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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die Polenkämpfe

n wie heillose Verwirrung sind doch unsre sogenannten politischen
Parteien, obere wie untere Götter, und in wie noch heillosere
viele einstmals gesunde Verstandeskräfte durch diese Polenkämpfe
geraten! Wahrlich, wenn man das alles hört und liest, was
da heute in Reichstag, Regierung und Presse mit vollem Brust¬
ton vorgetragen wird, man könnte daran verzweifeln, daß wir Deutschen
jemals über die politische Quinta hinauskommen werden. Da haben wir eine
Regierung, die in Herrn Stablewski einen würdigen Generalissimus der Pvlen-
streiter nach Posen-Gnesen gesetzt hat, die sich von ihm gefallen läßt, daß er
offen seinen Klerus für deutsche Neigungen unter Strafe setzt, die aber andrer¬
seits polnische Frauen und Lehrer dafür straft, daß sie polnischen Kindern pol¬
nischen Unterricht erteilen. Da haben wir einen Reichstag, der sich mit großer
Mehrheit darüber entrüstet, daß die Reichspost polnisch geschriebne Adressen
beanstandet; da haben wir eine Tagespresse, die laut in das Horn der Ge¬
rechtigkeit stößt, die fordert, daß man dem Polen sein Recht, sich seiner
Muttersprache zu bedienen, nicht vorenthalte, denn die Post sei ein internatio¬
nales Institut, das sich nicht in Politik mischen dürfe usw. Kann man sich
denn etwas Ungereimteres vorstellen, als dieses Gepolter gegen ein paar Post¬
beamte, die ihrem Ärger über die polnischen Herausforderungen und Zerge-
reien mit polnische" Adressen einmal Lauf gegeben haben? Wenn die Post
ordnungs- und gesetzmäßig nach Möglichkeit auch fremde Sprachen gelten lassen
soll, so in"ß es doch wohl der PostVerwaltung überlassen werden, zu ent¬
scheiden, wo die Möglichkeit aufhört, Wenn der Postbeamte in Posen pol¬
nische Briefe zu befördern verpflichtet ist auf Grund des Gesetzes oder der
Postordnung, so ist der Postbeamte in Westfalen ebenso dazu verpflichtet, solche
Briefe mit polnischer Adresse abzuliefern, und fortan wird im ganzen Reich
jeder Postbeamte soviel polnisch lernen müssen, daß er die polnischen Adressen
leicht ins Deutsche übersetzen kann (z. B. Vraclaw in Breslau, Gdansk in


Grenzbote" I 19N1 44


Die Polenkämpfe

n wie heillose Verwirrung sind doch unsre sogenannten politischen
Parteien, obere wie untere Götter, und in wie noch heillosere
viele einstmals gesunde Verstandeskräfte durch diese Polenkämpfe
geraten! Wahrlich, wenn man das alles hört und liest, was
da heute in Reichstag, Regierung und Presse mit vollem Brust¬
ton vorgetragen wird, man könnte daran verzweifeln, daß wir Deutschen
jemals über die politische Quinta hinauskommen werden. Da haben wir eine
Regierung, die in Herrn Stablewski einen würdigen Generalissimus der Pvlen-
streiter nach Posen-Gnesen gesetzt hat, die sich von ihm gefallen läßt, daß er
offen seinen Klerus für deutsche Neigungen unter Strafe setzt, die aber andrer¬
seits polnische Frauen und Lehrer dafür straft, daß sie polnischen Kindern pol¬
nischen Unterricht erteilen. Da haben wir einen Reichstag, der sich mit großer
Mehrheit darüber entrüstet, daß die Reichspost polnisch geschriebne Adressen
beanstandet; da haben wir eine Tagespresse, die laut in das Horn der Ge¬
rechtigkeit stößt, die fordert, daß man dem Polen sein Recht, sich seiner
Muttersprache zu bedienen, nicht vorenthalte, denn die Post sei ein internatio¬
nales Institut, das sich nicht in Politik mischen dürfe usw. Kann man sich
denn etwas Ungereimteres vorstellen, als dieses Gepolter gegen ein paar Post¬
beamte, die ihrem Ärger über die polnischen Herausforderungen und Zerge-
reien mit polnische» Adressen einmal Lauf gegeben haben? Wenn die Post
ordnungs- und gesetzmäßig nach Möglichkeit auch fremde Sprachen gelten lassen
soll, so in„ß es doch wohl der PostVerwaltung überlassen werden, zu ent¬
scheiden, wo die Möglichkeit aufhört, Wenn der Postbeamte in Posen pol¬
nische Briefe zu befördern verpflichtet ist auf Grund des Gesetzes oder der
Postordnung, so ist der Postbeamte in Westfalen ebenso dazu verpflichtet, solche
Briefe mit polnischer Adresse abzuliefern, und fortan wird im ganzen Reich
jeder Postbeamte soviel polnisch lernen müssen, daß er die polnischen Adressen
leicht ins Deutsche übersetzen kann (z. B. Vraclaw in Breslau, Gdansk in


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[0353] [Abbildung] Die Polenkämpfe n wie heillose Verwirrung sind doch unsre sogenannten politischen Parteien, obere wie untere Götter, und in wie noch heillosere viele einstmals gesunde Verstandeskräfte durch diese Polenkämpfe geraten! Wahrlich, wenn man das alles hört und liest, was da heute in Reichstag, Regierung und Presse mit vollem Brust¬ ton vorgetragen wird, man könnte daran verzweifeln, daß wir Deutschen jemals über die politische Quinta hinauskommen werden. Da haben wir eine Regierung, die in Herrn Stablewski einen würdigen Generalissimus der Pvlen- streiter nach Posen-Gnesen gesetzt hat, die sich von ihm gefallen läßt, daß er offen seinen Klerus für deutsche Neigungen unter Strafe setzt, die aber andrer¬ seits polnische Frauen und Lehrer dafür straft, daß sie polnischen Kindern pol¬ nischen Unterricht erteilen. Da haben wir einen Reichstag, der sich mit großer Mehrheit darüber entrüstet, daß die Reichspost polnisch geschriebne Adressen beanstandet; da haben wir eine Tagespresse, die laut in das Horn der Ge¬ rechtigkeit stößt, die fordert, daß man dem Polen sein Recht, sich seiner Muttersprache zu bedienen, nicht vorenthalte, denn die Post sei ein internatio¬ nales Institut, das sich nicht in Politik mischen dürfe usw. Kann man sich denn etwas Ungereimteres vorstellen, als dieses Gepolter gegen ein paar Post¬ beamte, die ihrem Ärger über die polnischen Herausforderungen und Zerge- reien mit polnische» Adressen einmal Lauf gegeben haben? Wenn die Post ordnungs- und gesetzmäßig nach Möglichkeit auch fremde Sprachen gelten lassen soll, so in„ß es doch wohl der PostVerwaltung überlassen werden, zu ent¬ scheiden, wo die Möglichkeit aufhört, Wenn der Postbeamte in Posen pol¬ nische Briefe zu befördern verpflichtet ist auf Grund des Gesetzes oder der Postordnung, so ist der Postbeamte in Westfalen ebenso dazu verpflichtet, solche Briefe mit polnischer Adresse abzuliefern, und fortan wird im ganzen Reich jeder Postbeamte soviel polnisch lernen müssen, daß er die polnischen Adressen leicht ins Deutsche übersetzen kann (z. B. Vraclaw in Breslau, Gdansk in Grenzbote» I 19N1 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/353>, abgerufen am 22.07.2024.