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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Drei Anekdoten aus dem alten Rnrhesscn

des letzten Kurfürsten von Hessen vervollständigen, andrerseits aber auch einen
weitem Beitrag zu den Zustanden Kurhesseus liefern.

l- Der Brand des Gießhauses und seine Folgen

Es war im Jahre 1836 oder vielleicht in den ersten Monaten des fol¬
genden Jahres -- ich war noch nicht lange verheiratet --, da brannte in
Kassel das "Gicßhaus" ab. Dieses Gebäude war vor mehr als hundert
Jahre" von einem Landgrafen von Hessen erbaut worden, um darin Kanonen
gießen zu lassei?. Der Meister, dein diese Arbeit anvertraut wurde, bekam
keinen jährlichen Gehalt, aber dafür wurde ihm die Erlaubnis gegeben, wenn
der Landgraf seine Dienste nicht in Anspruch nahm, das "Gießhaus" zum
gießen andrer Gegenstünde, zur Anfertigung von Maschinen und dergleichen
zu benutzen, und sowohl die Verpflichtung, Kanonen zu gießen, als anch das
Recht, andre Gegenstände zum eignen Nutzen anzufertigen, sollten in der Familie
erblich sein; es war also eine Art Lehen und ist es auch geblieben unter der
Negierung des Königs Jerome bis zum Abbrennen des "Gießhauses."

Es wurde damals natürlich eine Untersuchung über die Entstehung des
Brandes eröffnet, aber es stellte sich heraus, daß weder eine strafbare Absicht
noch eine grobe Fahrlässigkeit vorlag. Die Ursache blieb unerklärt.

Der Oberbergrat Henschel, der in dem abgebrannten Gebäude eine schon
damals sehr bekannte Maschinenfabrik errichtet hatte, und der ein ausge¬
zeichneter Maschinenbauer war, bekam von der preußischen Regierung eine
Anerbietung, er möge eine neue Maschinenfabrik in Preußen, und zwar in der
Nähe von Magdeburg, errichten; er würde dabei vom Staate ans kräftig unter¬
stützt werden. Aber er zog es vor, im Vaterländchen zu bleiben; er baute
dicht bei der Stadt Kassel eine neue Fabrik, die er natürlich in erweitertem
Maßstabe anlegte.

Ich habe sie öfter besucht, da ich mit Henschel sehr bekannt geworden war,
und mich über das Abhobeln von Eisenplatten usw. gefreut. Das "GießhanS"
stand in einiger Entfernung von den Werkstätten, und seine Kuppel hatte eine
sehr eigentümliche Konstruktion; sie war nämlich aus großen leeren Töpfen
gebildet, das Gewölbe war also sehr leicht und doch fest genug; auch das neu¬
erbaute zweistöckige Wohnhaus hatte eine Eigentümlichkeit, die mir sehr auf¬
gefallen ist. Die beiden Ecken der Vorderseite wurden nämlich durch zwei
große, vom Grunde bis zum Dach aufsteigende runde Säulen gebildet. Im
zweiten Stockwerk dieses Gebäudes wohnte Werner Henschel, der Bruder des
Oberbergrath, ein ausgezeichneter Bildhauer, dem der Auftrag geworden war.
eine für die Stadt Fulda bestimmte Kolossalstatue des heiligen Vonifaeins an¬
zufertigen, die dann in der Gießerei seines Bruders in Erz gegossen werden
sollte. Alle Personen, die sie gesehen haben, haben diese Statue in vollem
Maße gelobt. Als nnn die Statue vollendet war und nach Fulda übergeführt
werden sollte, fragte der Professor und Bildhauer unterthänigst bei seiner


Drei Anekdoten aus dem alten Rnrhesscn

des letzten Kurfürsten von Hessen vervollständigen, andrerseits aber auch einen
weitem Beitrag zu den Zustanden Kurhesseus liefern.

l- Der Brand des Gießhauses und seine Folgen

Es war im Jahre 1836 oder vielleicht in den ersten Monaten des fol¬
genden Jahres — ich war noch nicht lange verheiratet —, da brannte in
Kassel das „Gicßhaus" ab. Dieses Gebäude war vor mehr als hundert
Jahre» von einem Landgrafen von Hessen erbaut worden, um darin Kanonen
gießen zu lassei?. Der Meister, dein diese Arbeit anvertraut wurde, bekam
keinen jährlichen Gehalt, aber dafür wurde ihm die Erlaubnis gegeben, wenn
der Landgraf seine Dienste nicht in Anspruch nahm, das „Gießhaus" zum
gießen andrer Gegenstünde, zur Anfertigung von Maschinen und dergleichen
zu benutzen, und sowohl die Verpflichtung, Kanonen zu gießen, als anch das
Recht, andre Gegenstände zum eignen Nutzen anzufertigen, sollten in der Familie
erblich sein; es war also eine Art Lehen und ist es auch geblieben unter der
Negierung des Königs Jerome bis zum Abbrennen des „Gießhauses."

Es wurde damals natürlich eine Untersuchung über die Entstehung des
Brandes eröffnet, aber es stellte sich heraus, daß weder eine strafbare Absicht
noch eine grobe Fahrlässigkeit vorlag. Die Ursache blieb unerklärt.

Der Oberbergrat Henschel, der in dem abgebrannten Gebäude eine schon
damals sehr bekannte Maschinenfabrik errichtet hatte, und der ein ausge¬
zeichneter Maschinenbauer war, bekam von der preußischen Regierung eine
Anerbietung, er möge eine neue Maschinenfabrik in Preußen, und zwar in der
Nähe von Magdeburg, errichten; er würde dabei vom Staate ans kräftig unter¬
stützt werden. Aber er zog es vor, im Vaterländchen zu bleiben; er baute
dicht bei der Stadt Kassel eine neue Fabrik, die er natürlich in erweitertem
Maßstabe anlegte.

Ich habe sie öfter besucht, da ich mit Henschel sehr bekannt geworden war,
und mich über das Abhobeln von Eisenplatten usw. gefreut. Das „GießhanS"
stand in einiger Entfernung von den Werkstätten, und seine Kuppel hatte eine
sehr eigentümliche Konstruktion; sie war nämlich aus großen leeren Töpfen
gebildet, das Gewölbe war also sehr leicht und doch fest genug; auch das neu¬
erbaute zweistöckige Wohnhaus hatte eine Eigentümlichkeit, die mir sehr auf¬
gefallen ist. Die beiden Ecken der Vorderseite wurden nämlich durch zwei
große, vom Grunde bis zum Dach aufsteigende runde Säulen gebildet. Im
zweiten Stockwerk dieses Gebäudes wohnte Werner Henschel, der Bruder des
Oberbergrath, ein ausgezeichneter Bildhauer, dem der Auftrag geworden war.
eine für die Stadt Fulda bestimmte Kolossalstatue des heiligen Vonifaeins an¬
zufertigen, die dann in der Gießerei seines Bruders in Erz gegossen werden
sollte. Alle Personen, die sie gesehen haben, haben diese Statue in vollem
Maße gelobt. Als nnn die Statue vollendet war und nach Fulda übergeführt
werden sollte, fragte der Professor und Bildhauer unterthänigst bei seiner


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[0635] Drei Anekdoten aus dem alten Rnrhesscn des letzten Kurfürsten von Hessen vervollständigen, andrerseits aber auch einen weitem Beitrag zu den Zustanden Kurhesseus liefern. l- Der Brand des Gießhauses und seine Folgen Es war im Jahre 1836 oder vielleicht in den ersten Monaten des fol¬ genden Jahres — ich war noch nicht lange verheiratet —, da brannte in Kassel das „Gicßhaus" ab. Dieses Gebäude war vor mehr als hundert Jahre» von einem Landgrafen von Hessen erbaut worden, um darin Kanonen gießen zu lassei?. Der Meister, dein diese Arbeit anvertraut wurde, bekam keinen jährlichen Gehalt, aber dafür wurde ihm die Erlaubnis gegeben, wenn der Landgraf seine Dienste nicht in Anspruch nahm, das „Gießhaus" zum gießen andrer Gegenstünde, zur Anfertigung von Maschinen und dergleichen zu benutzen, und sowohl die Verpflichtung, Kanonen zu gießen, als anch das Recht, andre Gegenstände zum eignen Nutzen anzufertigen, sollten in der Familie erblich sein; es war also eine Art Lehen und ist es auch geblieben unter der Negierung des Königs Jerome bis zum Abbrennen des „Gießhauses." Es wurde damals natürlich eine Untersuchung über die Entstehung des Brandes eröffnet, aber es stellte sich heraus, daß weder eine strafbare Absicht noch eine grobe Fahrlässigkeit vorlag. Die Ursache blieb unerklärt. Der Oberbergrat Henschel, der in dem abgebrannten Gebäude eine schon damals sehr bekannte Maschinenfabrik errichtet hatte, und der ein ausge¬ zeichneter Maschinenbauer war, bekam von der preußischen Regierung eine Anerbietung, er möge eine neue Maschinenfabrik in Preußen, und zwar in der Nähe von Magdeburg, errichten; er würde dabei vom Staate ans kräftig unter¬ stützt werden. Aber er zog es vor, im Vaterländchen zu bleiben; er baute dicht bei der Stadt Kassel eine neue Fabrik, die er natürlich in erweitertem Maßstabe anlegte. Ich habe sie öfter besucht, da ich mit Henschel sehr bekannt geworden war, und mich über das Abhobeln von Eisenplatten usw. gefreut. Das „GießhanS" stand in einiger Entfernung von den Werkstätten, und seine Kuppel hatte eine sehr eigentümliche Konstruktion; sie war nämlich aus großen leeren Töpfen gebildet, das Gewölbe war also sehr leicht und doch fest genug; auch das neu¬ erbaute zweistöckige Wohnhaus hatte eine Eigentümlichkeit, die mir sehr auf¬ gefallen ist. Die beiden Ecken der Vorderseite wurden nämlich durch zwei große, vom Grunde bis zum Dach aufsteigende runde Säulen gebildet. Im zweiten Stockwerk dieses Gebäudes wohnte Werner Henschel, der Bruder des Oberbergrath, ein ausgezeichneter Bildhauer, dem der Auftrag geworden war. eine für die Stadt Fulda bestimmte Kolossalstatue des heiligen Vonifaeins an¬ zufertigen, die dann in der Gießerei seines Bruders in Erz gegossen werden sollte. Alle Personen, die sie gesehen haben, haben diese Statue in vollem Maße gelobt. Als nnn die Statue vollendet war und nach Fulda übergeführt werden sollte, fragte der Professor und Bildhauer unterthänigst bei seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/635>, abgerufen am 29.06.2024.