Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.etwa mit der einfachen Herleitung von sans, d, h, Messer, sondern nach einer Be¬ Das deutsche Volkslied. Ausgewählt und erläutert von ol'. Julius Sahr, Leipzig, G. I. Göschensche Verlagshandlung, 1901 Dieses Bändchen ist, wie wenig andre Bücher, die einen ähnlichen Zweck im etwa mit der einfachen Herleitung von sans, d, h, Messer, sondern nach einer Be¬ Das deutsche Volkslied. Ausgewählt und erläutert von ol'. Julius Sahr, Leipzig, G. I. Göschensche Verlagshandlung, 1901 Dieses Bändchen ist, wie wenig andre Bücher, die einen ähnlichen Zweck im <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234776"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> etwa mit der einfachen Herleitung von sans, d, h, Messer, sondern nach einer Be¬<lb/> gründung des Namens durch einen bestimmten Vorfall verlangten; ein solcher Vorfall<lb/> war die von Widukind (zehntes Jahrhundert) erzählte Zusammenkunft zwischen Sachsen<lb/> und Thüringern. Dieser Bericht, der der naiven Denkweise unsrer Altvordern so sehr<lb/> zusagte, ging auch in spätere Überlieferung, wie in die Kaiscrchronik und das Anno¬<lb/> lied (elftes Jahrhundert), über. — Daß die neue Zeitschrift im Ernst einem „längst<lb/> gefühlten Bedürfnis" entspricht und sich voraussichtlich bald bei viele» das Ansehen<lb/> einer maßgebenden Auskunftsstelle für entscheidende Anliegen im Bereiche der deutscheu<lb/> Wortforschung erringen wird, darauf weisen schon jetzt die An- und Anfragen sowie<lb/> zahlreiche Nachträge zu verschiednen Artikeln der frühern Hefte hin. So ist jetzt<lb/> die Annahme, Goethe habe dem modischen Schlagwort Übermensch den Zutritt in<lb/> unsre Litteratur geöffnet, widerlegt und höchst wahrscheinlich gemacht worden, daß<lb/> er das Wort Herdern verdankte, der es ans der theologischen Litteratur empfing<lb/> und ihm Wohl den seitdem verblichnen Bedeutungsinhalt verlieh. Ebenso bringt<lb/> dieses Heft neue Zeugnisse zu vielnmstrittnen Wörtern, über deren ursprünglichen Sinn<lb/> oder deren Herkunft noch jetzt Zweifel walten, wie Philister, böse Sieben u.a.,<lb/> über die sich freilich die Akten nicht so bald werden geschlossen haben. Sehr einleuchtend<lb/> aber ist eine neue Erklärung, die den alten, an manchen Orten noch volksmäßigen<lb/> Namen des Februars, den Hornung aufzuhellen scheint, den man bisher als kleinen<lb/> Horn, d. h. Sohn des Januars, gedeutet hat. G. Bilfinger bestätigt und begründet<lb/> eine Vermutung Kluges, die dieser schon in der vierten Auflage seines Etymologischen<lb/> Wörterbuchs fragweise aufgeworfen hatte, nämlich daß das deutsche Wort mit dem<lb/> altnordischen nornnnAr verwandt sei. Dies ist als Adjektiv in dem Sinn „einer<lb/> Sache beraubt" nachgewiesen: aus der ursprünglichen Bedeutung „der, der in der<lb/> Ecke (dorn) sitzt" entwickelte sich die von „unehelicher Sohn," weiterhin überhaupt<lb/> „der, der zurückgesetzt, in seinem Erbteil verkürzt ist," und schließlich verallgemeinert<lb/> in der zuerst angeführten Bedeutung spolmtus aliqua. r«z. Mit gemütlichen Humor<lb/> wäre denn der Februar mit seinen achtundzwanzig Tagen im Gegensatz zu dem<lb/> unmittelbar voraufgehenden Bruder, dem Januar, der einunddreißig Tage hat und<lb/> darum auch den Namen „Vollboren" führt, als nicht Vollbürtiger, als einer, der<lb/> nicht ein volles, ungeschmälertes Erbteil angetreten hat, kurz als Bastard bezeichnet<lb/> worden. Unterstützt wird diese Auffassung durch Benennung des Februars in andern<lb/> Sprachen: so heißt er im Vlämischeu mit Anspielung ans die verkürzte Zahl der<lb/> Tage Irvt Kork wÄnäoKcm (das kurze Monatchen) und im Wallonischen is polie wen<lb/> (— ig pgtit wolf). Freilich bleibt bei dieser einfachen und sonst so plausibeln Er¬<lb/> klärung die Benennung des Januars als des großen Horn unergründet. — Neu<lb/> hinzugetreten ist in diesem Hefte eine Bücherschall, und geschmückt wird der Band<lb/> durch das Bildnis des von Kluge als „ersten Kenners unsrer mittelalterlichen Sprache"<lb/> gerühmten Fedor Bens, der im Oktober vorigen Jahres als ehrwürdiger Achtzig¬<lb/> jähriger in Zeitz gestorben ist.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Das deutsche Volkslied. Ausgewählt und erläutert von ol'. Julius Sahr, Leipzig,<lb/> G. I. Göschensche Verlagshandlung, 1901</head><lb/> <p xml:id="ID_723" next="#ID_724"> Dieses Bändchen ist, wie wenig andre Bücher, die einen ähnlichen Zweck im<lb/> Ange haben, geeignet, zu einem tiefern Verständnis des deutschen Volkslieds hin¬<lb/> zuführen. Es bietet ein halbes Hundert der schönsten, mit feinem Sinn ans der<lb/> fast unübersehbaren Fülle schon gedruckter Sammlungen ausgewählten Lieder, die<lb/> der Herausgeber mit den erforderlichen Spracherklärungen versehen und nach der<lb/> historischen sowie der ästhetischen Seite in vorzüglichen Einleitungen erläutert hat.<lb/> Eine gehaltvolle allgemeine Einleitung handelt über Geschichte und Wesen, Form<lb/> und Inhalt des deutschen Volkslieds, und die musterhaft abgerundeten, den ver-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
etwa mit der einfachen Herleitung von sans, d, h, Messer, sondern nach einer Be¬
gründung des Namens durch einen bestimmten Vorfall verlangten; ein solcher Vorfall
war die von Widukind (zehntes Jahrhundert) erzählte Zusammenkunft zwischen Sachsen
und Thüringern. Dieser Bericht, der der naiven Denkweise unsrer Altvordern so sehr
zusagte, ging auch in spätere Überlieferung, wie in die Kaiscrchronik und das Anno¬
lied (elftes Jahrhundert), über. — Daß die neue Zeitschrift im Ernst einem „längst
gefühlten Bedürfnis" entspricht und sich voraussichtlich bald bei viele» das Ansehen
einer maßgebenden Auskunftsstelle für entscheidende Anliegen im Bereiche der deutscheu
Wortforschung erringen wird, darauf weisen schon jetzt die An- und Anfragen sowie
zahlreiche Nachträge zu verschiednen Artikeln der frühern Hefte hin. So ist jetzt
die Annahme, Goethe habe dem modischen Schlagwort Übermensch den Zutritt in
unsre Litteratur geöffnet, widerlegt und höchst wahrscheinlich gemacht worden, daß
er das Wort Herdern verdankte, der es ans der theologischen Litteratur empfing
und ihm Wohl den seitdem verblichnen Bedeutungsinhalt verlieh. Ebenso bringt
dieses Heft neue Zeugnisse zu vielnmstrittnen Wörtern, über deren ursprünglichen Sinn
oder deren Herkunft noch jetzt Zweifel walten, wie Philister, böse Sieben u.a.,
über die sich freilich die Akten nicht so bald werden geschlossen haben. Sehr einleuchtend
aber ist eine neue Erklärung, die den alten, an manchen Orten noch volksmäßigen
Namen des Februars, den Hornung aufzuhellen scheint, den man bisher als kleinen
Horn, d. h. Sohn des Januars, gedeutet hat. G. Bilfinger bestätigt und begründet
eine Vermutung Kluges, die dieser schon in der vierten Auflage seines Etymologischen
Wörterbuchs fragweise aufgeworfen hatte, nämlich daß das deutsche Wort mit dem
altnordischen nornnnAr verwandt sei. Dies ist als Adjektiv in dem Sinn „einer
Sache beraubt" nachgewiesen: aus der ursprünglichen Bedeutung „der, der in der
Ecke (dorn) sitzt" entwickelte sich die von „unehelicher Sohn," weiterhin überhaupt
„der, der zurückgesetzt, in seinem Erbteil verkürzt ist," und schließlich verallgemeinert
in der zuerst angeführten Bedeutung spolmtus aliqua. r«z. Mit gemütlichen Humor
wäre denn der Februar mit seinen achtundzwanzig Tagen im Gegensatz zu dem
unmittelbar voraufgehenden Bruder, dem Januar, der einunddreißig Tage hat und
darum auch den Namen „Vollboren" führt, als nicht Vollbürtiger, als einer, der
nicht ein volles, ungeschmälertes Erbteil angetreten hat, kurz als Bastard bezeichnet
worden. Unterstützt wird diese Auffassung durch Benennung des Februars in andern
Sprachen: so heißt er im Vlämischeu mit Anspielung ans die verkürzte Zahl der
Tage Irvt Kork wÄnäoKcm (das kurze Monatchen) und im Wallonischen is polie wen
(— ig pgtit wolf). Freilich bleibt bei dieser einfachen und sonst so plausibeln Er¬
klärung die Benennung des Januars als des großen Horn unergründet. — Neu
hinzugetreten ist in diesem Hefte eine Bücherschall, und geschmückt wird der Band
durch das Bildnis des von Kluge als „ersten Kenners unsrer mittelalterlichen Sprache"
gerühmten Fedor Bens, der im Oktober vorigen Jahres als ehrwürdiger Achtzig¬
jähriger in Zeitz gestorben ist.
Das deutsche Volkslied. Ausgewählt und erläutert von ol'. Julius Sahr, Leipzig,
G. I. Göschensche Verlagshandlung, 1901
Dieses Bändchen ist, wie wenig andre Bücher, die einen ähnlichen Zweck im
Ange haben, geeignet, zu einem tiefern Verständnis des deutschen Volkslieds hin¬
zuführen. Es bietet ein halbes Hundert der schönsten, mit feinem Sinn ans der
fast unübersehbaren Fülle schon gedruckter Sammlungen ausgewählten Lieder, die
der Herausgeber mit den erforderlichen Spracherklärungen versehen und nach der
historischen sowie der ästhetischen Seite in vorzüglichen Einleitungen erläutert hat.
Eine gehaltvolle allgemeine Einleitung handelt über Geschichte und Wesen, Form
und Inhalt des deutschen Volkslieds, und die musterhaft abgerundeten, den ver-
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