Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.worden ist, kann ohne und gegen seinen Willen in seinen Rechten beschränkt, 9, Der Bundesrat hat in Elsaß-Lothringen zugleich die Stellung einer So bildet denu Elsaß-Lothringen hente ein merkwürdiges Zwitterding Es bedarf keines Beweises, daß diese Unsicherheit und Unklarheit des in Z Wie schon erwähnt worden ist, ist die Einführung des Provisoriums 1871 worden ist, kann ohne und gegen seinen Willen in seinen Rechten beschränkt, 9, Der Bundesrat hat in Elsaß-Lothringen zugleich die Stellung einer So bildet denu Elsaß-Lothringen hente ein merkwürdiges Zwitterding Es bedarf keines Beweises, daß diese Unsicherheit und Unklarheit des in Z Wie schon erwähnt worden ist, ist die Einführung des Provisoriums 1871 <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236101"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1084" prev="#ID_1083"> worden ist, kann ohne und gegen seinen Willen in seinen Rechten beschränkt,<lb/> in seiner Zusammensetzung verändert oder ganz aufgehoben werden. Er ist<lb/> — um einen Ausdruck von Jellinek zu gebrauchen — kein unmittelbares,<lb/> sondern ein mittelbares Staatsorgan,</p><lb/> <p xml:id="ID_1085"> 9, Der Bundesrat hat in Elsaß-Lothringen zugleich die Stellung einer<lb/> ersten Kaminer und eines Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten, Ein<lb/> Kollegium von fremden Gesandten außerhalb des Landes, dessen Mitglieder<lb/> nicht einmal nach ihrer Überzeugung stimmen dürfen, sondern die Instruktionen<lb/> ihrer Regierungen befolgen müssen, übt also in elsnß-lothringischen Landes-<lb/> angelegenheiten gesetzgeberische und richterliche Befugnisse aus! Die Vertreter<lb/> von Mecklenburg-Strelitz, Neuß und Lippe können im Bundesrat über Interna<lb/> der rcichsländischen Verwaltung, z, B, über die Disziplin der reichsläudischen<lb/> Richter, die Rechtsverhältnisse der rcichsländischen Lehrer, der reichsländischen<lb/> Notariats- und Stempelgebühren abstimmen; die Vertreter von Elsaß-Lothringen<lb/> im Bundesrat haben weder in ihren speziellen Landesangelegenheiten noch in<lb/> den allgemeinen Reichsangelegenheiten ein Stimmrecht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1086"> So bildet denu Elsaß-Lothringen hente ein merkwürdiges Zwitterding<lb/> zwischen Staat und Provinz, ans das wohl am besten der Ausdruck paßt, mit<lb/> dem einst Samuel von Pufendorf das römische Reich deutscher Nation be¬<lb/> zeichnet hat: es ist ein luoustrnm xoiitiouiu! Der Januskopf, den es in staats¬<lb/> rechtlicher Beziehung trägt, hat zur Folge, daß es gegenwärtig nicht weniger<lb/> als zehn verschiedne Theorien über die juristische Natur des Reichslands giebt.<lb/> Laband, Löning, Hänel und Ruville erklären es für eine Provinz; dagegen<lb/> halten Max von Sehdel, Leon!, Croissant, Rosenberg und Neben es für einen<lb/> Staat. Eine vermittelnde Ansicht vertrat früher Leoni und vertritt jetzt Jellinek.<lb/> Lemm nannte es ein „Staatswesen," Jellinek bezeichnet es als° „Staats¬<lb/> fragment." Im einzelnen weichen die genannten Schriftsteller wieder sehr<lb/> voneinander ab. Laband definiert das Reichsland als ein „Vermögenssubjekt,"<lb/> Löning als einen „autonomen SelbstvcrwaltungSkörpcr," Hänel als einen<lb/> „geographischen Begriff," Nuville als „säkularisiertes Kirchengut oder städtischen<lb/> Besitz," Seydel als „souveränes" Gemeinwesen, Leoni als „Monarchie," Rosen¬<lb/> berg ° als „Vasallenstaat," Neben als „staatsrechtliches Nebenland."</p><lb/> <p xml:id="ID_1087"> Es bedarf keines Beweises, daß diese Unsicherheit und Unklarheit des in<lb/> Elsaß-Lothringen geltenden Verfassungsrechts die politische Agitation dagegen<lb/> sehr begünstigen und erleichtern muß.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Z</head><lb/> <p xml:id="ID_1088" next="#ID_1089"> Wie schon erwähnt worden ist, ist die Einführung des Provisoriums 1871<lb/> in Elsaß-Lothringen mit zwei Gründen gerechtfertigt worden: mit der Un¬<lb/> kenntnis der im Reichslande bestehenden politischen Zustände und mit der Un¬<lb/> kenntnis der politischen Wünsche seiner Bewohner. Beide Gründe sind längst<lb/> weggefallen. Die Frage, welche definitive Stellung das Land im Deutschen<lb/> Reiche einnehmen soll, ist heute — nach dreißig Jahren deutscher Herrschaft —<lb/> vollkommen spruchreif. Interessant ist es nnn, daß sich in Elsaß-Lothringen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
worden ist, kann ohne und gegen seinen Willen in seinen Rechten beschränkt,
in seiner Zusammensetzung verändert oder ganz aufgehoben werden. Er ist
— um einen Ausdruck von Jellinek zu gebrauchen — kein unmittelbares,
sondern ein mittelbares Staatsorgan,
9, Der Bundesrat hat in Elsaß-Lothringen zugleich die Stellung einer
ersten Kaminer und eines Gerichtshofs für kirchliche Angelegenheiten, Ein
Kollegium von fremden Gesandten außerhalb des Landes, dessen Mitglieder
nicht einmal nach ihrer Überzeugung stimmen dürfen, sondern die Instruktionen
ihrer Regierungen befolgen müssen, übt also in elsnß-lothringischen Landes-
angelegenheiten gesetzgeberische und richterliche Befugnisse aus! Die Vertreter
von Mecklenburg-Strelitz, Neuß und Lippe können im Bundesrat über Interna
der rcichsländischen Verwaltung, z, B, über die Disziplin der reichsläudischen
Richter, die Rechtsverhältnisse der rcichsländischen Lehrer, der reichsländischen
Notariats- und Stempelgebühren abstimmen; die Vertreter von Elsaß-Lothringen
im Bundesrat haben weder in ihren speziellen Landesangelegenheiten noch in
den allgemeinen Reichsangelegenheiten ein Stimmrecht!
So bildet denu Elsaß-Lothringen hente ein merkwürdiges Zwitterding
zwischen Staat und Provinz, ans das wohl am besten der Ausdruck paßt, mit
dem einst Samuel von Pufendorf das römische Reich deutscher Nation be¬
zeichnet hat: es ist ein luoustrnm xoiitiouiu! Der Januskopf, den es in staats¬
rechtlicher Beziehung trägt, hat zur Folge, daß es gegenwärtig nicht weniger
als zehn verschiedne Theorien über die juristische Natur des Reichslands giebt.
Laband, Löning, Hänel und Ruville erklären es für eine Provinz; dagegen
halten Max von Sehdel, Leon!, Croissant, Rosenberg und Neben es für einen
Staat. Eine vermittelnde Ansicht vertrat früher Leoni und vertritt jetzt Jellinek.
Lemm nannte es ein „Staatswesen," Jellinek bezeichnet es als° „Staats¬
fragment." Im einzelnen weichen die genannten Schriftsteller wieder sehr
voneinander ab. Laband definiert das Reichsland als ein „Vermögenssubjekt,"
Löning als einen „autonomen SelbstvcrwaltungSkörpcr," Hänel als einen
„geographischen Begriff," Nuville als „säkularisiertes Kirchengut oder städtischen
Besitz," Seydel als „souveränes" Gemeinwesen, Leoni als „Monarchie," Rosen¬
berg ° als „Vasallenstaat," Neben als „staatsrechtliches Nebenland."
Es bedarf keines Beweises, daß diese Unsicherheit und Unklarheit des in
Elsaß-Lothringen geltenden Verfassungsrechts die politische Agitation dagegen
sehr begünstigen und erleichtern muß.
Z
Wie schon erwähnt worden ist, ist die Einführung des Provisoriums 1871
in Elsaß-Lothringen mit zwei Gründen gerechtfertigt worden: mit der Un¬
kenntnis der im Reichslande bestehenden politischen Zustände und mit der Un¬
kenntnis der politischen Wünsche seiner Bewohner. Beide Gründe sind längst
weggefallen. Die Frage, welche definitive Stellung das Land im Deutschen
Reiche einnehmen soll, ist heute — nach dreißig Jahren deutscher Herrschaft —
vollkommen spruchreif. Interessant ist es nnn, daß sich in Elsaß-Lothringen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |