, daß seine unver¬
hohlene Bewunderung nicht mißfällig aufgenommen wurde, glaubte er bemerkt zu
haben; es war auch ganz natürlich, Gleich gesellt sich zu Gleich, und von allem
andern abgesehen, er war doch ein famoser Kerl und hätte als Gardekavallcrieoffizier
ebenso gut Figur gemacht wie als Knnstprofessor. Die Weihnachts- und die Neujahrs¬
gesellschaften boten Gelegenheit zu weiterer Annäherung, und bet einer dieser Ge-
legenheiten wollte er es zur Entscheidung bringen. Er hatte auch heim geschrieben,
zuerst andeutungsweise, daß er vielleicht in den Weihnachtsferien verhindert sein
könnte, heim zu kommen, dann bestimmt, es wäre nicht möglich, und endlich hatte
er verblümte Anspielungen auf ein Ideal gemacht. Die Mutter hatte einen Brief
voll Ausrufungszeichen geschrieben und ihrem Jungen dringende Mahnungen erteilt,
nichts Übereiltes zu thun und sein Herz recht zu prüfen -- es hatte ihn königlich
amüsiert --, und der Vater hatte geschwiegen. Also war er einverstanden mit den




Der Professor, Gillet Zinnober, Rosamunde
und Ärmchen
Eine ZVeihiiachtsgeschichte

s wcir das letzte Konzert vor Weihnachten. Der jüngste ordentliche
Professor der Universität — es wcir noch gar nicht so sehr lange
her, daß er in seiner Heimatstadt einfach Geheimrath Waldemar ge¬
nannt wurde — hatte seinen Platz eingenommen und wartete gespannt.
Weniger ans den Beginn der Musik, obgleich es ein Programm war,
das ganz seiner Liebhaberei entsprach, als auf die Inhaberinnen der
beiden noch leeren Plätze jenseits des Mittelgangs ihm gegenüber. Es waren die
Witwe eines berühmten Gelehrten und ihre Tochter, und diese Tochter entsprach
ganz der Idee, die er sich von weiblicher Vollkommenheit machte. Das war ihm
nach jedem Ball klarer geworden — eine vornehme, edle Gestalt, eine wahre Diana
mit dunkelm Haar, klassischem Gesichtsschnitt und vollendetem Weltschliff. Reich mich,
aber das war Nebensache, denn er konnte ihr eine Stellung bieten, die auf derselben
Höhe war wie die ihres verstorbnen Vaters, und einen Namen, der an und für sich
einen ebenso guten Klang hatte, und den er selbst uoch klangvoller machen wollte, das
durfte er sich zutrauen.

Seit Anfang des Semesters war er hier in der Musenstadt. Der Ruf an die
Universität hatte ihn ereilt, wahrend er in Italien war, wo er die letzten Jahre
Riegen seiner Kunststudien zugebracht hatte, denn er war Archäologe und Kunsthistoriker.
Er hatte sich natürlich nicht einen Augenblick besonnen, denn der Ruf war höchst
ehrenvoll. Und schließlich war er, da sich der Abschluß von Studien, die er be¬
gonnen hatte, hinauszog, ohne den Umweg über seine Heimat hierhergekommen und
hatte seiue Lehrthätigkeit begonnen. Es war nicht anders möglich gewesen; die
Mutter hatte allerdings geschmollt, aber sein alter Herr war einverstanden gewesen.
Er war ja selbst Professor der Architektur am Polytechnikum daheim.

Und dann war das geschehn, was sehr häufig alsbald zu geschehen pflegt, wenn
man ledigerweise ordentlicher Professor wird, er war seinem „Ideal" begegnet.
Er hatte auch nicht die Absicht, lange zu fackeln. Zeichen davon, daß seine unver¬
hohlene Bewunderung nicht mißfällig aufgenommen wurde, glaubte er bemerkt zu
haben; es war auch ganz natürlich, Gleich gesellt sich zu Gleich, und von allem
andern abgesehen, er war doch ein famoser Kerl und hätte als Gardekavallcrieoffizier
ebenso gut Figur gemacht wie als Knnstprofessor. Die Weihnachts- und die Neujahrs¬
gesellschaften boten Gelegenheit zu weiterer Annäherung, und bet einer dieser Ge-
legenheiten wollte er es zur Entscheidung bringen. Er hatte auch heim geschrieben,
zuerst andeutungsweise, daß er vielleicht in den Weihnachtsferien verhindert sein
könnte, heim zu kommen, dann bestimmt, es wäre nicht möglich, und endlich hatte
er verblümte Anspielungen auf ein Ideal gemacht. Die Mutter hatte einen Brief
voll Ausrufungszeichen geschrieben und ihrem Jungen dringende Mahnungen erteilt,
nichts Übereiltes zu thun und sein Herz recht zu prüfen — es hatte ihn königlich
amüsiert —, und der Vater hatte geschwiegen. Also war er einverstanden mit den


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[0684] [Abbildung] Der Professor, Gillet Zinnober, Rosamunde und Ärmchen Eine ZVeihiiachtsgeschichte s wcir das letzte Konzert vor Weihnachten. Der jüngste ordentliche Professor der Universität — es wcir noch gar nicht so sehr lange her, daß er in seiner Heimatstadt einfach Geheimrath Waldemar ge¬ nannt wurde — hatte seinen Platz eingenommen und wartete gespannt. Weniger ans den Beginn der Musik, obgleich es ein Programm war, das ganz seiner Liebhaberei entsprach, als auf die Inhaberinnen der beiden noch leeren Plätze jenseits des Mittelgangs ihm gegenüber. Es waren die Witwe eines berühmten Gelehrten und ihre Tochter, und diese Tochter entsprach ganz der Idee, die er sich von weiblicher Vollkommenheit machte. Das war ihm nach jedem Ball klarer geworden — eine vornehme, edle Gestalt, eine wahre Diana mit dunkelm Haar, klassischem Gesichtsschnitt und vollendetem Weltschliff. Reich mich, aber das war Nebensache, denn er konnte ihr eine Stellung bieten, die auf derselben Höhe war wie die ihres verstorbnen Vaters, und einen Namen, der an und für sich einen ebenso guten Klang hatte, und den er selbst uoch klangvoller machen wollte, das durfte er sich zutrauen. Seit Anfang des Semesters war er hier in der Musenstadt. Der Ruf an die Universität hatte ihn ereilt, wahrend er in Italien war, wo er die letzten Jahre Riegen seiner Kunststudien zugebracht hatte, denn er war Archäologe und Kunsthistoriker. Er hatte sich natürlich nicht einen Augenblick besonnen, denn der Ruf war höchst ehrenvoll. Und schließlich war er, da sich der Abschluß von Studien, die er be¬ gonnen hatte, hinauszog, ohne den Umweg über seine Heimat hierhergekommen und hatte seiue Lehrthätigkeit begonnen. Es war nicht anders möglich gewesen; die Mutter hatte allerdings geschmollt, aber sein alter Herr war einverstanden gewesen. Er war ja selbst Professor der Architektur am Polytechnikum daheim. Und dann war das geschehn, was sehr häufig alsbald zu geschehen pflegt, wenn man ledigerweise ordentlicher Professor wird, er war seinem „Ideal" begegnet. Er hatte auch nicht die Absicht, lange zu fackeln. Zeichen davon, daß seine unver¬ hohlene Bewunderung nicht mißfällig aufgenommen wurde, glaubte er bemerkt zu haben; es war auch ganz natürlich, Gleich gesellt sich zu Gleich, und von allem andern abgesehen, er war doch ein famoser Kerl und hätte als Gardekavallcrieoffizier ebenso gut Figur gemacht wie als Knnstprofessor. Die Weihnachts- und die Neujahrs¬ gesellschaften boten Gelegenheit zu weiterer Annäherung, und bet einer dieser Ge- legenheiten wollte er es zur Entscheidung bringen. Er hatte auch heim geschrieben, zuerst andeutungsweise, daß er vielleicht in den Weihnachtsferien verhindert sein könnte, heim zu kommen, dann bestimmt, es wäre nicht möglich, und endlich hatte er verblümte Anspielungen auf ein Ideal gemacht. Die Mutter hatte einen Brief voll Ausrufungszeichen geschrieben und ihrem Jungen dringende Mahnungen erteilt, nichts Übereiltes zu thun und sein Herz recht zu prüfen — es hatte ihn königlich amüsiert —, und der Vater hatte geschwiegen. Also war er einverstanden mit den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/684>, abgerufen am 01.09.2024.