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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Handelspolitik im Jahre
(Fortsetzung)

s ist vor einiger Zeit in den Grenzboten gesagt worden,*) am
besten wäre es, wenn die Gctreidezollsrage durch einen besondern
Akt der Gesetzgebung noch vor dein Eintritt in die Handelsver¬
tragsverhandlungen gelöst würde. Die Getreidezölle sollten ganz
aus der Handelsvertragspolitik ausgeschaltet und der Autonomie
des Reichs vorbehalten werden. Leider mußte dabei aber zugegeben werden,
daß daran nicht zu denken sei, solange die Vertreter der Landwirtschaft ihre
Ansprüche wegen der Zollhöhe uicht sehr ermäßigten und die ganze Behand¬
lung der Frage nicht wesentlich anders würde. Der Getreidezoll müsse als
vorübergehende Notstandsmaßregel anerkannt und seine allmähliche Herabsetzung
gesetzlich gesichert werden. Zunächst könnten die bisherigen Zollsätze sür einige
Jahre wohl bestehn bleiben. Dadurch würde der Abschluß langfristiger Handels¬
verträge für die Industrie kaum erschwert werdeu, was unter allen Umstünden
vermieden werden müsse. In spätern besondern Notstandsfällen könnte die
autonome Gesetzgebung des Reichs auch wohl durch Zollerhöhuugcn auf kurze,
fest begrenzte Zeit helfen, ebenso wie bei eintretender Teuerung durch vorüber¬
gehende Herabsetzung oder Aufhebung der Zölle. Natürlich würde in neuen
Handelsverträgen diese mit dem allmählichen Abban verbundne Beweglichkeit
der Kornzölle ausgedrückt werden müssen.

Es kann nicht zweifelhaft sein, daß auf eine solche Behandlung der
Getreidezölle weder die Agrarier eingehn würden, noch die ihnen will¬
fährige Reichstagsmehrheit, der Gedanke sonach zur Zeit nur eine theore¬
tische, keine praktische Bedeutung beanspruchen könne. Die Agrarier ver¬
langen vor allem die Erhöhung der Kornzölle im allgemeinen und auf die
Dauer, denn für absehbare Zeit ist eine wesentliche Änderung der Konkurrenz¬
verhältnisse ans dem Weltmarkt nicht zu erwarten. Auch die Theoretiker, die
der gleitenden Skala das Wort reden, wie von der Goltz, Kühn, auch wohl
Schmoller, gehn im allgemeinen davon aus, daß der Zollschutz zu erhöhn,
aber vou seinem Abban vorläufig gar nicht zu reden sei. Conrad hat viel¬
leicht Recht, wenn er meint, daß der Übergang zur gleitenden Skala in diesem



") Ur. 43 vom 25. Oktober 1900.
Grenzboten I 1901!>


Die Handelspolitik im Jahre
(Fortsetzung)

s ist vor einiger Zeit in den Grenzboten gesagt worden,*) am
besten wäre es, wenn die Gctreidezollsrage durch einen besondern
Akt der Gesetzgebung noch vor dein Eintritt in die Handelsver¬
tragsverhandlungen gelöst würde. Die Getreidezölle sollten ganz
aus der Handelsvertragspolitik ausgeschaltet und der Autonomie
des Reichs vorbehalten werden. Leider mußte dabei aber zugegeben werden,
daß daran nicht zu denken sei, solange die Vertreter der Landwirtschaft ihre
Ansprüche wegen der Zollhöhe uicht sehr ermäßigten und die ganze Behand¬
lung der Frage nicht wesentlich anders würde. Der Getreidezoll müsse als
vorübergehende Notstandsmaßregel anerkannt und seine allmähliche Herabsetzung
gesetzlich gesichert werden. Zunächst könnten die bisherigen Zollsätze sür einige
Jahre wohl bestehn bleiben. Dadurch würde der Abschluß langfristiger Handels¬
verträge für die Industrie kaum erschwert werdeu, was unter allen Umstünden
vermieden werden müsse. In spätern besondern Notstandsfällen könnte die
autonome Gesetzgebung des Reichs auch wohl durch Zollerhöhuugcn auf kurze,
fest begrenzte Zeit helfen, ebenso wie bei eintretender Teuerung durch vorüber¬
gehende Herabsetzung oder Aufhebung der Zölle. Natürlich würde in neuen
Handelsverträgen diese mit dem allmählichen Abban verbundne Beweglichkeit
der Kornzölle ausgedrückt werden müssen.

Es kann nicht zweifelhaft sein, daß auf eine solche Behandlung der
Getreidezölle weder die Agrarier eingehn würden, noch die ihnen will¬
fährige Reichstagsmehrheit, der Gedanke sonach zur Zeit nur eine theore¬
tische, keine praktische Bedeutung beanspruchen könne. Die Agrarier ver¬
langen vor allem die Erhöhung der Kornzölle im allgemeinen und auf die
Dauer, denn für absehbare Zeit ist eine wesentliche Änderung der Konkurrenz¬
verhältnisse ans dem Weltmarkt nicht zu erwarten. Auch die Theoretiker, die
der gleitenden Skala das Wort reden, wie von der Goltz, Kühn, auch wohl
Schmoller, gehn im allgemeinen davon aus, daß der Zollschutz zu erhöhn,
aber vou seinem Abban vorläufig gar nicht zu reden sei. Conrad hat viel¬
leicht Recht, wenn er meint, daß der Übergang zur gleitenden Skala in diesem



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[0073] [Abbildung] Die Handelspolitik im Jahre (Fortsetzung) s ist vor einiger Zeit in den Grenzboten gesagt worden,*) am besten wäre es, wenn die Gctreidezollsrage durch einen besondern Akt der Gesetzgebung noch vor dein Eintritt in die Handelsver¬ tragsverhandlungen gelöst würde. Die Getreidezölle sollten ganz aus der Handelsvertragspolitik ausgeschaltet und der Autonomie des Reichs vorbehalten werden. Leider mußte dabei aber zugegeben werden, daß daran nicht zu denken sei, solange die Vertreter der Landwirtschaft ihre Ansprüche wegen der Zollhöhe uicht sehr ermäßigten und die ganze Behand¬ lung der Frage nicht wesentlich anders würde. Der Getreidezoll müsse als vorübergehende Notstandsmaßregel anerkannt und seine allmähliche Herabsetzung gesetzlich gesichert werden. Zunächst könnten die bisherigen Zollsätze sür einige Jahre wohl bestehn bleiben. Dadurch würde der Abschluß langfristiger Handels¬ verträge für die Industrie kaum erschwert werdeu, was unter allen Umstünden vermieden werden müsse. In spätern besondern Notstandsfällen könnte die autonome Gesetzgebung des Reichs auch wohl durch Zollerhöhuugcn auf kurze, fest begrenzte Zeit helfen, ebenso wie bei eintretender Teuerung durch vorüber¬ gehende Herabsetzung oder Aufhebung der Zölle. Natürlich würde in neuen Handelsverträgen diese mit dem allmählichen Abban verbundne Beweglichkeit der Kornzölle ausgedrückt werden müssen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß auf eine solche Behandlung der Getreidezölle weder die Agrarier eingehn würden, noch die ihnen will¬ fährige Reichstagsmehrheit, der Gedanke sonach zur Zeit nur eine theore¬ tische, keine praktische Bedeutung beanspruchen könne. Die Agrarier ver¬ langen vor allem die Erhöhung der Kornzölle im allgemeinen und auf die Dauer, denn für absehbare Zeit ist eine wesentliche Änderung der Konkurrenz¬ verhältnisse ans dem Weltmarkt nicht zu erwarten. Auch die Theoretiker, die der gleitenden Skala das Wort reden, wie von der Goltz, Kühn, auch wohl Schmoller, gehn im allgemeinen davon aus, daß der Zollschutz zu erhöhn, aber vou seinem Abban vorläufig gar nicht zu reden sei. Conrad hat viel¬ leicht Recht, wenn er meint, daß der Übergang zur gleitenden Skala in diesem ») Ur. 43 vom 25. Oktober 1900. Grenzboten I 1901!>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/73>, abgerufen am 27.06.2024.