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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Graf Bülow und die Enthüllung des Vismarck-
denkmals

in 16. Juni, am dreißigsten Jahrestage des Triumpheinzugs
von 1871, ist vor dein Kaiser und den Vertretern der Nation
das Nationaldenkmal des ersten Reichskanzlers enthüllt worden.
Den Kern der Feier bildete ohne Frage die meisterhafte Rede des
Grafen Bülow, seines Schülers und Nachfolgers. Sie war mehr
als eine Festrede, sie war eine Art von Programmrede. Vor dem Kaiser, vor
allem Volke, vor aller Welt bekannte sich der Reichskanzler als rückhaltlosen Be¬
wundrer des Fürsten Bismarck; er betonte gleich beim Beginn, daß die Spuren
von seinen Erdentagen niemals untergehn, daß die Bewundrung und Dankbar¬
keit für ihn nicht aufhören werde, daß, nachdem der Staub des Kampfes ver¬
flogen sei, der Haß vor dem Ruhm weiche, und nichts übrig bleibe als die
Erinnerung an unerreichte Thaten und eine unvergleichliche Persönlichkeit, die
nur in Deutschland denkbar, nur für den Deutschen ganz verständlich sei, weil
Bismarck vor allem ein Deutscher im vollsten Sinne des Worts war. Er
nannte die Zeit, die Fürst Bismarck heraufgeführt hat, die größte Epoche der
deutschen Geschichte, er sprach zum Schlüsse den Wunsch aus, daß des großen
Mannes Name als Feuersäule vor unserm Volk hcrziehn möge in guten und
in schweren Tagen, daß sein Geist für immer mit uns sein möge, mit uns und
unsrer Fahnen Flug. Er häufte sozusagen allen Ruhm der Reichsgründung
auf den Namen Bismarck; sogar des Anteils Kaiser Wilhelms 1. gedachte er
nicht ausdrücklich, weil er selbstverständlich ist, und weil der Tag dem großen
Kanzler galt. Er wies ihm aber seine historische Stellung auch dadurch an, daß
er ihn nicht nur als den Vollender dessen pries, was Ottonen, Salier und Hohen-
staufen vergeblich angestrebt hatten, was den Kämpfern von 1813 als Sieges¬
preis vorschwebte, sondern auch als den Bahnbrecher einer neuen Zeit. "In
jeder Hinsicht stehn wir auf seinen Schultern. Nicht in dem Sinne, als ob es
vaterländische Pflicht wäre, alles zu billigen, was er gesagt und gethan hat.


Grenzboten Ill 1901 I


Graf Bülow und die Enthüllung des Vismarck-
denkmals

in 16. Juni, am dreißigsten Jahrestage des Triumpheinzugs
von 1871, ist vor dein Kaiser und den Vertretern der Nation
das Nationaldenkmal des ersten Reichskanzlers enthüllt worden.
Den Kern der Feier bildete ohne Frage die meisterhafte Rede des
Grafen Bülow, seines Schülers und Nachfolgers. Sie war mehr
als eine Festrede, sie war eine Art von Programmrede. Vor dem Kaiser, vor
allem Volke, vor aller Welt bekannte sich der Reichskanzler als rückhaltlosen Be¬
wundrer des Fürsten Bismarck; er betonte gleich beim Beginn, daß die Spuren
von seinen Erdentagen niemals untergehn, daß die Bewundrung und Dankbar¬
keit für ihn nicht aufhören werde, daß, nachdem der Staub des Kampfes ver¬
flogen sei, der Haß vor dem Ruhm weiche, und nichts übrig bleibe als die
Erinnerung an unerreichte Thaten und eine unvergleichliche Persönlichkeit, die
nur in Deutschland denkbar, nur für den Deutschen ganz verständlich sei, weil
Bismarck vor allem ein Deutscher im vollsten Sinne des Worts war. Er
nannte die Zeit, die Fürst Bismarck heraufgeführt hat, die größte Epoche der
deutschen Geschichte, er sprach zum Schlüsse den Wunsch aus, daß des großen
Mannes Name als Feuersäule vor unserm Volk hcrziehn möge in guten und
in schweren Tagen, daß sein Geist für immer mit uns sein möge, mit uns und
unsrer Fahnen Flug. Er häufte sozusagen allen Ruhm der Reichsgründung
auf den Namen Bismarck; sogar des Anteils Kaiser Wilhelms 1. gedachte er
nicht ausdrücklich, weil er selbstverständlich ist, und weil der Tag dem großen
Kanzler galt. Er wies ihm aber seine historische Stellung auch dadurch an, daß
er ihn nicht nur als den Vollender dessen pries, was Ottonen, Salier und Hohen-
staufen vergeblich angestrebt hatten, was den Kämpfern von 1813 als Sieges¬
preis vorschwebte, sondern auch als den Bahnbrecher einer neuen Zeit. „In
jeder Hinsicht stehn wir auf seinen Schultern. Nicht in dem Sinne, als ob es
vaterländische Pflicht wäre, alles zu billigen, was er gesagt und gethan hat.


Grenzboten Ill 1901 I
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[0009] [Abbildung] Graf Bülow und die Enthüllung des Vismarck- denkmals in 16. Juni, am dreißigsten Jahrestage des Triumpheinzugs von 1871, ist vor dein Kaiser und den Vertretern der Nation das Nationaldenkmal des ersten Reichskanzlers enthüllt worden. Den Kern der Feier bildete ohne Frage die meisterhafte Rede des Grafen Bülow, seines Schülers und Nachfolgers. Sie war mehr als eine Festrede, sie war eine Art von Programmrede. Vor dem Kaiser, vor allem Volke, vor aller Welt bekannte sich der Reichskanzler als rückhaltlosen Be¬ wundrer des Fürsten Bismarck; er betonte gleich beim Beginn, daß die Spuren von seinen Erdentagen niemals untergehn, daß die Bewundrung und Dankbar¬ keit für ihn nicht aufhören werde, daß, nachdem der Staub des Kampfes ver¬ flogen sei, der Haß vor dem Ruhm weiche, und nichts übrig bleibe als die Erinnerung an unerreichte Thaten und eine unvergleichliche Persönlichkeit, die nur in Deutschland denkbar, nur für den Deutschen ganz verständlich sei, weil Bismarck vor allem ein Deutscher im vollsten Sinne des Worts war. Er nannte die Zeit, die Fürst Bismarck heraufgeführt hat, die größte Epoche der deutschen Geschichte, er sprach zum Schlüsse den Wunsch aus, daß des großen Mannes Name als Feuersäule vor unserm Volk hcrziehn möge in guten und in schweren Tagen, daß sein Geist für immer mit uns sein möge, mit uns und unsrer Fahnen Flug. Er häufte sozusagen allen Ruhm der Reichsgründung auf den Namen Bismarck; sogar des Anteils Kaiser Wilhelms 1. gedachte er nicht ausdrücklich, weil er selbstverständlich ist, und weil der Tag dem großen Kanzler galt. Er wies ihm aber seine historische Stellung auch dadurch an, daß er ihn nicht nur als den Vollender dessen pries, was Ottonen, Salier und Hohen- staufen vergeblich angestrebt hatten, was den Kämpfern von 1813 als Sieges¬ preis vorschwebte, sondern auch als den Bahnbrecher einer neuen Zeit. „In jeder Hinsicht stehn wir auf seinen Schultern. Nicht in dem Sinne, als ob es vaterländische Pflicht wäre, alles zu billigen, was er gesagt und gethan hat. Grenzboten Ill 1901 I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/9>, abgerufen am 28.06.2024.