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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Im Rampf uns Leben

stehende soweit als möglich zu erhalten. Und überdies bot die Mühlberger
Ausstellung auch dem verwöhnten Fremdling wenigstens eine interessante
Abteilung: die Sammlung von Studien und Bildern des bekannten Schwarz¬
waldmalers Wilhelm Hasemann, der (geb. 1851) ein Mühlberger Kind ist.
Er hat zwar die Heimat verlassen, und sein Pinsel verherrlicht jetzt die Tannen
und die Bauern des Kinzigthals, aber die Lust zur Kunst ist ihm doch in
seiner malerischen Heimat aufgegnngeu, und die ersten Bilder, die er schuf,
stellen Szenen aus dem Mühlberger Leben und Typen aus der Mühlberger
Bevölkerung dar.

Wer die intimsten Kundgebungen des Mühlberger Stadtgeistes genießen
will, muß auch einmal einen Abendschoppen im Ratskeller einnehmen. Dort
kam ein redseliger Alter an unsern Tisch, weil ihm, wie er selbst bekannte,
die Neugierde, zu erfahren, wer wir wären, fast das Herz abdrückte. Wir be¬
halten aber trotzig ans unserm Inkognito, obwohl er sich als Veteran aus
dein amerikanischen Bürgerkriege (1861 bis 1864) auf die "allgemeinen
Menschenrechte" und schließlich auch auf die Aufklärung Friedrichs des Großen
berief. Als auch diese historischen Reminiszenzen uns unser Geheimnis nicht
entlockten, zeigte er sein wahres Herz und brach uus "Überstrehlaischen" gegen¬
über in einen begeisterten Lobpreis seiner Baterstadt ans, an der er als welt-
befahrner Mann dreierlei rühmte: erstens, sie habe zwar ein Amtsgericht, aber
Gott sei Dank keinen Rechtsanwalt; ein solcher müsse in Mühlberg verhungern,
da die Bürger alles untereinander schlichteten; zweitens, Mühlberg habe weder
eine Fabrikesse noch einen Bahnhof; und drittens, ein einziger Gemeindediener
genüge, Sicherheit und Ordnung in der Stadt bei Tag und Nacht aufrecht
zu erhalten, und dieser habe seit länger als einem Jahre keinen Menschen fest¬
genommen.

Neidisch verließen wir nach solchen Eröffnungen den gastlichen Ratskeller
und wanderten beim Silberscheine des Mondes durch die stillen Gassen unserm
stillen Gasthause zu. Dampfpfeife, Eisenbahn und geschwärzte Gesichter müder
Fabrikarbeiter lagen wie ein böser Traum hinter uns. Wir schliefen sanfter
und friedlicher als seit langer Zeit, und auch am Morgen weckte uns nicht
die "Elektrische," sondern das harmlose Gezänk des Gänserichs mit dem Hof¬
hunde. Glückliches Mühlberg!




Im Kampf ums Leben
Johann Skjoldborg Erzählung von

>och oben in Jütland, dort wo die Wogen des Slugerrciks unauf¬
hörlich ans Ufer schlagen, zieh" sich ins flache Land hinein lang¬
gestreckte, wellenförmige Hügelketten von Flugsand, die seit Jahr¬
hunderten dort angeschwemmt und zusammengewebt worden sind.
Von den ebnen Flächen zwischen diesem Sandgebirge steigt der Rauch
--laus einsam liegenden Hütten auf, und dort zieht der Pflug des
"Nhbyggers," des sich neu ansiedelnden Bauern, seine Furchen.diM^-
PKM-
ickMM

Von Urzeiten her liegt dort unbebautes Land für jungen Mut und junge


Grenzboten IV 1901 K3
Im Rampf uns Leben

stehende soweit als möglich zu erhalten. Und überdies bot die Mühlberger
Ausstellung auch dem verwöhnten Fremdling wenigstens eine interessante
Abteilung: die Sammlung von Studien und Bildern des bekannten Schwarz¬
waldmalers Wilhelm Hasemann, der (geb. 1851) ein Mühlberger Kind ist.
Er hat zwar die Heimat verlassen, und sein Pinsel verherrlicht jetzt die Tannen
und die Bauern des Kinzigthals, aber die Lust zur Kunst ist ihm doch in
seiner malerischen Heimat aufgegnngeu, und die ersten Bilder, die er schuf,
stellen Szenen aus dem Mühlberger Leben und Typen aus der Mühlberger
Bevölkerung dar.

Wer die intimsten Kundgebungen des Mühlberger Stadtgeistes genießen
will, muß auch einmal einen Abendschoppen im Ratskeller einnehmen. Dort
kam ein redseliger Alter an unsern Tisch, weil ihm, wie er selbst bekannte,
die Neugierde, zu erfahren, wer wir wären, fast das Herz abdrückte. Wir be¬
halten aber trotzig ans unserm Inkognito, obwohl er sich als Veteran aus
dein amerikanischen Bürgerkriege (1861 bis 1864) auf die „allgemeinen
Menschenrechte" und schließlich auch auf die Aufklärung Friedrichs des Großen
berief. Als auch diese historischen Reminiszenzen uns unser Geheimnis nicht
entlockten, zeigte er sein wahres Herz und brach uus „Überstrehlaischen" gegen¬
über in einen begeisterten Lobpreis seiner Baterstadt ans, an der er als welt-
befahrner Mann dreierlei rühmte: erstens, sie habe zwar ein Amtsgericht, aber
Gott sei Dank keinen Rechtsanwalt; ein solcher müsse in Mühlberg verhungern,
da die Bürger alles untereinander schlichteten; zweitens, Mühlberg habe weder
eine Fabrikesse noch einen Bahnhof; und drittens, ein einziger Gemeindediener
genüge, Sicherheit und Ordnung in der Stadt bei Tag und Nacht aufrecht
zu erhalten, und dieser habe seit länger als einem Jahre keinen Menschen fest¬
genommen.

Neidisch verließen wir nach solchen Eröffnungen den gastlichen Ratskeller
und wanderten beim Silberscheine des Mondes durch die stillen Gassen unserm
stillen Gasthause zu. Dampfpfeife, Eisenbahn und geschwärzte Gesichter müder
Fabrikarbeiter lagen wie ein böser Traum hinter uns. Wir schliefen sanfter
und friedlicher als seit langer Zeit, und auch am Morgen weckte uns nicht
die „Elektrische," sondern das harmlose Gezänk des Gänserichs mit dem Hof¬
hunde. Glückliches Mühlberg!




Im Kampf ums Leben
Johann Skjoldborg Erzählung von

>och oben in Jütland, dort wo die Wogen des Slugerrciks unauf¬
hörlich ans Ufer schlagen, zieh» sich ins flache Land hinein lang¬
gestreckte, wellenförmige Hügelketten von Flugsand, die seit Jahr¬
hunderten dort angeschwemmt und zusammengewebt worden sind.
Von den ebnen Flächen zwischen diesem Sandgebirge steigt der Rauch
—laus einsam liegenden Hütten auf, und dort zieht der Pflug des
„Nhbyggers," des sich neu ansiedelnden Bauern, seine Furchen.diM^-
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Von Urzeiten her liegt dort unbebautes Land für jungen Mut und junge


Grenzboten IV 1901 K3
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[0505] Im Rampf uns Leben stehende soweit als möglich zu erhalten. Und überdies bot die Mühlberger Ausstellung auch dem verwöhnten Fremdling wenigstens eine interessante Abteilung: die Sammlung von Studien und Bildern des bekannten Schwarz¬ waldmalers Wilhelm Hasemann, der (geb. 1851) ein Mühlberger Kind ist. Er hat zwar die Heimat verlassen, und sein Pinsel verherrlicht jetzt die Tannen und die Bauern des Kinzigthals, aber die Lust zur Kunst ist ihm doch in seiner malerischen Heimat aufgegnngeu, und die ersten Bilder, die er schuf, stellen Szenen aus dem Mühlberger Leben und Typen aus der Mühlberger Bevölkerung dar. Wer die intimsten Kundgebungen des Mühlberger Stadtgeistes genießen will, muß auch einmal einen Abendschoppen im Ratskeller einnehmen. Dort kam ein redseliger Alter an unsern Tisch, weil ihm, wie er selbst bekannte, die Neugierde, zu erfahren, wer wir wären, fast das Herz abdrückte. Wir be¬ halten aber trotzig ans unserm Inkognito, obwohl er sich als Veteran aus dein amerikanischen Bürgerkriege (1861 bis 1864) auf die „allgemeinen Menschenrechte" und schließlich auch auf die Aufklärung Friedrichs des Großen berief. Als auch diese historischen Reminiszenzen uns unser Geheimnis nicht entlockten, zeigte er sein wahres Herz und brach uus „Überstrehlaischen" gegen¬ über in einen begeisterten Lobpreis seiner Baterstadt ans, an der er als welt- befahrner Mann dreierlei rühmte: erstens, sie habe zwar ein Amtsgericht, aber Gott sei Dank keinen Rechtsanwalt; ein solcher müsse in Mühlberg verhungern, da die Bürger alles untereinander schlichteten; zweitens, Mühlberg habe weder eine Fabrikesse noch einen Bahnhof; und drittens, ein einziger Gemeindediener genüge, Sicherheit und Ordnung in der Stadt bei Tag und Nacht aufrecht zu erhalten, und dieser habe seit länger als einem Jahre keinen Menschen fest¬ genommen. Neidisch verließen wir nach solchen Eröffnungen den gastlichen Ratskeller und wanderten beim Silberscheine des Mondes durch die stillen Gassen unserm stillen Gasthause zu. Dampfpfeife, Eisenbahn und geschwärzte Gesichter müder Fabrikarbeiter lagen wie ein böser Traum hinter uns. Wir schliefen sanfter und friedlicher als seit langer Zeit, und auch am Morgen weckte uns nicht die „Elektrische," sondern das harmlose Gezänk des Gänserichs mit dem Hof¬ hunde. Glückliches Mühlberg! Im Kampf ums Leben Johann Skjoldborg Erzählung von >och oben in Jütland, dort wo die Wogen des Slugerrciks unauf¬ hörlich ans Ufer schlagen, zieh» sich ins flache Land hinein lang¬ gestreckte, wellenförmige Hügelketten von Flugsand, die seit Jahr¬ hunderten dort angeschwemmt und zusammengewebt worden sind. Von den ebnen Flächen zwischen diesem Sandgebirge steigt der Rauch —laus einsam liegenden Hütten auf, und dort zieht der Pflug des „Nhbyggers," des sich neu ansiedelnden Bauern, seine Furchen.diM^- PKM- ickMM Von Urzeiten her liegt dort unbebautes Land für jungen Mut und junge Grenzboten IV 1901 K3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/505>, abgerufen am 13.11.2024.